herzwurzeln pflanzen

herzwurzeln pflanzen

in feuerstürmen verschwinden?
in schmelzwassern untergehn?
no!

lass uns lieber herzwurzeln pflanzen
dicht unterm bogen des
sonnenstrichs
da wo sich wildnis und ödnis
begegnen

herzwurzeln
unsere keimmütter
ich lege die blaue feder
des spähervogels dazu:
er wird’s uns
mit sicherheit künden
wann denn?
irgendgewiss!

wenn die ersten herzblätter sprießen
das kann lange dauern?
ja!

so lange bis sich der sonnenbogen
wieder um unsere herzkeime
schließt
so dass sie ins kraut schießen können
und keiner sie mehr
vergisst

wünsche und träume bevölkern die luft

wünsche und träume bevölkern die luft

unsichtbar
unausrottbar
immer präsent

die der vögel sind federleicht versteht sich
und meistens von winden zerzaust,
die der menschen erdenkloßschwer
und klebrig,
die der schlangen zusammengerollt,
verknäult die von hunden und katzen.
insekten träumen schillernd bunt
und ihre winzigen wünsche
können nicht mal ein lüftchen kräuseln.
plump kommen die saurierträume daher
die uns nie verlassen haben
zackig wunschlos leer

der wind bläst durch alle hindurch
spielt damit
reibt und stößt sich daran
gibt ihnen laut
macht wetter aus träumen und wünschen
das niemand erklären kann

schließ die augen
lass sie alle
mit deinen flatternden lidern spielen
hör ihnen zu
sag nichts
sag nichts
und sing mit ihnen dein lied

Das Braunkehlchen – Vogel des Jahres 2023

Das Braunkehlchen – Vogel des Jahres 2023

Ein Braunkehlchenmännchen singt in den Raistinger Wiesen zur Zeit der Irisblüte

8. Januar 2023

Im Oktober letzten Jahres stand es fest: Das Braunkehlchen, dieser so wenig bekannte Wiesenbrüter, wird 2023 besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Denn die beiden großen Naturschutzverbände → NABU (Naturschutzbund Deutschland) und der bayrische LBV (Landesbund für Vogel- und Umweltschutz) haben ihn zum Vogel des Jahres 2023 ausgerufen. In eineröffentlichen Wahl, an der jedermann teilnehmen konnte, der daran interessiert war, hat der kleine vorwiegend braune Vogel, an dem nur der der dicke weiße Streifen überm Auge auffällig ist, die weitaus meisten Stimmen auf sich versammelt.

Die Aufmerksamkeit ist natürlich medial. Denn wer kennt ihn, wem fliegt er noch übern Weg? Wem sind gar seine Gesänge vertraut? Es ist immer dasselbe leidige Lied: Dem Wiesenschmätzer, wie er früher genannt wurde, fehlen die artenreichen feuchten Wiesen, die dem Flächenverbrauch und der intensivierten Bewirschaftung zum Opfer fielen und fallen. Nur hier findet er die Spinnen und Larven, Würmer und kleinen Schnecken, die er braucht, um zu überleben und seine Brut erfolgreich groß zu ziehen.

In meiner näheren Umgebung sehe ich Braunkehlchen nur auf dem Durchzug – hier Ende August am Rande der Thaininger Kiesgrube

Zu meiner Schulzeit war das Braunkehlchen auf dem Lande ein wohlvertrauter Allerweltsvogel, liebevoll Wiesenclown genannt. Auf meinen Streifzügen durch ein Mosaik von Feuchtwiesen, Feldern und Mooren bin ich ihm ständig begegnet – dazu zahllosen Rebhühnern, Haubenlerchen, Wiesenpiepern, Bekassinen, nicht zu reden von einem Himmel voller Lerchengesänge.
Alwin Voigt war d e r Vogelstimmenexperte vergangener Zeiten. Ohne Tonaufzeichungs-instrumente allein auf seine Ohren angewiesen, hat er 1894 die erste Auflage seines Exkursionsbuches für das Studium der Vogelstimmen herausgegeben. Ich besitze noch die 10. Auflage von 1950. Darin heißt es zum braunkehligen Wiesenschmätzer:
Es bewohnt weder Wälder noch Park und Garten, sondern Wiesenlandschaften, und zwar von den unabsehbaren Wiesen- und Luchflächen Norddeuschlands bis herauf zu den Matten der Alpen. Bald hier, bald dort erscheint eins auf einem Hügelchen, auf der Spitze einer hohen Pflanze oder eines Pfahles und zeigt keine allzugroße Scheu, wenn man behutsam näher kommt, um seinen Anblick zu genießen. Die zart gelbbraune Brust des Männchens, der schwärzliche Querfleck unter dem Auge und das blendende Weiß darüber, das hebt sich so sauber ab gegen die dunkle Oberseite, dass es eine rechte Augenweide ist.

Da kann man nur seufzen.
Heutzutage ist das Braunkehlchen besonders in Bayern selten geworden und gilt als stark gefährdet. Die meisten Tonaufnahmen, die ich in xeno-canto, dem weltweiten Vogelstimmenforum, eingestellt habe, stammen dementsprechend vorwiegend aus geschützten Gebieten.
Warum schreibst Du in a protected area for Whinchats, fragte mich ein Schwede zu meinen Tonaufnahmen aus den Raistinger Wiesen. Ich staunte über sein Staunen, bis mir klar wurde, dass im Offenland seiner nordischen Heimat das Braunkehlchen nach wie vor, wie in alten Zeiten?, ein weit verbreiteter Allerweltsvogel ist.

Anfang Juni 2022 in den Raistinger Wiesen.Die zart
gelbbraune Brust des Männchens, der schwärzliche Querfleck unter dem Auge und das blendende Weiß darüber … „

Die Raistinger Wiesen am Ammersee sind so, wie Braunkehlchen sie brauchen und mögen: blüten- und strukturreich, mit dichter Krautschicht für die Nester in den Altgrasstreifen. Und mit Hochstauden und Zaunpfählen, die als Sing- und vor allem als Ansitzwarten genutzt werden. Hier haben sie einen guten Überblick übers Gelände. Von hier aus können sie am besten ihre hurtigen Jagdflüge starten.

Am Rande des Raistinger Schutzgebietes zu stehen, die schönen Schmätzer in den Altgrasstreifen oder auf hohen Halmen zu sichten – ihren kurzen, aber abwechslungstreichen Strophen zu lauschen – ihrem blitzschnellen Verschwinden und Wiederauftauchen zuzuschauen: das ist für mich reines Glück. Eine dieser Senkrechten in der Zeit, wie Arnulf Conradi das so überaus treffend formuliert hat. Im Strömen der Zeit also jener unschätzbare Moment, der innehält und die Uhr und sich selbst schlicht vergessen lässt.
Oft mischen Schwarzkehlchen, Feldlerchen, Wiesenpieper ihre Lieder in die braunkehligen Gesänge, manchmal schlagen dazu Wachteln, trillern Schwarzmilane, quärren Lachmöwen – und es erklingt ein Freiluftkonzert vom Feinsten.

Gleich zu Anfang tirilieren Feldlerchen, beginnt ein Braunkehlchen mit seinen kurzen Strophen, quärren Lachmöwen. Dann (ab 0:31) singt überraschend ein Brachvogel – ja, er singt, obwohl er bekanntlich kein Singvogel ist. Seine beiden schönschaurigen Flöten- und Trillerstrophen, anschwellend und abfallend, sind aus der Weite und Melancholie feuchter Wiesenlandschaften geformt, das ist unüberhörbar. Ab 1:15 mischt sich ein Wiesenpieper seinen Fluggesang dazu – und wird übertönt und abgelöst von einer steigenden Feldlerche.

Wer’s länger mag: Hier singt Anfang Juni ein Braunkehlchen seinen Frühgesang in den Raistinger Wiesen.

♫ Braunkehlchen-Gesang in den Raistinger Wiesen am 5. Juni 2022 um 6:42 ♫

Seine individuelle Note ist ein hübscher „Schnarr-Triller“ am Beginn vieler seiner kurzen, aber einfallsreichen Strophen, z.B. in 0:33, 0:44 … 4:10, 4:33 usw. Und es imitiert! Den Hausrotschwanz z.B. in 3:56. Begleitet wird es von Goldammer und Wachteln (gleich am Anfang), Feldlerchen, Feldgrillen & Co. Ebenfalls leise in 6:16 ein Brachvogelgesang.

Und hier singt ein Braunkehlchen Mitte Juni im Murnauer Moos auf einem kahlen Pappelast gleich neben der Ramsach, begleitet von Buchfink, Amsel und flüggen Jungmeisen:

♫ Ein Braunkehlchen singt im Murnauer Moos, 18. Juni 2018 9:05 ♫

Braunkehlchen auf altem Weidezaun am Egelsee bei Hofstetten

Die schönsten Braunkehlchengesänge habe ich vor Jahren ganz in der Nähe meines Wohnorts, im Egelsee-Gelände mit seinen viel zu kleinen, aber feuchten Wiesenflächen aufgenommen. Hier ziehen die Steinschmätzer und Braunkehlchen gewöhnlich nur durch, knicksen eine kleine Weile auf den Weidezäunen, unternehmen ihre Jagdflüge, sind schnell wieder verschwunden. Aber das Männchen, das in der folgenden Aufnahme singt, hatte nebst einem großen Repertoire an Imitationen offenbar die Hoffnung, ein Weibchen zu finden, sang und warb unverdrossen mindestens zwei Wochen lang und fand trotz größter Anstrengung keine Resonanz:

Vögel sind Individualisten, auch und gerade in ihren Gesängen. Dieses Braunkehlchen sitzt eines Tages Anfang Juni hier und da auf Weidezäunen, singt stundenlang und ist offenbar unverpaart. Es ist ein sehr guter Sänger, der viele Imitationen integriert hat – verkürzt und auf Braunkehlchenweise, doch gut erkennbar: Dorngrasmücke (00:03, 00:06, 02:16, 02:26), Buchfink (00:20, 01:07, 3:22, 3:33), Hausrotschwanz (00:43, 01:02,01:30, 01:39, 01:55, 01:59), Rohrammer (01:15, 02:28, 02:36), Zilpzalp (01:44, 01:50, 02:32), Grauammer (02:40, 02:46). Im Hintergrund Feldgrillen.

Seitdem habe ich in diesem Areal nie wieder eines singen gehört.
Die Wahl im Oktober zum Vogel des Jahres 2023 fand natürlich in Abwesenheit der Hauptprotagonisten statt. Die hatten mit einigem Glück schon, jeder für sich allein, die Sahara überflogen, um im tropischen Afrika zu überwintern: 5000 km von hier entfernt.

Wie macht so ein kleiner Vogel das bloß?

Der Kuckuck und alle Kehlchen sind zurückgekehrt ◄

Apfeldorfer Wassermusiken – da sie sind wieder, die nordischen Posaunisten

GroßeSingschwanansammlung vor Schilfgürtel Apfeldorf, Staustufe Ost

Apfeldorfer Wassermusiken – da sie sind wieder, die nordischen Posaunisten

26. Dezember 2022

Am zweiten Weihnachtsfeiertag ist das Wetter milde. Der Schneeeinbruch am 10. Dezember, ausgerechnet zum Zeitpunkt unseres Weihnachtskonzerts mit Vogelstimmen im Rochlhaus, ist längst vergessen, die Gewässer sind frei – und wir auch.

Höchste Zeit, nach den Singschwänen zu schauen. Wir wissen, dass die Schönen seit November wieder auf dem Lech residieren, insbesondere bei Dornstetten, wollen aber heute wie letztes Jahr unser Glück bei Apeldorf versuchen.

Die Flüchtigkeit der Vögel, die Leichtigkeit, mit der sie ihre Aufenthaltsorte wechseln können, hängt offenbar eng mit ihrer besonderen Art der Zuverlässigkeit zusammen.

Zweiggenau kann eine Nachtigall, die in Südafrika überwintert hat, auf ihren Singeplatz in ihrem Revier im Treptower Park zurückkehren. Und zuverlässig in jedem Spätherbst kehren Singschwäne aus dem hohen Norden in ihre Überwinterungsgebiete auf dem Lech zurück. Sind es immer dieselben samt ihren Nachkommen, oder wie sonst spricht es sich unter Singschwans herum, dass der Lech im fernen Bayern ein guter Ort zum Überwintern ist??

Um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, braucht es, ja – Orts- und Biotopkenntnise und einige Quentchen Wissen um die Gewohnheiten der Vögel. Aber auch eine eine gute Portion Glück und Augenblicksgespür. Und Neugier natürlich.

Kaum sind wir kurz hinter Apfeldorf oben am Hang aus dem Auto gestiegen, wird unsere Aufmerksamkeit in zweierlei Richtung gezogen. Drüben auf der Wiese grasen etwa 300 Graugänse, und ich würde sie gern genauer mit dem Spektiv durchmustern. Gleichzeitig fangen meine Ohren außerordentlich lebhafte Klänge unten vom Lech her ein, denen ich nicht widerstehen kann. Sie ziehen mich magisch an. Und so folge ich dieser luftigen, aber mächtigen Spur. Schon auf dem ersten Absatz, da, wo das Feldgehölz steil zum Ufer hin abfällt und der Fluss zwischen den Bäumen hochschimmert, fließen die Stimmen zu einem Acapella-Chor zusammen, der an- und abschwillt und mich in Bann zieht.
Sie sind wieder da! Und wie es scheint viele!!
Ich befreie meine Füße von einigen Brombeerranken, lege mein Mikro auf den Rucksack, schalte das Aufnahmegerät ein. Lehne mich an einen Baumstamm und lausche dem Chor der Posaunenduette, der sich besonders steigert, als die Gänse über uns hinwegrauschen, schreiend, um auf dem Lech zu wässern.

Ab 01:40 schwillt der Posaunenchor mit den Schreien der Graugänseschar, die zum Lech hinunter rauscht, deutlich an, geht ganz offenbar in Resonanz damit

Singschwäne in der beliebten seichten Zone vorm Schilfgürtel

Endlich unten angekommen, sehe ich, dass sich das Gros der Singschwäne wieder am selben Ort wie im letzten Jahr aufhält: ziemlich weit draußen vor dem Schilfgürtel, kein einziger hier in Ufernähe, also gut zu spektieren bei diesem hellen Weihnachtstaglicht, aber schwierig zu fotografieren.
Und wie viele es sind! Ich bringe das Spektiv in Stellung und lege das Mikro auf ein umgestülptes Boot, das am Ufer liegt.

Ein temperamentvoller Singschwanchor,
der vom Ufer widerhallt und sich mit Windstößen mischt

Die da draußen, das sind knapp über 100 Individuen, zwölf graubraune Diesjährige dazwischen. Wo genau sie wohl aus dem Ei gekrochen sind? Und sie posaunen und duettieren, wollen an diesem Morgen gar nicht aufhören mit ihrem weihnachtlichen Schwanengesängen. So etwas habe ich noch nicht erlebt.

Eine abwechslungsreiche Wassermusik, die kein Ende nehmen will. Mal nahezu verebbend, mal ekstatisch sich steigernd. Die Weite und Einsamkeit nordischer Tundren und Waldseen schwingt darin und die unmittelbare Freude an Verständigung und Gemeinschaft

Mein Mikro nimmt es zuverlässig auf, dieses prachtvolle Oratorium, in das sich Graugänse, Blässhühner, Stockenten mischen, Schnatterenten mit ihrem seltsamen Geknarre, Flügelschläge und Wasserplatschen und das Echo, das die Lechhänge werfen.

Eine Weihnachtsmusik vom Feinsten …


Beim Duettsingen schwimmen die beiden Schwäne hintereinander und schwingen die Hälse gemessen vor und zurück, offenbar ein taktfestes, uraltes Ritual. Wer nicht singt, gleitet elegant dahin, gründelt, zieht die Federn durch den Schnabel, ruht.

Außer uns gibt es keine menschlichen Besucher. So können wir ungestört unsere Stative hier oder dort aufstellen, verschiedene Perspektiven ausprobieren, ungestört schauen, entdecken, lauschen.

Gegen Mittag. Die Graugänse werden unruhig und mischen sich stärker ein, Wind frischt auf, aber das Konzert wird unverdrossen fortgesetzt, steigert sich immer wieder

Bis zum Konzertende zu bleiben, gelingt uns nicht. Zwar hat mein Mikro jetzt sozusagen „Singschwanstimmen satt“ aufnehmen können. Aber die Schönen sind nach wie vor ungebrochen mitteilungsfreudig, ein Ende der Kommunikation auf Hochnordisch ist kaum so schnell zu erwarten, und das Wetter schlägt spürbar um.
So verstauen wir wieder all unsre Optik und Lauschtechnik und beginnen den Hangweg hinaufzusteigen. Ich etwas wehmütig, wohl wissend, dass wir dies nie wieder so erleben werden.
Auf halber Strecke steigern sich die Duette in meinem Rücken erneut auf so unwiderstehliche Weise, dass ich mich umdrehen muss, um ihnen mit Ohren und Mikro noch einmal die Ehre zu erweisen.

Posaunen und Trompeten á la nature! Sie werden zunehmend von starken Windböen übertönt, die durch die Hangbäume rauschen. Pech und Glück zugleich. Die weihnachtliche Wassermusik, sie ist nun ist definitiv vorbei. Jedenfalls für unsere Ohren.

►Singschwäne auf dem Lech◄

Weihnachten und die Botschaft der Vögel

Weihnachten und die Botschaft der Vögel

Einstimmung zu „Lieb Nachtigall wach auf“, einem Konzert mit Vogelstimmen am 10.12.2022 im alten Rochlhaus Thaining

Kinderzeichnung des Koburger Ensembles Kunterbunt zu „Die frohe Weihnachtsbotschaft der Vögel“

Weihnachten ist – wenn wir uns nicht vom Konsum ersticken lassen – eine Zeit der Hoffnung und der Wunder.
Gerade jetzt, in einer Zeit voller Unruhe, Unsicherheit und Angst, ist es wichtig, sich daran zu erinnern.
Wir feiern mit der Geburt Jesu die Hoffnung darauf, dass es in dieser Welt Erlösung gibt. Wir feiern die Hoffnung auf das Ende der Dunkelheit und auf die Wiederkunft und Wiedererstarkung des Lichts. Mit anderen Worten: Wir feiern die Hoffnung auf ein Wunder.

Die Natur, und nicht zuletzt die Vögel, sind ein Teil dieses Wunders – im Grunde sind sie Wunder pur, wenn wir ihnen mit offenen Sinnen begegnen.

Flügelrauschen im Herbst: Ringeltaubendurchzug in der Feldmark

Vögel bewegen sich mit Leichtigkeit durch die Luft. Sie setzen sich auf irgendeinen Ast und singen los, als wären sie in einem Konzertsaal. Sie sind bei aller Annmut frei und wild, wie es im Lied „Es saß ein klein wild Vögelein“ besungen wird. Sie brauchen keine mit Gold und Silber umwundenen Flügel, und Käfige schon gar nicht. Und die Menschen haben ihnen immer gern zugehört.

Dennoch sind Vögel auch von der sogenannten zivilisierten Menschheit Jahrhunderte lang gejagt und gefangen worden.
Das kleine Volkslied vom Zeiserl, das in einen Käfig gelockt wird, ist ein Hinweis darauf, dass es bei uns lange Zeit in fast allen bürgerlichen Stuben in winzige Käfig gesperrte Singvögel gab, um deren Befinden sich kaum jemand kümmerte: Hauptsache, sie trällerten schön.
Das zumindest ist hier bei uns vorbei – Wildvögel dürfen nicht mehr für private Belange gefangen und gekäfigt werden.
Aber leider, die Verfolgung geht weiter. Mittelbar bei uns durch die intensivierte Landwirtschaft – wer kennt schon noch aus eigener Anschauung Kiebitz, Braunkehlchen, Wiesenpieper? Oder gar eine Uferschnepfe?? Darüber hinaus werden unsere Zugvögel auf ihren Wanderwegen in größerem Maßstab denn je gefangen und vernichtet. Der LBV hat sich deshalb dem Komiteee gegen den Vogelmord angeschlossen.

Aber das ist heute nicht unser Thema.
Unser Thema ist, dass Vögel ein Teil des Wunders sind, das uns umgibt. Sie verbinden sichtbar und hörbar Himmel und Erde, und ihre Gesänge sind im Grunde, wie alle Musik, die nicht nur die Nerven triggert, Licht. Ohrenlicht, das sie vom Himmel herunter holen.
Kein Wunder, dass gerade in Weihnachtsdarstellungen Vögel zusammen mit Engeln singend die Krippe umschwirren!

Besonders imponiert mir an Vögeln – gerade den begabtesten unter unseren Sängern wie Amseln, Rotkehlchen, Nachtigallen – dass ihre Brutreviere genau genommen Klangreviere sind, die sie kraft ihrer Gesänge abstecken und deren Grenzen sie wechselseitig respektieren.

Ein Star singt bei Sonnenaufgang auf einem Stadel im Dorf

Mit ihren Kontergesängen, besser: Wechselgesängen, markieren Singvogelhähne nicht nur ihre Reviere, sondern sie stimulieren sich die gegenseitig und gleichen ihre Lieder sogar einander an. Frieden schaffen ohne Waffen, das ist im Grunde ein Motto der Vögel – und eine echte Weihnachtsbotschaft.

Vögel haben schon vor mehr als 30 Millionen Jahren ihre Schnäbel gewetzt. Ihre vielfältigen Laute, ihre Urmusik haben die Evolution der Menschheit von Anfang an begleitet – während des langen Übergangs vom Affen zum Menschen wie auch im gesamten Verlauf ihrer Kulturgeschichte.
Deshalb gehören Vögel, die Vielfalt ihrer Stimmen und die innere Stille, die sie verbreiten, unlösbar zu jenen Umweltbedingungen, die unsere Gesundheit, unser inneres Gleichgewicht stabilisieren.
Während Lärm und Kriegsgeschrei es nachhaltig zerstören. Ein stummer Frühling, in dem sich kein Vogel mehr rührt, ist deshalb nicht nur für Vogelliebhaber eine erschreckende Vision.

Olivier Messiaen, der große Musiker und Vogelkenner des 20. Jahrhunderts, schrieb:
Was mich am meisten erneuert hat, ist, glaube ich, mein Umgang mit den Vögeln. Das hat viele Leute zum Lachen gebracht … Sie glauben, dass es „niedrige“ Tierarten sind … . Das ist vollkommen idiotisch. … Als ich mich mit den Vögeln befasste, habe ich begriffen, dass der Mensch so viele Dinge nicht erfunden hat, sondern dass so viele Dinge schon vorher um uns herum in der Natur existierten – nur hat man sie nie gehört.
Zum Beispiel hat man von Tonarten und Modi geredet – die Vögel haben Tonarten und Modi. Man hat auch viel … von Viertel- und Dritteltönen gesprochen – die Vögel machen diese kleinen Intervalle. Auch hat man seit Wagner viel von Leitmotiven geredet. Jeder Vogel ist ein lebendiges Leitmotiv, weil er seine eigene Ästhetik und sein eigenes Thema hat. … Sie machen auch viel kollektive Improvisation, auch Glissandi. Die Neumen des Gregorianischen Chorals finden sich in den Gesängen der Vögel. Ich habe den Eindruck, dass sie alles gefunden haben, sogar die Mischungen von Klangfarben, die man heute sucht, und Nachhalleffekte

Hören wir uns ein paar ihrer musikalischen Kunststücke an!

1 Starengesang im Dorf mit Glissandopfiffen und Imitationen:

Auf die Pfiffe folgen Hennengegacker und -lockrufe (0:12) – Pirolgesang à la nature (0:19 f) und modifiziert (0:23 ff) – rauer Pirolruf ( 0:22 ff) – Kuckucksterz, leise (0:30 f)


2 Gelbspötter mit Amselschimpfen

Ein Gelbspötter in einem Hagenheimer Garten am Rande der Feldmark schimpft mitten in seinem Gesangsstrom wie eine Amsel

3 Amsel mit „Tonleiter“

Eine Amsel singt eine „schwarzgedrosselte Tonleiter“ – dies ist keine eigene Tonaufnahme, sondern ein Handyaufnahme, die ich aus Babelsberg, Potsdam bekam

4 Amsel mit Flötenmotiv

Diesem Amselhahn habe ich in unserem Garten einen Frühling lang beim Vervollkommnen seines schönen Flötenmotivs zugehört!

5 Nashornvogellachen im Regenwald

Am letzten Tag unserer wochenlangen Streifzüge durch den malaysischen Regenwald überrascht uns ein Helmeted Hornbill mit seinem verrückten Lachen.

Schildschnabel – Helmeted Hornbill. Ein Foto von René Merimba

Eine seltene Tonaufnahme – reines Voglerglück! – wohl nur noch im tiefsten Dschungel zu hören. Denn der Schildschnabel wird seines großen Schnabelaufsatzes wegen verfolgt – um daraus läppische Schnitzereien anzufertigen, die keinerlei Wert haben, gemessen an der Herrlichkeit dieses Vogels!
Sehen konnten wir ihn kaum, er saß oben in den dichten Baumkronen und war nur schemenhaft zu sehen, als er mit wuchtelnden Flägelschlägen abflog

6 Trillersingdrossel

Triller sind auch in der Vogelmusik sehr beliebt – diese Singdrossel sang ein paar Wochen lang am Krötenweiher Thaining den trillerndsten Triller, den ich je gehört habe


7 Schamadrossel mit Koloratur

Auch eine seltene, glückhafte Tonaufnahme, mitgebracht von einem unserer Streifzüge durch den malaysischen Regenwald. Diese Drossel wird ihres großartigen Gesanges wegen ebenfalls verfolgt und gekäfigt und ist deshalb streng geschützt

8 Berliner Nachtigall, Mitternachtsgesang

In Berlin, der Stadt der Nachtigallen, sitzt im dunklen Volkspark hinter der Mauer zur Straße hin eine Nachtigall und singt, schlägt, schluchzt mir bis weit nach Mitternacht unentwegt ins Mikrofon

9 Ein ROTKEHLCHEN im Garten singt „Stille Nacht“
Und zum Schluss noch einmal das Rotkehlchen, das zu Anfang unseres Konzerts leise zum Lied vom bitteren Winter gesungen hat.
Vögel singen ja so schnell, dass wir mit unserem Gehör gar nicht alles erfassen können, was sie dabei zum Besten geben. In diesem Jahr habe ist mir die Bekanntschaft mit dem Musiker Johannes Quistorp und seinem Klangkosmos Vogelgesang zugeflogen. Ich habe ihm die Rotkehlchen-Aufnahme geschickt, und er hat sie bis zu 16-fach verlangsamt – dabei werden die Klänge naturgemäß nach unten oktaviert.
Und nun hören Sie mal, was zu unserer Überraschung bei der Verlangsamung herausgekommen ist:

00:02 Originalstrophe – 00:07 2fach – 00:17 4fach – 00:34 8fach – 01:04 16fach verlangsamt. Das Stille-Nacht-Motiv wird so schnell gesungen, dass es erst bei 8facher Verlangsamung am Ende der Strophe zu hören ist. Ab 01:54 ist es in viermaliger Wiederholung angehängt

Da kann man sich nur an Olivier Messiaen erinnern: … so viele Dinge (haben) lange vor uns in der Natur existiert – nur hat man sie nicht gehört!

Im Deutschlandfunk gab es Ende letzten Jahres einen Beitrag zur Tierkommunikation, mit der sich ein Wiener Forscherteam beschäftigt: Universelle Melodien – die Sprache der Tiere ist eigentlich Gesang.
„Wir begehen einen Fehler, sagen sie, wenn wir automatisch annehmen, dass Tierkommunikation Sprache ist. Diese Idee hält uns davon ab zu sehen, dass es in vielen Fällen – nicht nur im Vogelgesang, sondern auch bei vielen anderen Tierarten – eher eine Art Musik ist.“
Da geht es weniger um präzise Bedeutungen als vielmehr um emotionale, effektive Gruppenkommunikation. Wir sollten also weniger danach fragen, wie wir mit Tieren sprechen können, sondern es wäre produktiver zu denken: Wie können wir mit Tieren singen? Dann stehen uns Übereinstimmungen zur Verfügung, die uns bei Sprache fehlen.“
Gemeinsam musizieren – vielleicht liegt es daran, dass uns so viele Tiergesänge so tief im Innern berühren. Die Natur ist ein Konzerthaus.

Und die Botschaft der Vogel- und Tiergesänge – nicht nur an Weihnachten – heißt Frieden!

Konzertausklang im Rochlhaus am 10. Dezember 2022


Deshalb haben wir zum Schluss alle zusammen den Friedensgruß des Francesco von Assisi gesungen, auf Italienisch, Arabisch und Hebräisch: Pace e bene, Assalaam´aleikum, Schalom alachem

Konzertausschnitte von Lieb‘ Nachtgall wach auf!, insbesondere die El Cant dels Ocells, werden demnächst unter Vogelstimmen – Musik der Vögel – eingestellt

gedenken

gedenken

totensonntage brauche ich nicht.
nachfahrin derer
die schornsteine aufrichteten
um vernichtende
todesfugen zu feiern
und nun in mir spuken, sprachlos
versuche ich, nachfahrin, nachtfahrerin
die asche
aus meinen ohren zu klauben
den staub
zu nesteln aus augen und haar

um sie im gedenken zu bergen

zur weisheit und wohlfahrt kommender
damit ihnen leben glückt

Kiebitze auf Durchzug: ruhen, rasten, weiterziehen

Kiebitze auf Durchzug: ruhen, rasten, weiterziehen

ziehende Kiebitze über der Feldmark Schwifting

24. September 2022

Gestern war kalendarischer Herbstanfang, Tag- und Nachtgleiche, Äquinoktien. Langsam neigt sich das Jahr der Dunkelheit zu, obwohl noch Sommerzeit herrscht.
Noch ganz in den Sommer eingesunken, habe ich erst kürzlich erstaunt festgestellt, dass sich das Laub mancher Bäume zu verfärben beginnt: Wie stumpf nun das Blattgrün wird, von graubraunen Farbschlieren überkrochen, einzelne Blätter gilben schon. Erste Anzeichen, dass die Hexenküche der Sonne im Blattinnern eingestellt wird – die Sollbruchstellen, an denen die Blätter sich lösen werden, sind ja lange schon angelegt – und wie ein Reflex erwacht in mir die Sehnsucht nach dem fröhlich flatternden Hellgrün des Frühlingsaustriebs …

Aber nichts da. Als ich gestern früh aufs Rad stieg, um mich in der Schwiftinger Feldflur umzusehen, war ich ausgestattet mit warmem Anorak und Handschuhen (!) und der vagen Hoffnung, auf Kiebitze zu treffen, die hier jedes Jahr durchziehen.
Und ob ich sie nun finden werde oder nicht, und obwohl es vielerorts schon betrüblich vogelstill ist – schön ist es, durch die „Pampa“ zu fahren, die ganz gewöhnliche Feldflur, die in unserer Region noch recht kleinteilig strukturiert ist. Schön ist es, zu lauschen und zu spähen, während die Sonne langsam den Nebel wegleckt.

Immerhin jagen über den den Feldern noch Rauchschwalben, hier und da. Immerhin flügelt ein Rotmilan im Suchflug vorbei und singt eine Goldammer, von Licht umflossen.
Vor einem Stadel präsentiert sich – stumm – ein Hausrotschwanzpaar, von der Septembersonne so behutsam in seinen Farben gezeichnet, dass ich es fotografieren muss.
Die ♫ sonoren Rufe von Saatkrähen ♫ dringen herüber: die rücken hier jedes Jahr als Wintergäste ein. Nie allein. Immer in Gruppe. Ein Starenschwarm schwatzt im größten Straßenbaum am Platze, und zwei Kohlmeisen am Ortseingang wechseln ihre herbstlich unruhigen Rufe und Gesänge zwischen Maisfeld und Garten hin und her.

♫ Auf ungewöhliche Weise wechseln in der herbstlichen Sonne zwei Kohlmeisen kleine Gesangsstrophen und Rufe. Die Strophen am Ende überlappen sich ♫

Es wird warm. Längst habe ich Anorak und Handschuhe ausgezogen und umkreise mehrfach die Felder diesseits und jenseits der Straße. Dehne mich in der Sonne. Nichts Schöneres unter der Sonne … Unvermittelt stelle ich fest, dass mein Spektiv fehlt. Panik überflutet mich – was nun, wenn es nicht mehr zu finden ist? Ich sause die letzten Wege zurück – von Weitem sehe ich, da, wo ich Bachstelzen beobachtet habe, etwas einsam und verlassen in die Landschaft ragen. Tatsächlich, es ist das Spektiv! Erleichterte kehre ich zum zweiten Mal um fahre noch einmal die Straße längs: zum letzten Mal für heute, nehme ich mir vor.

Kaum steige ich vom Fahrrad, heben sie ab …
… und kommen zurück mit weichen Flügelschlägen ..

Und plötzlich sind sie da, die schönen Regenpfeifer mit Federholle. Hocken dicht hinter dem Traktor auf einem Feld, das gerade gepflügt wird, und lassen sich nicht stören. Aber kaum steige ich vom Fahrrad, heben sie ab. Kurven hin und her, rücken mit ihren runden Flügelschlägen mal näher heran, mal ferner, so gemächlich, dass ich ihnen mit der Kamera folgen kann. Verschwinden hinter einer Bodenwelle.

Wie schade! Ich bin erfreut und resigniert zugleich. Baue dennoch das Stativ für meinen Fotoapparat auf. Und während ich den Bussard drüben auf dem Leitungsmast, eine sehr dunkle Morphe, fotografiere, kommen sie zurück mit lautlos weichen Flügelschlägen zurück.
Der Bauer lärmt mit seinem Traktor auf dem Feld und ich stehe mitten auf dem Fahrradweg mit meinem Spektiv, weithin sichtbar. Aber sie beachten uns nicht.
Gehen geruhsam auf dem Grünland etwas weiter vorn nieder – und lassen sich von nun an nicht mehr stören. Rasten und putzen sich, picken nach Nahrung. Grün schillert ihr Gefieder in der Sonne, von warmen rotvioletten Farbreflexen überlaufen. Wie auf dem Zug üblich, plaudern sie leise miteinander in ihrer Vogelsprache, so leise, dass es vom Traktorlärm fast übertönt wird.
Das Glück der Geduld! Es sind genau dreißig Kiebitze, und jetzt kann ich sehen, vor allem an den kurzen Federhollen, wie viele Diesjährige darunter sind.
Wo kommen sie her? Wo fliegen sie hin?
Alte, uralte Fragen, die ohne Beringung oder Besenderung nicht zu beantworten sind. Auch wenn einige beringt sein sollten, auszuspähen ist das nicht, dafür versinken sie zu tief im grünen Krusch, die meisten sogar bis zum Bauchgefieder.

Vermutlich werden sie nicht besonders weit reisen. Je nach Wetterlage sind sie Stand- Strich- oder Zugvögel. Ihre Winterquartiere liegen in Frankreich, Spanien, Großbritannien, im März kommen sie in ihre Brutreviere zurück.
Wenn sie kommen! In unsere unmittelbare Umgebung, wo ich sie viele Jahre lang bei Balz und Brut beobachten konnte, kehren sie seit einigen Jahren nicht mehr zurück, und wir vermissen sie sehr.
Jedes Frühjahr zur Zeit der Amphibienwanderung schaukelten und gaukelten sie über den Feldern, vollführten akrobatische Flugmanöver, Sturzflüge inbegriffen, „sangen“ sogar im Duett.

♫ Kiebitzduett im März ♫

Kamen jedem Reviereindringling ganz nah, indem sie ihn von hinten angeflogen, um dicht an ihm vorbeizurauschen – kiebitzen heißt es deshalb, wenn man jemandem von hinten über die Schulter guckt, insbesondere beim Skat.

♫ Kiebitze, Alarmrufe ♫

Und während ich den schönen Durchzüglern zusehe, kitzelt die Sonne, die jetzt sommerlich wärmt, ihre unnachahmlichen Frühlingsstimmen und das Wummern und Wuchteln ihrer Flügel, mit dem die Männchen zur Balzzeit imponieren – lapwings heißen sie deshalb auf Englisch – wieder in mein Ohr.

Weitere Infos zu Kiebitzen und Kiebitzschutz:
LBV- Ratgeber Kiebitz und LBV Starnberg – Kiebitzporträt

Zwischen Tüpfelsumpfhuhn und Dunkelwasserläufer – ein Augustmorgen am Hotspot Ammersee Süd

Zwischen Tüpfelsumpfhuhn und Dunkelwasserläufer – ein Morgen am Hotspot Ammersee Süd

29. August 2022

Nach einem regnerischen Wochenende hat die Sonne Mühe, den zähen Nebel wegzulecken, der seit dem frühen Morgen aufgestiegen ist. Als er sich endlich aufgelöst hat, entrollt sich am Binnensee bei klassischer Augusthitze eine jener Bilderbuchszenen, wie man sie sich kaum zu erträumen wagt.

Der Große Binnensee am Ammersee Südende, Ramsar- und Vogelschutzgebiet, ist einer der bayrischen Hotspots für Wasservögel – insbesondere Limicolen und Schilfbrüter – und der am besten beobachtete und dokumentierte Vogelhotspot des Landkreises. Limicolen sind Watvögel, die Nahrung suchend in seichtem Wasser und am Wassersaum entlang eilen oder schreiten, manche hochbeinig elegant mit langen Stocherschnäbeln, andere klein, hastig pickend und auf unnachahmliche Weise mit dem Hinterteil wippend. Die meisten erscheinen plötzlich, bleiben ein paar Tage, verschwinden. Denn die Vogelwelt ist jetzt im Spätsommer schon wieder in Wechsel und Bewegung: der Vogelzug hat, wenn auch noch zögerlich, begonnen.

Blick von der Beobachterbank nach Westen auf Brutfloß und Schilfgürtel, Binnensee

Hier im Binnensee gibt es in Dammnähe eine aufgeschüttetet Kiesinsel und mitten im See ein Brutfloß, auf dem Flussseeschwalben und Lachmöwen, manchmal auch Schwarzkopfmöwen brüten. An diesem besonderen Ort kann man im Laufe des Jahres allen möglichen seltsamen und seltenen Vogelgestalten begegnen, hier eröffnet sich ein breites Spektrum zwischen Bart- und Blaumeisen, Tüpfel- und Kleinem Sumpfhuhn, Sumpfseeschwalben und Brachvögeln, Rohrdommeln, Schilfrohrsängern und Schwirlen – um nur einige zu nennen.

Gut 1000 Meter Fußweg von der Straße entfernt, an der höchsten Stelle des westlichen Ammerdammweges, bevor der zwischen Faulbaumgebüsch und kleinerer Bäumen verschwindet, steht eine Beobachterbank: von hier aus hat man den besten Überblick bis zum westlichen Schilfufer und darüber hinaus. Jetzt gegen 10 Uhr liegt nur nur noch ein leichter Dunstschleier über dem Wasser, durcheilt und durchteilt von den Flügeln der Wasservögel, und auch der verflüchtigt sich schnell.

Um die Bank herum ragen schon einige Spektive in die blaue Luft, dahinter, meist stumm versunken durch Okulare spähend, die Vogelbeobacher, Birdwatcher, Twitcher, Hobby- und mehr-als-Hobby-OrnithologInnen – und wie sie sich sonst alle nennen. Bevor man zum begehrten Beobachterplatz gelangt, muss man allerdings über ein paar dicke Felsbrocken klettern. Von wechselnden Hochwasserkräften hier zusammengewälzt, füllen sie eine Dammlücke zwischen Neuer Ammer und Binnensee. Es gelingt mir nicht immer, die Felsbrocken, oft schräg und glitschig und mit Wasserlachen dazwischen, ohne nasse Füße zu überwinden. Verstauchte Knöchel, höre ich, hat es auch schon gegeben.

Star Nummer eins – ein Dunkler Wasserläufer

Heute haben wir Glück, mein Gefährte Jochim und ich. Wir kommen erst einmal gar nicht dazu, die gesamte Felsformation zu überklettern, weil sich eine ungeahnte Szenerie gleich neben den Felsen eröffnet. Es gibt hier eine schmale Bucht, die sich um eine Kiesinsel windet, ganz ufernah und von Schilf, Gras und Seggen begleitet, bevor sie in den Binnensee mündet. Wir klemmen uns und unsere Stative zwischen Felslücken fest, schauen, warten, staunen.
Es gibt keine ausreichende Erklärung dafür, warum sich sonst scheue Wasservögel gerade hier und jetzt vom großen Equipment samt dazugehörigen Beobachtern, die dieses Equipment eifrig betätigen, nicht stören lassen. Jung und unerfahren, mag sein. Aber dennoch ist es Magie, wie jetzt im schönsten Licht ein Dunkler Wasserläufer hervortritt und rotbeinig und langschnäblig gemessenen Schrittes herumstolziert. Seinen Schnabel im Schlamm versenkt. Auch mal flötend auffliegt, ungewöhnlich nah kommt, einfach nicht scheu ist.

Dunkle Wasserläufer sind Brutvögel des hohen Nordens. Im Prachtkleid sind beide Geschlechter nahezu schwarz, einschließlich der Beine, nur oberseits die Federn sind weiß gesprenkelt: in diesem Brutkleid habe ich sie noch nie gesehen. Die Männchen, heißt es, ziehen ihre Jungen allein groß, während die Weibchen schon im Juni aus den Brutgebieten abziehen – die Natur spielt offenbar alles durch, was möglich ist.

Dunkler Wasserläufer bei der Gefiederpflege, Ammerssee Süd am 29.08.2022

Dieser zutrauliche Vogel mit seinen roten Beinen, dunkel gefärbt, doch nicht schwarz, vielgefleckt und-gestreift auch auf Hals, Brust und Bauch (die adulten Vögel im Schlichtkleid, in das sie nach der Brutzeit wechseln, sehen viel heller aus), ist vermutlich ein Jungvogel, der sich auf die Reise gen Süden gemacht hat. Er lässt uns geradezu geruhsam – geruhsam auf beiden Seiten – zusehen, wie sein Tagwerk so abrollt, das wie überall im Reich des Lebendigen zuerst und zunächst dem Überleben dient: Hier findet er reichlich Nahrung, hier kann er sich für den Weiterflug rüsten und ein wenig mästen. Überwintern wird er irgendwo im tropischen Afrika oder im südlichen Mittelmeerraum.

♫ Dunkler Wasserläufer, Flötentöne im Flug, „zufällig“ einen Tag später am Zellsee aufgenommen ♫

Star Nummer 2 – ein Tüpfelsumpfhuhn

Tüpfelsumpfhuhn, 29. August 2022, Ammersee Süd

Wenn der Dunkle Wasserläufer zwischendurch flötend ein Stückchen weiter weg fliegt, tritt wie aus einem Bühnenhintergrund ein Tüpfelsumpfhuhn hervor. Sonst scheu im grünen Nass lebend, wo sein Streifen-und Tüpfelmuster vom Gewirr der Seggen und Gräser und deren Schattenwürfen nahezu aufgelöst wird, schreitet es jetzt gemächlich und spektakulär unscheu mitten im schönsten Sonnenlicht einher.

Präsentiert sein hochgerecktes helles Schwanzdreieck und tritt mit seinen breiten grünen Rallenfüßen den Schlamm. Um manchmal ohne ersichtlichem Grund loszurennen und sich in Deckung zu bringen, aus der es kurz darauf wieder vertraulich hervortritt …

In Bayern zählen Tüpfelsumpfhühner zu den sehr seltenen Brutvögeln, zeigen sich aber im Frühjahr und Herbst regelmäßig, meist vereinzelt, an Binnengewässern wie dem Ammersee, denn auch diese schönen Rallen sind Langstreckenzieher, ihr Überwinterungsgebiet ist groß, erstreckt sich von Südeuropa bis ins tropische Afrika.

Die Brutgebiete der wenigen bayrischen Paare liegen im voralpinen oberbayrischen Hügel-und Moorland, wozu auch der Raum zwischen Landsberg, Ammersee und Zellsee zählt. In der Arteninformation des Bayrischen Landesamtes für Umweltschutz (LFU) heißt es: Das Tüpfelsumpfhuhn brütet in Bayern vor allem in Teichgebieten, an künstlichen und natürlichen Seen und Altwässern mit ausgedehnten Seggenzonen oder vergleichbaren feuchten bis nassen Grasgesellschaften
So erklärt sich, dass ich seinen Balzruf zum ersten Mal im sumpfigen Gelände gleich hinter unserem kleinen Egelsee bei Hofstetten gehört habe: Ein merkwürdiger Quakk-Laut, der kaum nach Vogel klingt und dessen Urheber sich in dem vielschattigen Grün zwischen Weiden und Seggen nicht sehen ließ. Zunächst verblüfft, dann voller Neugier habe ich ihn aufgezeichnet und ihm hingegeben gelauscht.

♫ Schon mal gehört? Ein Tüpfelsumpfhuhn „singt“ ♫

Wirklich aufregend ist jedoch eine Tonaufnahme vom Zellsee bei Wessobrunn, einer ausgedehnten Fischteichanlage, im 15. Jahrhundert von Mönchen angelegt, die hier die Rott aufstauten. Seit 2006 ist es zum Europäischen Vogelschutzgebiet avanciert. Hier brüten (und quieken) die Wasserrallen viel und gern – und ganz offenbar auch das Tüpfelsumpfhuhn. Denn

♫ dies kann nur nur der sogenannte Nestruf eines Weibchens ♫

sein, wie ich nach einiger Recherche herausgefunden habe.

Wer zählt die Arten, nennt die Namen …

Der dritte Star des Tages, nicht ganz so zutraulich, ist ein Stelzenläufer, der zierlich und graziös auf unwahrscheinlichlich hohen und dünnen Beinen herumstakt: wenn er ein Altvogel wäre, müssten die Beine leuchtend rot sein – sie sind aber nur fleischfarben blass und künden davon, dass es sich auch hier um einen Jungvogel handelt. Er bleibt leider recht weit weg.

Während hinter uns in den Bäumen an der Ammer Grauschnäpper hoch und scharf rufen und im Schilf ein Blaukehlchen kruscht, nicht leicht zu fotografieren, treten – wer zählt die Arten, nennt die Namen! – weitere durchziehende Limicolen um die Kiesbänke herum auf: ein Zwerg-, ein Temminck- und ein Sichelstrandläufer, ein Kampfläufer, Sanderling, Flussuferläufer, zwei Bruchwasserläufer. Dazu Flussregenpfeifer, die hier gebrütet haben, junge Bachstelzen. Im Hintergrund rufen melodisch zwei Grünschenkel. Und drüben, zwischen Brutfloß und westlichem Schilfgürtel, flügeln langsam und gewandt drei spektakuläre Raubseeschwalben überm Wasser, den starken roten Schnabel stets senkrecht nach unten gehalten, um plötzlich, wenn sie einen Fisch erspäht haben, steil hinabzuschießen. Was für eine Idylle an Artenfülle!

Auf ornitho dokumentiert: eine Raubseeschwalbe im Sturzflug

Gegen Mittag käschern zwei kleine Jungen Fischchen, die in den warmen Pfützen zwischen den Felsen schwänzeln. Das Wasser flimmert, die Sonne brennt und blendet. Dennoch ist es schwer, sich loszureißen und auf dem Ammerdamm zurück zu gehen. Wo er sich zu den Wiesen hin öffnet, sind seine Böschungen von Herbstzeitlosen übersät. So dass trotz Sonnenseligkeit nicht zu übersehen ist, dass der Sommer zu Ende geht und unweigerlich der Herbst anrückt.

Nachtrag vom 30. August 2022

Gestern habe ich auf Tonaufnahmen verzichtet, die am Ammersee Süd, zumal an einem Montag, kaum ohne den Autolärm, der von der Straße zwischen Dießen und Fischen herüberdröhnt, zu haben sind. Und hatte am nächsten Tag dennoch Glück – das Glück der Geduld, nachdem ich mir abgewöhnt habe, dies oder jenes zwanghaft zu erwarten und stattdessen einsammle, was gerade des meist krummen Weges daher kommt: Das waren heute am Zellsee die vielfältigen Stimmen im sonst recht stillen August

Die Watvögel auf den Sand- und Schlickinseln des Zellsees waren zwar viel zu weit weg, um sie genauer ins Auge fassen zu können, dafür jedoch recht stimmfreudig – insbesondere ein Dunkler Wasserläufer, den ich hier noch nie so gehört habe – siehe oben!
Wie sanft sie sind, die Flötentöne dieses „Nichtsingvogels“- eine Zuordnung, die der Klangfülle seiner Stimme nicht gerecht wird.
Denn obwohl Watvögel keine Singvögel sind, haben sie oft wundervolle Stimmen, in denen die melancholische Weite von Marschland, Watt und Mooren mitschwingt und die mich seit meiner Schülerinnenzeit (die ich, statt Hausaufgaben zu machen, möglichst im Hochmoor verbrachte) in Bann geschlagen haben.

Besonders schön: An meinen erhöhten Beobachtungsplatz am Rande des Eibenwaldes habe ich nicht nur eine weite Sicht über den Zellsee, sondern hier treffen sich die Wasser- und Waldstimmen in meinen Ohren und meinem Mikro in einem außerordentlichen Klangbild:

Rufe und Flugrufe von Dunklem Wasserläufer (ab Beginn) und Grünschenkeln (02:40 ff) und überfliegenden Kolkraben, am Eibenwaldrand. Ab 02:31 ein Graureiherruf. Die Schnatterenten auf dem Wasser sind ab 02:37 besonders deutlich zu hören, ab 03:55 die abfliegenden Rostgänse. Im Waldhintergrund schmatzt ein Mönchsgrasmücke und tickern Rotkehlchen.

Das Füllhorn wird ausgeschüttet: aktuelle Julinotizen

Das Füllhorn wird ausgeschüttet: aktuelle Julinotizen

Hitze, verschwimmende Linien, verschwommene Gedanken: sich durchdringende Spiegelungen am von Weiden umstandenen Egelsee

Jetzt beginnt die Noch-Zeit. Noch blühen Rosen in Garten und Feld. Noch brüten Vögel oder füttern ihre Brut. Noch singen die Zilpzalps ein paar ihrer Zipp-Zapp-Takte und die Mönchsgrasmücken ihre jubelnden Überschläge, noch orgeln hier und da Gartengrasmücken im Gebüsch. Doch der Frühling ist definitiv vorbei, schon läuft der Frühsommer aus, und wie jedes Jahr geht es mir viel zu schnell.
Hochsommer kommt. Hitze, verschwimmende Linien, verschwommene Gedanken. Das Füllhorn wird ausgeschüttet. Alles reift, strotzt, protzt. Nichts Strenges, Klares ist greifbar. Üppigkeit ist angesagt. Blühen, Auswachsen, Anschwellen von schnell vergänglichen Formen. Verschwenden.

10. Juli 2022

Seit über einer Woche ist auch die zweite Brut der Stare ausgeflogen. Jetzt streunt die Starenbande durch die Landschaft, hier bei uns sind sie kaum noch zu sehen. Keine langgezogenen Starenpfiffe mehr. Keine regelmäßige Amselflöte in aller Frühe. Auch wenn die Lerchen noch singend über mir hängen, wenn ich die Feldmark durchradle: mitten in der Fülle beginnt nun allmählich die stade Zeit der langsam verebbenden Vogelgesänge.
Weggewelkt ist das Lichtgelb des Klappertopfs, die Mohnkapseln haben ihre winzigen Samen verstreut. Aber noch blüht es üppig überall: Wegwarte, Malven, Disteln, Nacht- und Königskerzen, Kletten, Engelwurz, Lein.
In den Wildwiesen, und an Wegrändern, die nicht gemäht werden, steht das Mädesüß hoch und flaumflockig wie Wollgras, bildet seine bizarren Formen.

Auch die Lichtnelken werden gern von Zitronenfaltern angeflogen

Überm Gartenzaun hängen die Rosen, blüht die blaue Clematis. Die Taglilien öffnen sich nach und nach, die Himbeeren sind reif und die Kardenköpfe umkränzen sich mit kleinen lila Röhrenblüten, an denen zahlreiche Insekten saugen. Allen voran die leuchtend gelben Zitronenfaltermännchen, die ebenso gern Lichtnelken anfliegen. Ob Rosarot sie besonders anzieht?

Noch mit Flusen am Kopf: Junges Hausrotschwänzchen Anfang Juli

Amseln und Hausrotschwänze tun heimlich. Vorhin, als ich still saß, zeigte sich kurz hintereinander das Rotschwanzweibchen, knickste mit Futter im Schnabel, äugte, knickste, äugte – und verschwand am Nachbarhaus unterm Dachfirst, da, wo ein Balken vorspringt.

♫ Bettelrufe junger Hausrotschwanz-Nestlinge kurz vorm Flüggewerden ♫

Schon gerötet: Flügges Hausrotschwänzchen Anfang Juli

Die Häuser sind der Fels, auf dem sie jedes Jahr brüten, und überall im Dorf wird frühmorgens ihr raues Lied von den Dächern herunter geschmettert.

♫ … noch ist ihr raues Lied von den Dächern herunter zu hören ♫

Auch die Amseln versorgen jetzt ihre zweite Brut. Wieder schlüpfen Amselweibchen und -männchen mit dicken Würmern im Schnabel umher, aufmerksam nach allen Seiten äugend, verschwinden, wenn sie sich unbeobachtet glauben, ganz oben im dunklen Eck, wo unsere beiden Haushälften zusammenstoßen und die wuchernde Jungfernrebe ihrem Nest vollkommenen Sichtschutz bietet.

Die Greifvögel haben ebenfalls erfolgreich Junge großgezogen, allen voran und unüberhörbar die Mäusebussarde.

Vom Waldrand herüber schreien junge Mäusebussarde

Bis vor einigen Jahren brüteten hier im Forst, gleich um die Ecke, Habichte, die an und ab ein Huhn holten, und jedes Jahr mehrere Junge großzogen. Zu sehen waren die Ästlinge kaum, aber ihre Bettelrufe gellten aus verschiedenen Tiefen des Waldes und zitterten noch in den Blättern nach, wenn die nächste Bettelserie losbrach.

♫ … ihre Bettelrufe gellten aus verschiedenen Tiefen des Waldes ♫

Leider sind Habichtästlinge seit einigen Jahren nicht mehr zu hören. Wohl aber die Rufserien der Alten, sie müssen jetzt in einem anderen Teil des Waldes brüten.

11. Juli 2022

Die Staudenwicke hat sich hochgereckt, lehnt weit überm Zaun. Ihre rosaroten Blütenschlünde sind bei Insekten sehr beliebt, die Zitronenfalter besuchen sie scheinbar noch lieber als die Kardenköpfe.
Was da vorhin angeschwärmt kam ist aber dick, fast plump und dennoch zum Staunen schön.
Zuerst ist nur ein tiefes Brummen zu hören. Dann erscheint ein geflügeltes Wesen mit dickem schwarzschillerndem Leib und schimmernden blauen Flügeln. Glasflügler geht mir im ersten Moment durch den Kopf, denn die blauen Flügel sind durchsichtig. Aber Glasflügler, die zu den Schmetterlingen zählen, haben zarte Leiber. Und können Schmetterlinge brummen?

Die blauflügelige Holzbiene an einer Staudenwickenblüte …
… mit Blütenstaub hinterm Kopf …

Dann erinnere ich mich an den Weinberg im Kaserstuhl, wo wir, erfolgreich, nach dem Turteltaubenpaar fahndeten und wo ein ausladender Blasenstrauch von großen schwarzen Insekten umschwärmt wurde. Worauf uns die Winzerin extra hinwies, denn hierzulande sind sie selten: Holzbienen!
Ein besonderer Gast also. Oder ein Neubürger? Eine der südlichen Arten, die mit der Klimaerwärmung langsam nach Norden vordringen und, wie meine Recherche ergibt, unter den Lippen- und Schmetterlingsblütlern Wicken als Nahrungsgeber bevorzugen – vielleicht ist der Wickenschlund für ihren Saugrüssel besonders passgerecht!

… und mit durchsichtigen blauen Flügeln – hier links vom Wickenrosa durchschimmert

Holzbienen brauchen das, was in gewöhnlichen Gärten selten vorkommt: mürbes, morsches Totholz, in das sie mit kräftigen Mandibeln ihre Nestgänge nagen. Jede für sich allein, denn sie leben solitär.
Wie unerschöpflich das Füllhorn ist!
Allmählich begreife ich, dass wir die Natur nicht zerstören können. Wohl aber jene natürlichen Grundlagen, auf denen unsere Existenz auf diesem Planeten beruht.

Jetzt stehe ich am Zaun und staune. So viel blau-schwarze Exotik! Auch wenn man ihn im Gewirr der Blüten nicht immer sehen kann: es ist leicht den Flug des Blaugeflügelten zu verfolgen: Tiefes Brummen und das Wippen der Wickenblüten markieren seinen Zickzackkurs.

14. Juli 2022

Sommer ist. Es ist heiß und zunehmend trocken, die Luft zwischen den Feldern riecht hitzig nach Staub und Getreidebrodem, die Frühlingswürze hat sich verflüchtigt.

Die Hollerbeeren sind schwarz geworden, schwarz mit ein wenig Blauschimmer, die Vogelbeeren leuchten rot. Ganz im Gegensatz zum letzten Jahr gab es heuer auch bei den Ebereschen ein großes Fruchten. Ob die Wacholderdrosseln wiederkommen, um sie zu ernten?

Zeit der jungen Vögel.
Bei der Futterstelle im Hollerbusch, direkt vor unserem Schlafzimmerfenster, hocken erneut aufgeplusterte junge Spatzen, betteln mit bebenden Flügeln, lassen sich von den Eltern die Schnäbel stopfen, obwohl sie selber längst fressen können. Das dürfte jetzt die dritte Brut sein.
Junge Blaumeisen kommen an die Futterstelle gehuscht, klein und zart, noch recht blass auf dem Scheitel, die Wangen gelb. Junge Kohlmeisen sind vor kurzem wieder aufgetaucht, ihrem Bettelgeschrei nach gerade flügge geworden, auch sie noch im blassen Jugendkleid.

Junge Bachstelzen auf dem Dachfirst

Die Bachstelzen, die seit Jahren ihr Nest auf dem Nachbardach hinter den Solarmodulen bauen, spazieren auf dem Dachfirst entlang, singen aber selten. Man hört ihren leisen Gesang ohnehin nur, wenn man ein wenig Glück hat und sehr aufmerksam ist:
♫ Bachstelzengesang, eine Mischung aus Rufen und leisem Schwätzen, schnell dahin plätschernd wie ein kleiner Bach ♫
Jo hat eine der Amseln mit Würmern im Schnabel gesehen, heimlich wie stets. Sie füttern also ihre zweite Brut.

In der Kiesgrube sammeln sich die Graugänse, junge und alte, rund 250 habe ich vorgestern gezählt. Ein Zwergtaucher kurvt herum, noch ist auf erfolgreiche Brut zu hoffen – letztes Jahr zeigte sich hier Anfang September ein Zwergtaucher, der sein Küken auf dem Rücken trug.
Die Flussregenpfeifer sind weiter präsent, sie haben erfolgreich gebrütet und fliegen lebhaft rufend hin und her. Und nicht weit von der Kiesgrube, im Bibersumpf, schwer einzusehen, tauchte heute plötztlich eine Kolbenente auf, ein Weibchen, und zog zehn eilig paddelnde und piepsende Küken hinter sich her, darunter zwei fast ganz schwarze, die wie Reiherentenküken aussahen. Während im großen Gebüsch am Rande geradezu ekstatisch eine Gartengrasmücke sang, einer dieser Sänger, die außerordentlich lange Sequenzen orgeln.

Landsberg ist leider keine Stadt, über deren Zentrum im Sommer ständig viele Mauersegler präsent sind und hin- und her schießen, mit diesen hohen schrillen Schreien, die für mich d e n Stadtsommersound schlechthin bilden. Deshalb war es heute heute ein Glücksfall, im Westteil der Stadt wieder einmal einen Trupp von etwa zwanzig Vögeln zu sehen, die im üblich rasanten Tempo über die Straße stürzten. Eine bittersüße Beobachtung, denn in Kürze, Anfang August, wird es die Luftjäger schon wieder forttreiben aus ihrem Sommerrevier, das sie nur für diese kurze Brutperiode besuchen. In Landsberg brüten sie vor allem in der Breslauer Straße, weil hier für sie zahlreiche Brutkästen aufgehängt worden sind, durch deren Schlitze sie zielsicher und mit großer Geschwindigkeit einfahren, mitten aus dem Flug.

♫ Nur einen kurzen Sommer lang zu hören: die schönen schrillen Schreie der Mauersegler über der Stadt ♫

Wir haben das an einem warmen Juliabend von einem der Gärten hinter der Häuserfront bis in die Dämmerung hinein beobachtet. Und gehört, wie ihre Schreie mit dem Späterwerden schriller wurden, wie sie gruppenweise heranjagten und über unsere Köpfe sausten, manchmal so tief, dass der scharfe Laut, mit dem ihre Flügel die Luft durchschnitten, in unseren Ohren gellte, während im Hintergrund eine Stadtamsel und ein Großes Grünes Heupferd ihre geruhsamen Abendlieder sangen.

Kleine Wildnis zwischen Holler und Heckenrosen – Ortstermin mit Neuntötern

Kleine Wildnis zwischen Holler und Heckenrosen – Ortstermin mit Neuntötern

23. Juni 2022

In einer Landschaft, in der nichts unberührt ist und jedes Fleckchen vom Menschen in Angriff genommen wurde, gehören Kiesgruben zu den allerdurchwühltesten Orten. Dennoch macht sich hier, wo kleine Bereiche ungestört bleiben, schnell wieder etwas breit, was ein wenig verächtlich Wildwuchs genannt wird, hochtrabender: Sekundärhabitate, in denen sich Vögel, Amphibien und Insekten ansiedeln, die sonst keine Bleibe mehr haben.
Neuntöter zum Beispiel.

Neuntötermännchen: immer auf auf hohem Ansitz

Nicht weit von unserem Wohnort schlingt sich ein holpriger Weg, meist verlassen, um eine kleine Kiesgrube herum. An der einen Seite eine steile Böschung, die zum Feld hin abfällt. Das wiederum erstreckt sich zwischen Straße und Wald. An der anderen Wegseite ein Maschendrahtzaun. Er grenzt die Kiesgrube ein, die nur gelegentlich von Transportlastern befahren wird. So weit ich das wahrnehme, wird hier nicht mehr abgebaut, nur noch befüllt. Wildwuchs drängt sich vor und hinter dem Zaun. Zur Böschung hin ein ineinander verwachsenes Holler- und Wildrosengebüsch: Ideal für ein Nest im Verborgenen.

Im Schattenriss: Neuntöter mit Insektenfutter im Schnabel

Hier müssen sie gestern ausgeflogen sein. Ständig war das Männchen auf seiner Ansitzwarte präsent und ständig warnte das Weibchen. Im Schattenriss war auch zweimal ein Altvogel mit einem Schnabel voll Insekt zu sehen, einem großem Insekt, mit dem es im Busch verschwand.

Neuntötermännchen in Weide hinterm Zaun

… und ständig warnte das Weibchen

Jetzt ist es hier so still, als wenn gestern nichts gewesen wäre. Nur kurz, denn es ist noch früh, lärmt ein einzelnes Auto vorbei. Und noch einmal lästiges Reifengeräusch. Am Himmel weiße Bauschewolken, bewegen sich kaum. Auf dem langen kahlen Zweig hinterm Zaun, auf dem gestern ständig das Männchen saß: nichts.

Ich spüre, wie die Sonne langsam meinen Rücken wärmt und baue zögernd mein Spektiv, meine Kamera auf. Berge mich, so bewegungslos wie möglich, an der Seite zwischen Wildkräutern und Holler. Deutlich kann ich fühlen, wie mein Eindringen die Stille stört, die hier wie in allen Naturräumen herrscht: dies gärige Knistern und Knispern, dies tonlose Gespräch, das all das Lebendige ringsum stets und ständig miteinander führt und das unseren tauben Ohren zumeist verschlossen bleibt.

Ich versuche mich nicht zu rühren, wie weiland Annie Dillard, wenn sie sich auf Bisamrattenpirsch befand. In ihrem Buch Pilger am Tinker Creek beschreibt sie in dem großartigen Kapitel Pirschen, wie sie sich Bisamratten nähert – auch Zwergbiber genannt -, die keine Ratten und extrem wachsam sind, fast noch wachsamer als Vögel:

Das Pirschen ist eine reine Fertigkeit … . Glück spielt selten eine Rolle. … Noch mehr als Baseball ist Pirschen ein Spiel, das total in der Gegenwart gespielt wird. Zu jeder Sekunde entscheidet mein Geschick, ob die Bisamratte kommt oder bleibt oder flieht. Kann ich mich still verhalten? Wie still? Es ist erstaunlich, wie viele Leute nicht still halten können oder wollen. Ich könnte und wollte im Haus keine dreißig Minuten stillhalten, aber am Fluss werde ich langsam, zentriere mich, werde leer. … In meinem Kopf sage ich nicht: Bisam! Bisam! Da! Sondern ich sage nichts. Wenn ich in einer Stellung verharren muss, mache ich mich nicht steif … sondern werde ruhig. Ich zentriere mich, wo ich gerade bin, ich finde eine Balance und eine Ruhehaltung. Ich ziehe mich nicht zurück in mein Innenleben, sondern aus mir heraus, so dass ich ein Sinnengewebe bin. Ganz gleich, was ich sehe, es ist genug, mehr als genug. Ich bin die Haut auf dem Wasser, auf der der Wind spielt; ich bin Blütenblatt, Feder, Stein.
aus: Pilger am Tinker Creek, Matthes & Seitz, Berlin, Naturkunden No. 28. Im Englischen Original 1974 erschienen

Ja, das ist es, das trifft genau den Punkt: Aus sich selbst heraustreten. Warten, nichts erwarten. Nur ein Ohr, ein Auge, ein Sinnengewebe sein! Jetzt nehme ich die erste flüchtige Bewegung wahr, dort, im Gebüsch weiter unten am Weg, das von Brennesseln umwuchert wird. Langsam gelingt es meinen Augen, licht- und schattenerfüllte Lücken zwischen den Blättern zu unterscheiden. Bin plötzlich sehend und kann sie erspähen: Ja, oja, da hocken sie in einer gut belichteten Lücke zwischen den

Zwei der drei Jungen, halb versteckt im Gebüsch

Zweigen, rücken und ruckeln ein wenig hin und her oder huschen kurz auf und ab, bewegen sich sonst kaum: drei Junge, gerade flügge; offenbar gut genährt und recht still auf Futter wartend. Dass sie so still sind, wundert mich. Denn gelegentlich betteln junge Neuntöter recht laut. Mag sein, dass diese hier zu weit weg sind, zu leise oder jünger als die auf der älteren Tonaufnahme.

♫ … denn gelegentlich betteln Neuntöterjunge recht laut ♫

Wenn sie nicht füttern, hocken Männchen und Weibchen ebenfalls auf diesem Gebüsch, besser sichtbar als die Jungen, auch sie heute recht still. Ich entdecke sie erst nach und nach. Das Männchen sitzt oben auf einem hervorspießenden kahlen Zweig, das Weibchen weiter unten, viel unauffälliger.

Spät sind sie aus dem südlichen Afrika zurückgekommen und schon ab Mitte Juli , spätestens im August wird sich der Familienverband auflösen und aus diesem Brutgebiet verschwinden, die Alten früher als die Jungen. Um, jeweils einzeln, schon früh im Herbst die lange Reise nach Afrika anzutreten, über die Sahara hinaus.

Neuntöter gelten in Deutschland als noch nicht gefährdet, doch ist ihr Lebensraum durch die sogenannte Flurbereinigung stark geschrumpft. Ihre nahen Verwandten, Rotkopfwürger und Schwarzstirnwürger, sind in Bayern längst ausgestorben, seit Ende der 70er Jahre, und der Raubwürger wird auf der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht“ geführt.

Wie gut, dass sie hier vor Ort Erfolg hatten, die schönen Vögel mit den hässlichen Namen. Neuntöter, Rotrückenwürger, Dickkopp, Dorndreher – weil sie erbeutete große Insekten manchmal als Vorrat oder Zerkleinerungshilfe auf Dornen aufspießen, eine Kunst, die die Jungen von ihren Eltern erst lernen müssen.
Heckenschmätzer wurden sie früher ihres Rufs wegen genannt. In dieser Aufnahme, die ich erst gestern gemacht habe, sind die schmätzenden Laute von Weibchen und Männchen besonders deutlich zu hören. Zwischendurch, ab 0:16, Bettelrufe der Jungen, die sich nun doch ein wenig Gehör verschaffen. Im Hintergrund singt, ab 0:07, besonders beharrlichlich eine Goldammer.:

„Heckenschmätzerrufe“

Der kuriose Neuntötergesang ist dagegen selten zu hören, und nur zu Beginn der Brutsaison
Anfang Mai, als ich in den Raistinger Wiesen Tonaufnahmen von Braunkehlchen machte, ist mir zufällig so ein langer Gesang ins Mikro geraten. Er hat mich zunächst irritiert, dann zunehmend fasziniert. Weil ich ihn hörte, ganz unvermittelt, während ich ein Braunkehlchen im Visier hatte: ein leises, eigenartig krauses Geschwätz mit vielen Imitationen und manchmal schönen Tönen dazwischen.

Neuntötergesang mit Feldlerchenbegleitung in den Raistinger Wiesen am Ammersee

Jetzt ist die Jahreszeit längst über Neuntötergesänge hinweggegangen. Sie werden erst wieder, mit Glück, im nächsten Mai zu hören sein. Und, wie sehr zu hoffen ist, auch an diesem wildwüsten dornigen Ort!

Nach der Fütterung: Weibchen (oben) und Junges