Dies ist der Dialog eines Kolkrabenpaars im Wald – der höherfrequente Schwirrgesang, der bei 4 und 11 darüber liegt, stammt von einem durchziehenden Waldlaubsänger. Die seltsamen Schnalzgeräusche zwischen den fünf „Krächzsätzen“ sind nach meiner Erfahrung typischer Teil der Kommunikation von Rabenvögeln – auch bei Krähen habe ich schon Ähnliches gehört. Die beiden Raben entwickeln in ihren fünf „Krächzsätzen“ (starkfarbig gezeichnet) einen regelrechten Sprechrhythmus – so dass ich verlockt war, dem eine aktuelle „Übersetzung“ zu unterlegen, wie im Sonagramm darunter gut zu verfolgen ist:
He, mag/ste Men/schen? ……kras/se Spe/cies, echt……….Habn wir Glück ge/habt…………So’n Glück Ra/be ………………………………………………………………………………………………………………………………..zu sein
Wenn man vom Dießener Beobachtungsturm auf die schmale Landzunge in der Ammerseebucht schaut, sieht man kahle Bäume, die nur noch Misteln tragen, ein paar Vögel vielleicht, die sich dort für kurze Zeit niederlassen und, auf dem abgestorbenen Baum in der Mitte, den Fischadlerhorst, der im Sommer für so viel Aufregung gesorgt hat. Denn hier in Oberbayern sind, zum ersten Mal wieder seit mindestens einhundertundfünfzig Jahren, zwei Fischadlerjunge flügge geworden. Bis vor Kurzem sind die Jungen hier noch herumgestreift. Jetzt sind sie wie die Alten verschwunden, vielleicht schon auf dem Weg nach Afrika. Der Horst ist leer von Leben, nebelgefüllt.
Fischadler wurden wie viele andere Fischfresser – insbesondere Graureiher, Kormorane, Fischotter – unerbittlich als „Nahrungskonkurrenten“ des Menschen verfolgt und waren Ende des 19. Jahrhunderts so gut wie ausgerottet. Inzwischen sind sie, durch strenge Maßnahmen geschützt, zurückgekommen. Die Freude unter den Naturschützern ist groß – aber wie lange wird sie anhalten? Sowie eine nichtmenschliche Species sich von den gnadenlosen Nachstellungen der Species Mensch erholt hat und sich mehr als gewünscht ausbreitet, wird ihr Schutz wieder durch Sondermaßnahmen aufgeweicht. Und die heißt in der Regel: töten.
Gänsesäger-Besuch auf dem Egelsee, Raum Landsberg, Februar 2022
Der Gänsesäger, diese schöne große Entenart, ist bei uns ein seltener Vogel und steht als stark gefährdete Art auf der Roten Liste bedrohter Arten. Er unterliegt nach wie vor dem Jagdrecht, obwohl für ihn eine ganzjährige Schonzeit besteht und er seit 1976 nicht mehr gejagt wird. Selten ist auch die Äsche in unseren Wildflüssen geworden, und wie immer, wenn eine Art zurückgeht, ist dafür ein Bündel von Faktoren verantwortlich: Zum Beispiel, dass Äschen Wassertemperaturen von 26°C und darüber nicht vertragen können, dass zahlreiche Querbauten im Fluss die Wanderung dieser Lachsfische verhindern und dass Pestizide auch ihnen allmählich den Garaus machen. Bis jetzt sind nicht einmal die Mageninhalte der getöteten Vögel ausreichend untersucht worden, um festzustellen, wieviele Äschen sie tatsächlich fressen. (1)
Ein Gänsesägerweibchen im Mai 2021 mit vier von insgesamt fünf Jungen auf der Windach
Es entspricht der vorherrschenden Totschlagmentalität, dass, statt das Zusammenwirken all dieser Bedingungen gründlich zu untersuchen, die Vögel – diese Fischterroristen! – erst einmal abgeknallt werden. „Vergleichbare Referenzstrecken“, „weiter ausreichend belastbares Material sammeln“ – was für ein fadenscheiniges wissenschaftliches Mäntelchen wird doch dieser nur allzu offensichtlich einseitigen Aktion umgehängt, die vor allem im Interesse der Fischereiverbände steht und wieder ein neues Ungleichgewicht schaffen wird.
Die Stimmen der Gänsesäger sind nicht oft zu hören. Aber wenn sie sich hören lassen – wie eigenartig, wie schön!
Ein nebelverhangener Dezembertag. Auf einem kleinen Anglerteich ist ein Trupp von 18 Gänsesägern eingeflogen, die kräftig im Wasser herumplatschen. Während sich der Nebel ringsum nur langsam auflöst, geraten die großen, meist stummen Entenvögel in vorfrühlingshafte Balzlaune. Die sanften, leise klingelnden Laute der Männchen, mit Widerhall und in wiegendem Rhythmus (deutlich ab 00:11), bilden einen reizvollen Klangteppich für die rauen und dunklen Knarr -, kra-ka und kro-kro-Rufe, mit denen die Weibchen antworten.
Der geschätzte Brutbestand in Bayern beträgt zur Zeit um die 500 Brutpaare – inzwischen sind 440 Gänsesäger getötet worden. Und bis Ende 2025 soll es so weitergehen! Wie übrigens will man ausschließen, dass diejenigen, die hier ahnunglos als Wintergäste auf unseren Flüssen landen, nicht auch abgeknallt werden? Heute in den einen Trupp geschosssen, morgen in den nächsten, der unvergrämt und ahnungslos daherkommt und so fort – wie wissenschaftlich ist das denn? Und woran erinnert das, heute, an diesem dunklen Novembertag? Der überschattet wird von der Wahl eines US-Präsidenten, der darauf brennt, das Klimaschutzabkommen zu annullieren und Migranten massenweise zu deportieren. Der verdunkelt wird von mörderischen Kriegen – ja, ich weiß, Kriege sind immer mörderisch – in der Ukraine, in Gaza, im Libanon, im Sudan … – Kriegen, die oft von Genoziden nicht weit entfernt sind, in denen „gezielte Tötung“ längst en vogue und der Schutz von Zivilisten aufgehoben ist. Eine Species, die so miteinander umgeht, ist von der zu erwarten, dass sie ihre Mitlebewesen schont? Nebelland hab ich gesehen, Nebelherz hab ich gegessen … (2) Die Dunkelheit nimmt zu.
9. November 2024
Wieder ein Dunkeltag in der deutschen Geschichte. Scheitern der Märzrevoloution 1848, Novemberrevolution 1918, Hitler-Ludendorffputsch 1923, Novemberpogrom 1938. Und die Maueröffnung 1989, die allerdings ein Lichtblick war. Ich erinnere mich noch lebhaft an die aufgewühlte Stimmung in Berlin – wo wir damals lebten – an die jungen Leute, die rittlings auf der von Graffittis bedeckten Mauer saßen und bunte Brocken herausklopften, an das aufgewühlte brodelnde Lärmen zwischen Potsdamer Platz und Checkpoint Charlie.
Ganz aktuell gab es bei uns heute einen kleinen, aber aufmunternden avifaunisten Lichtblick in all der Novembergräue: zum zweiten Mal in diesem Herbst haben drei Stieglitze die dicken Distelköpfe der Karden angeflogen und lange, kopfüber, kopfunter, die Samen herausgeklaubt – darin sind sie Meister. Im Gegensatz zu den Sperlingen, die es ihnen gelegentlich nachzumachen versuchen und kläglich daran scheitern.
Mit ihrem kräftigen spitzen Schnäbeln klauben Stieglitze Samen aus vielen verschiedenenartigen Wildstauden – besonders gern aus Disteln wie dieser Karde in unserem Garten. Distelfinken hießen sie früher
Alles Lebendige, alle Lebewesen sind im Grunde Lichtträger, kleine Leuchtfeuer in der Finsternis unseres Weltalls und der Dunkelheit unserer Erde. Vögel sind dies in besonderer Weise, und Stieglitze mit ihren exotisch bunten Federn zeigen das schon im Äußeren. Sie sind unverkennbar mit ihrem leuchtgelben Flügelstreif, ihrem schwarzweißen Kopf und rotschwarzen Gesicht – in diese Farben müssen die grauköpfigen Jungen im Laufe des Sommers aber erst hineinwachsen.
Wellig wie ihr Flug, licht und lebhaft sind auch die Gesänge der schönen Bunten. Es ist gar nicht so einfach ♫ Einzelgesänge ♫ aufzunehmen, obwohl ein Stieglitz seinen Schnabel nie lange halten kann. Denn sie leben gesellig, bilden auch in der Brutzeit keine Territorien, um die sie sich streiten könnten, und streifen nach der Brutzeit in kleinen Gruppen, im Herbst und Winter oft in großen Schwärmen umher. In unseren Breiten bleiben sie auch den Winter über da und vereinigen bei mildem Wetter ihre Stimmen zu großen Gemeinschaftsgesängen.
In den Bäumen zwischen Bauernhof und Feld entdecke eine große Gruppe von etwa 80 Stieglitzen, zusammen mit einigen Grünfinken. Die bunten Vögel und ihre Stimmen sind ständig in Bewegung: auffliegend, wieder landend, hin und her, auf und ab, singend und singend. Ihre kleinen Einzelgesänge fließen zu einem großen, unüberhörbaren Gruppengesang zusammen, der Helligkeit verbreitet. In der Nähe gibt es ein Feld mit Sonnenblumen, die letztes Jahr nicht geerntet wurden, und dort tummeln sich viele Vögel, vor allem Nebelkrähen und ca. 400 Stieglitze, die lebhaft Späternte halten.
Distelsamen für Distelfinken – links und rechts grauköpfige Junge im Spätsommer
Klänge wie Bilder: kleine lichte Erinnerungen, gespeichert für düstere Tage – gut, dass es sie gibt!
18. November 2024
Nach dem frühen Schneeeinbruch vor 5 Tagen ist schon alles wieder dahingeschmolzen. Es weht ein starker Wind, und die Doppellinde ist nun gänzlich von Blättern entleert und in ihren Wintermodus eingerückt. Jetzt zeichnet sich jedes Zweiglein deutlich vom Morgenhimmel ab, und der Morgenhimmel hängt sein blasses Blau in die Lücken, die vormals ein dicker Blätterpelz füllte. In keiner Jahreszeit tritt der endlose Rhythmus von Werden und Vergehen so deutlich hervor wie in dieser Jahreszeit. Und wer’s nicht hat, dies Stirb und Werde ist nur ein trüber Gast auf dieser schönen Erde, hat Goethe gedichtet. Jetzt offenbart sich die auflösende Kraft der großen Transformation, der alles unterworfen ist. Schwere Worte aus der Bibel kommen mir in den Sinn: Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom; sie sind wie ein Schlaf, gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird, das da frühe blüht und bald welk wird und des Abends abgehauen wird und verdorret. In anderen, moderneren Worten: Alles gibt sich der großen Transformation hin. Form löst sich auf., Licht kehrt zurück zum Ursprung. Was bleibt, ist Dunkelheit. Wir leiden an der Freiheit der Vergänglichkeit. (3)
Winterlinde im MärzWinterlinde im AprilWinterlinde im Mai
An der Freiheit der Vergänglichkeit leiden Bäume wohl kaum. Und Tiere vermutlich auch nicht. Sie sind schlicht – wirklich schlicht? – in die große Transformation eingebunden, der sie sich fraglos und ohne Gehirnakrobatik hingeben können. Und müssen.
Winterlinde im NovemberWinterlinde im OktoberWinterlinde im Januar
Und bei aller Melancholie: ohne das kleine Glück des Alltags kann auch ein Mensch nicht leben. Dieses Glück bestand heute darin, dass wir bei unserer Wasservogelzählung neben einer großen Schar Stockenten einen Trupp Gänsesäger auf dem Windachspeicher gesichtet haben, Männchen und Weibchen. Denen allen ich wünsche, dass sie das sinnlose Gejagtwerden im Rahmen eines fragwürdigen „Forschungsprojekts“ unbeschadet überstehen!
23. November 2024
Gestern hat es nach mittäglichem Sonnenschein wieder zu schneien begonnen. Heute ist der Himmel blau, die Linde hat ihre Schneelast schon wieder verloren, aber ringsum sind Felder und Wiesen weiß. Ich habe jetzt die letzten Seiten von Imre Kertesz Roman eines Schicksallosen gelesen. Imre Kertesz, ungarischer Jude, Nobelpreisträger, der mit 14 Jahren auf der Straße aufgegriffen wurde und Auschwitz und Buchenwald überlebt hat: … dort, zwischen den Schornsteinen gab es in der Pause zwischen den Qualen etwas, was dem Glück ähnlich war. (4) Was für ein aufrührerisches Resumee, gefährlich missverständlich, weshalb das Buch von den Verlagen zunächst abgelehnt wurde. Aber kein Zweifel, nicht nur für Kertesz ist es wahr, oder zumindest: wahrhaftig. Am Leben sein, das Lebendige spüren … das Geschöpfliche in uns allen, die nichtmenschlichen Lebewesen selbstverständlich mit eingeschlossen. Das geschöpfliche Glück des Augenblicks ist offenbar unauslöschlich, solange es Leben gibt.
27. November 2024
Nach einem zweiten Schneeeinbruch vor einer Woche sind kaum noch weiße Flecken in der Landschaft zu sehen. Es herrscht strahlender Sonnenschein.
Unser Haustier ist jetzt eine Kreuzspinne, die wir zu schützen suchen. Sie haust seit vielen Wochen in der Ecke zwischen dem Hängebrett über dem Herd und dem Regal, das im rechten Winkel dazu angebracht ist. Manchmal lauert sie groß und dunkel in ihrem Netz, das wir kaum sehen können. War sie erfolgreich, zieht sie sich unter das Hängebrett zurück, hockt da tagelang – bewegungslos, zusammengekrumpelt, für den flüchtigen Blick nicht zu sehen. Dann plözlich ist sie wieder da, schwebt in ihrem unsichtbaren Netz, lauert … Diese Ecke wird von uns nicht angerührt. Und ist sie nicht schön?
30. November 2024
Nilgans – gerade mal vom Partner ein wenig abgerücktRostgänse – im Gleich“klang“ und offenen Auges ruhen …
Heute konnte das Licht den Nebel erst gegen 11 Uhr durchdringen. Der November geht zu Ende, mit Kriegsnachrichten, Sonne und früher Dunkelheit. Und mit zwei Gänsepaaren in der Kiesgrube, Rost- und Nilgänsen, beides Neozoen, eingebürgerte Fremdlinge, die sich dicht nebeneinander sonnen. Was für ein friedliches Bild …
(1) siehe auch LBV: Wir fordern Ende der Jagd auf Gänsesäger (2) letzte Zeilen aus Ingeborg Bachmanns Gedicht „Nebelland“, veröffentlicht 1956 in „Anrufung des Großen Bären“, R. Piper & Co Verlag München (3)aus Llewellyn Vaughan Lee, „Jahreszeiten der Liebe“, Oneness Center Bern 2014, S. 223 (4) aus Imre Kertesz „Roman eines Schicksallosen“, Rowohlt Berlin 1996,10. Auflage 2003, S. 287
Der Kiebitz, Vogel des Jahres 2024 – ob wir das Ding mit dem Gaukler noch schaukeln?
Ein Kiebitzküken, das laut und dringlich ruft. Bettelt es um Futter? Sicherlich nicht. Kiebitzküken sind Nestflüchter und müssen sich von Anfang an selbständig mit Nahrung versorgen. Aber in den ersten zehn Tagen nach dem Schlupf müssen sie von den Alten gehudert werden und brauchen noch wochenlang den ständigen Begleitschutz ihrer wachsamen Eltern … Foto Gunther Zieger, Bildarchiv LBV
Ein Foto, das berührt, sicher nicht nur mich. Denn das Küken braucht auch unseren Schutz und steht für die Verletzlichkeit unserer Mitgeschöpfe, der wir in keiner Weise gerecht werden. Im Gegenteil: Zerstörung und Zerschneidung von Lebensräumen durch täglichen Flächenfraß, Klimakrise, intensive Landwirtschaft mit ihrem ungebremsten Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln, Stickstoffeintrag in und aus der Luft – all dies kulminiert in der gegenwärtig größten Katastrophe: dem Artensterben. Zu wenig beachtet, schon längst im Gange. Die Wissenschaftler nennen es inzwischen das sechste Massenaussterben in der Geschichte unseres Planeten – und das erste, das menschengemacht ist. Dass sich die Natur in Millonen von Jahren erholen und neu beleben kann, hat sie nach dem fünften Massenausterben, mit dem die Welt der Dinosaurier für immer vernichtet wurde, bewiesen. Diesmal ist die Art, die mit Sicherheit vernichtet werden wird, wenn die Entwicklung so weitergeht, unsere eigene Art. Jedenfalls als eine, die auf Gesellschaft, Kultur und Zivilisation beruht.
Dabei sind die Geschöpfe, denen wir mit unserer zerstörerischen und gierigen Ökonomie die Lebensgrundlagen entziehen, so schutz- und bewunderungswürdig. Darunter auch die, die es derzeit bei uns am meisten triftt: die Wiesenbrüter. Uferschnepfe, Rotschenkel, Großer Brachvogel, Bekassine, Wachtelkönig, Braunkehlchen, Wiesenpieper, Grauammer – und eben Kiebitz. In Alwin Voigts altem Exkursionsbuch zum Studium der Vogelstimmen, überarbeitete 11. Auflage von 1950, heißt es: Der Kiebitz ist ein so häufiger und in jeder Beziehung so ausgezeichneter Sumpfvogel, dass er leichter zu finden und zu bestimmen ist als irgendein anderer …
Ein Kiebitzmännchen mit langer Federholle …… von Jochim Varchmin auf Borkum fotografiert
Lang, lang ist’s her. Aus gutem Grund wurde der Kiebitz, dieser „ausgezeichnete Sumpfvogel“, ursprünglich in Feuchtwiesen heimisch, wie es sie z. B. auf Borkum noch gibt, zum zweiten Mal von NABU und LBV zum Vogel des Jahres 2024 gewählt. Und er ist schön. Mit Schillerglanz im Gefieder und im Wind wehender Federholle – das Männchen trägt sie besonders lang.
Viele Jahre lang haben uns die Rufe und Flugmanöver dieser charismatischen Regenpfeifer während des Krötensammelns am Amphibienzaun begleitet. Denn ihr Brutgebiet am Egelsee, einem von großen Weiden umstandenen Anglerteich am Rande eines Seggenrieds, liegt dem Krötenzaun genau gegenüber.
Gaukeln mit runden Flügeln – vom spektakulären Balzflug ein spektakuläres Foto von Andreas Hartl, Dorfen …
Ihr Gaukelflug im Frühjahr hat herrlich clowneske Züge: sich in der Luft hin und her werfen, zur Seite kippen und im Sturzflug nach unten trudeln, sich kurz vorm Aufprall auffangen, weiter gaukeln … Diese „Luftsprünge“ haben den Kiebitzen im Englischen den Namen Lapwings eingebracht. Worte und Fotos sind blass gegenüber der prallen Lebendigkeit, die sich dabei dicht über unsreren Köpfen abspielt, besonders, wenn das Wuchteln der breiten Flügelpaddel uns dabei in die Ohren wummert.
Erstaunlich – und für mich unwiderstehlich – sind die Balzrufe der Lapwings. Die können, obwohl Kiebitze keine Singvögel sind, gut und gern als Gesänge durchgehen. Sogar als Duettgesänge, denn wie oft konnte ich sie im Frühjahr zweisam gaukeln und „chiuwitten“ hören – und aufnehmen. In der folgenden Tonaufnahme ist das Wuchteln gleich zu Beginn zu hören, und in 00:22 ein nahezu synchrones Duett.
Zunächst waren es zwei Paare, die wir seit unserem Herzug, das war 2003, beobachtet haben. Dann war es nur noch ein Paar, das Jahr für Jahr wiederkam. 2019 haben wir es sogar noch seine Küken führen und bewachen sehen. Das war kurz vor dem großen Hagelunwetter und das letzte Mal, dass auf dem Feld hier Mais angebaut wurde
Das Kiebitzweibchen führt hier 2 Küken – Bildrand rechts und links Gegenüber am Toteisloch hält das Kiebitzmännchen Wache
Im Frühjahr 2020 stand der Winterweizen schon in dichten Reihen – und andere Bruthabitate als das ehemalige Maisfeld gab es nicht. Die Kiebitze kamen nur noch kurz vorbei, flogen ein paar Runden, riefen – und verschwanden. Seitdem, seit 2020, ist die Kiebitzbrut am Egelsee erloschen und 2023 sind in weiten Bereichen des Landkreises nur noch 6 Kiebitzküken flügge geworden, an der Grenze zum Schwäbischen 27.
Dabei sind Vögel so ortstreu! Sogar in ihrem Zugverhalten. In der Schwiftinger Feldmark, durch die ich oft komme ►ziehen jedes Jahr junge und alte Kiebitze durch ◄ und rasten auf den Feldern immer desselben kleinen Areals.
Rastende junge Kiebitze mit kurzer Holle im Juli
Ein so auffälliger und ehemals weit verbreiteter Vogel wie der Kiebitz hat, neben seinem lateinischen, viele volkstümliche Namen eingesammelt: Vanellus vanellus, Wiesenpfau, Muttergottestaube, Riedschnepfe, Geißvogel, Kiwitt. Und Kukkukskööster am Niederrhein, weil er – so wie der Küster in der Kirche immer vorm Pastor – bei uns immer vor dem Kuckuck erscheint, In maximal sechs Wochen beginnt hier wieder die Krötenwanderung. Wider besseres Wissen werden wir, wenn wir suchend am Krötenzaun entlanggehen, unsere Ohren spitzen, hoffend, dass wir es nicht nur als Echo unserer Erinnerung hören, dieses unnachahmliche chiuwitt, sondern dass der Wiesenpfau wieder geflogen kommt, um über uns zu gaukeln, während wir die Kröten aus den Eimern klauben … Denn wir wollen die Hoffnung noch keinesfalls aufgeben. Renaturierung unserer Landschaft, Wiedervernässung der Wiesen, Wiederkehr der vertriebenen Vögel – warum sollte das nicht möglich sein, allen Widerständen zum Trotz?
➡ Was es mit Fußtrillern und anderen Merkwürdigkeiten und mit Kiebitzschutz durch das Artenhilfsprogramm des LBV auf sich hat, siehe unter Kiebitz – Vogel des Jahres 2024 ⬅
Zwischen Blühfeld und Eistaucher – Impressionen im Frühwinter
Spot- und Hotlights im November
Anfang November. Die Kraniche ziehen wieder, hauptsächlich über und entlang unserer großer Wasseradern und Landmarken wie Lech und Ammersee. Unsere Dorfecke scheint der Kranichzug dieses Jahr leider nicht zu berühren. Obwohl ich nicht aufhöre, nach ihren trillernden Trompetenrufen zu horchen, mit denen sie Kontakt untereinander halten und auf die ich meine herbstliche Sehnsuchtsmelancholie projiziere. Am Ammersee Südende, diesem Hotspot für Seltenheiten, tummeln sich derweil ein Seeadler, Zwergscharben – kleine Kormorane aus Südosteuropa – und, schon seit Juli, eine Pünktchenente. Diese Ente, Anas hottentotta, in Afrika heimisch, ist offenbar ein Gefangenschaftsflüchtling. Hottentottenente hieß sie bei uns bis 2020. Inzwischen sind schon weit über 1000 deutsche Vogelnamen geändert worden, weil sie als diskriminierend, kolonial oder rassistisch empfunden wurden, darunter eben auch Pünktchenente oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, die Schwarzsteppenlerche, ehemals Mohrenlerche.
In unserer Feldmark geht es nicht ganz so spektakulär zu wie am Ammersee. Schon früh sind die Schwarzmilane zu ihrer weiten Reise nach Afrika aufgebrochen. Auch die Rotmilane haben sich weitgehend aus der Feldmark zurückgezogen, aber weit weg sind sie nicht, denn und hin und wieder lässt einer sich blicken. Auch die ♫ rollenden Rufe ziehender Feldlerchen ♫ sind noch zu hören, die liebe ich sehr. Wenn sie rasten, verbergen sie sich gern zwischen Furchen, Stoppeln und niedrigem Bewuchs.
Hochstiebender Stieglitzschwarm überm Blühfeld
Hoch aufragend dagegen erstreckt sich, zwischen Landstraße und Feldweg, ein großer Acker mit gemischter Zwischensaat, die noch blüht und fruchtet. Sie bildet einen Magnet für viele Kleinvögel, die darin untertauchen. Neben ein paar Buchfinken und einer kleinen Schar Goldammern sammeln sich hier vor allem an die hundert Stieglitze. In einer lockeren Vogelwolke, die unruhig über dem Blühfeld hin und her schwenkt, stieben sie ab und zu hoch, um schnell wieder darin zu verschwinden oder sich vorübergehend in einem kleinen Baum am Rande zu einem Gruppenchwatz zu sammeln.
Über dem Blühfeld flügeln, wie ich überrascht feststelle, langsam und in niedrigem Suchflug zwei Kornweihen. Jedes Jahr kommen hier ein paar durch und halten nach vielversprechendenen Ackerstrukturen Ausschau …
Saatkrähen als jährliche Wintergäste in der Stoffener Feldmark
Vögel sind, wie ich immer wieder vom Neuem feststelle, ebenso findig wie ortstreu. Nicht nur kehren Zugvögel Jahr für Jahr an ihre alten Brutstätten zurück, sondern auch unsere Durchzugs- und Wintergäste suchen zuverlässig ihre gewohnten Rast- und Überwinterungsorte auf. Das gilt für die Kornweihen ebenso wie für die Saatkrähen, die jährlich im Spätherbst in der Feldmark um Stoffen herum in großem Trupp erscheinen und sie mit ihren ♫ rauen Stimmen, tiefer als die der Rabenkrähen ♫, erfüllen. Das gilt für die nordischen ► Pfeifenten ◄, die sich ab Frühwinter in zunehmender Zahl auf den Lechstauseen sammeln. Und das gilt für die skurril-schönen Spießenten genauso wie für die ► Singschwäne ◄, die sich, samt diesjährigen Jungen, pünktlich auf dem Lech bei Apfeldorf eingefunden haben. Was Überraschungen nicht ausschließt!
Ende November beginnt es zu schneien. Es schneit und schneit, bis Anfang Dezember Büsche und Bäume sich unter der Last dicker Schneeschichten biegen und der Verkehr auf Straßen, Schienen und Flugplätzen zuammenbricht. Nichts geht mehr. Ringsum wird es still. Die Doppellinde gegenüber unserem Haus ist nun über und über mit Schnee bepackt und bis in die letzten dünnen Zweigspitzen von weißen Kristallen ummantelt. Dazwischen hier und da dickere Äste in kontrastierender Schwärze. Im Garten Spatzen, Amseln und Elstern – eine Welt in schwarz und weiß. Auch der heftige Wind klingt dunkel und bar jeder Farbe. Beim Kolkrabenpaar, das vorüberfliegt, verliert sich jeder Schiller im Schneegestöber, und nur ihre Rufe machen sie uns kenntlich.
Wenn der Futterplatz ungewöhlich lange leer bleibt, halten wir Ausschau nach dem Sperber. Meist ist es uns nicht möglich, ihn zu erspähen. Manchmal sehen wir ihn als geschwinden Schatten um die Ecke jagen. Manchmal erhaschen wir für Augenblicke das Männchen oder das Weibchen. Aber dann … Dann sitzt er in der Quitte vor unserem Küchenfenster, lange, und wir können seine gluhen Augen bewundern.
Ein Sperber in der Apfelquitte
Die Raunächte nahen – die Dunkelheit nimmt zu
Im Dezember geht’s weiter mit Schneemassen, Tauwetter, Glatteis, Regen. Mit Hochwasser und Sturmböen, die mich fast vom Rad fegen, so dass ich das Umherfahren aufgebe. Aber: das Grundwasser ist endlich wieder aufgefüllt, wir hoffen auf eine Amphibienwanderzeit, in der kein Laichgewässer trocken gefallen ist – wie in den letzen Jahren oft passiert.
Zur Wintersonnenwende blakert und jault der Sturm ums Haus. Die Dunkelheit ist groß. Schluckt das Licht, kaum dass es in den Tag gesickert ist. Und die Kriege hören nicht auf, das unerbittliche Morden. Die Zweige der Doppellinde schwanken pechschwarz im Gegenlicht. Jetzt sind die meisten Flügelblättchen, die zitternd bei jedem Luftzug bis zum Schneeeinbruch durchgehalten hatten, davongeflogen. Der Himmel hängt nicht wie sonst zwischen den Zweigen, in plastische Pastellfarben getaucht, sondern steht wie eine Wand dahinter, in kränklichem Weißlichgrau, das den Tag nicht erhellen kann.
Den Winter überstehen – Graureiher auf dem Egelsee Winterlinde im Winter
Die Vögel verbergen sich. Das Rotkehlchen, über dessen Erscheinen wir uns so gefreut hatten, ist wieder verschwunden. Selbst unsere Sperlingsschar ist nicht mehr recht munter. Vor kurzem tauchten sie stundenlang gar nicht mehr auf, da muss der Sperber wieder zugeschlagen haben. Die Natur – was genau ist das? – ist weder grausam, noch moralisch, noch romantisch. Sie i s t einfach. Geht ihren geheimnisvollen Gang. Mitleid ist eine menschliche Privatangelegenheit und spielt keine Rolle im Naturgeschehen. Grausamkeit dito. Licht und Dunkelheit durchdringen sich auf undurchschaubare Weise im Wurzelgrund unseres Daseins. In den sich das Leben unserer Bäume ganz konkret im Winter zurück zieht. Es bleibt der Sturm, das Aufgewühlte. Rüttelt an den Häusern. Heult.
Eistaucher und andere Dezemberüberraschungen
Am Ammersee ist mitten in Eis und Schnee, am 1. Dezember, ein seltener hochnordischer Vogel aufgetaucht, einEistaucher– heimisch in Taiga und Tundra von in Grönland, Island undNordamerika bis hoch hinauf in die Arktis. Er ist geblieben, wird mal hier, mal dort am Ammersee gesichtet, sogar am Dampfersteg Dießen. Spektakulär ist seine Stimme, die allerdings nur zur Balzzeit einsame nordische Seen beschallt. Oder Kino- und Fernsehfilmen unterlegt wird, um, wo auch immer die Handlung spielt, das Gefühl von Wildnis beim Betrachter hervorzukitzeln. Ich höre den Balzruf – von einem kanadischen Kollegen aus Xeno-Canto geborgt – nicht ohne dieses gewisse Schuddern auf meiner Haut, das mich in Wildnisse zurückbeamt, die ich einmal gekannt haben muss.
Ende Dezember hat sich der Sturm gelegt. Auf dem Lech bei Apfeldorf, Stauwurzel Ost, geht es gemächlicher, aber nicht weniger spektakulär zu. Zu den Singschwänen, jetzt über 100, hat sich ein bei uns so seltener Zwergschwan gesellt. Ich erwische ihn am Silvestermorgen sogar mit der Kamera, als er endlich seinen Kopf aus den Federn zieht: kleiner als die Singschwäne, aber ebenso schön, mit etwas weniger Gelb am Schnabel. Gewöhnlich überwintern Zwergschwäne in Nordwesteuropa zu Hunderten!
Zwischen den Schwänen tummelt sich, und das ist hier tief im südlichen Binnenland besonders sensationell, ein Säbelschnäbler. Einer dieser langbeinigen schwarz-weißen Watvögel, der von wer weiß wodurch und woher an den Lech verdriftet worden ist.
Ein Säbelschnäbler in Borkum am Rande des Watts, wo er in kleinen Kolonien brütet und seine ♫ Stimme hören lässt ♫
Wir haben diese Art vor allem in Borkum kennen gelernt. Wo er, oft im Gleichtakt mit anderen Artgenossen, seinen langen, dünnen Schnabel, leicht geöffnet, durch Schlick oder Niedrigwasser hin und her pendelt, um kleine Krebstiere und Insektenlarven zu fangen. Ein ganz unwahrscheinlicher Anblick. Vor dem Schilfgürtel ist das Wasser jedoch nicht seicht genug. Also hat sich der seltsame Vogel auf eine andere Fangmethode verlegt: er gründelt wie eine Ente, den Steiß steil in die Höhe gereckt! Deshalb ist er von Weitem lange Zeit nur als schwarz-weißes Federbündel auszumachen. Als er endlich einmal pausiert und auf dem Wasser herumschwimmt, kann ich seinen so kühn gebogenen Schnabel sehen … sh. auch ornitho vom 1. Januar.
Dann kommt Wind auf. Langsam sickert schon wieder die Dunkelheit in den Tag. Das Jahr geht unweigerlich zu Ende. Ich habe hin und her geschwankt, ob ich hier zum Schluss den Eistaucher heulen oder die Singschwäne noch einmal posaunen lasse und mich für die Singschwäne entschieden.
Der große Neujahrsposaunenchor, vor Jahren am Lech bei Dornstetten aufgezeichnet, gehört für mich nach wie vor zu meinen schönsten Schwanenaufnahmen. Seine wild lebendige Kraft eignet sich ganz besonders, um das alte Jahr zu verabschieden und gebührend zu begrüßen, was da kommt: das ganz und gar unbekannte Neue Jahr.
„Die frohe Weihnachtsbotschaft der Vögel“ – Ensemble Kunterbunt, Loburg
Die Weihnachtsbotschaft der Vögel
Kurzvortrag anlässlich des El Cant d’Ocells-Konzerts „Lieb Nachtigall wach auf“ am 8. Dezember 2023
In zwei Wochen ist Wintersonnenwende, und dann feiern wir wieder mit Weihnachten die Geburt Jesu vor 2000 Jahren. Die Geburt Jesu in einem Land, das derzeit in Krieg, Elend und Blut versinkt, in dem so viele Kinder getötet worden sind und weiter getötet werden. Dennoch: Gerade jetzt, in dieser Zeit voller Unsicherheit, Angst und Gewalt sollten wir uns daran erinnern, dass Weihnachten eine Zeit des Wunders und der Hoffnung ist – oder zumindest sein sollte. Wir feiern, wenn wir uns nicht vom Konsum ersticken lasssen, oder von Trauer, die Hoffnung darauf, dass es in dieser Welt Erlösung gibt. Wir feiern die Hoffnung auf das Ende der Dunkelheit und auf die Wiederkunft und Wiedererstarkung des Lichts. Mit anderen Worten: Wir feiern die Hoffnung auf ein Wunder.
Immer noch, auch in diesen zerstörerischen Zeiten, sind die Natur, und darin nicht zuletzt die Vögel im Grunde Wunder pur, wenn wir ihnen mit offenen Sinnen begegnen. Vögel bewegen sich mit Leichtigkeit durch die Luft. Sie setzen sich auf irgendeinen Ast – manchmal punktgenau auf den, den sie ein halbes Jahr zuvor bei ihrem Start nach Afrika verlassen haben – und singen los, als wären sie in einem Konzertsaal. Sie sind frei und wild, wie es im Lied „Es saß ein klein wild Vögelein“ gerade besungen wurde, und sie brauchen keine mit Gold und Silber umwundenen Flügel, und Käfige schon gar nicht. Und die Menschen haben ihnen immer gern zugehört.
Eine Dorngrasmücke singt „on the top“ am Rande der Thaininger Kiesgrube
An Vögeln imponiert mir besonders, dass gerade die begabtesten unter ihnen, große Solosänger wie Amseln, Grasmücken, Rotkehlchen, Nachtigallen ihre Brutreviere kraft ihrer Gesänge abgrenzen. Auf diese Weise schaffen sie Klangreviere, die sie in der Regel gegenseitig respektieren, so dass sie darum gar nicht erst harte Auseinandersetzungen führen müssen. Im Gegenteil: wenn zwei oder drei Sänger entspannt innerhalb ihrer jeweiligen Klangreviere singen, hören sie einander zu, regen sich gegenseitig an und konzertieren oft im Wechsel miteinander, gleichen ihre Motive sogar an. Mit anderen Worte: Frieden schaffen ohne Waffen, dieser alte Slogan aus der Friedensbewegung, der heutzutage bei vielen Politikern gerdezu verpönt zu sein scheint – dieses Frieden schaffen ohne Waffen ist im Grunde ein Motto der Vögel und eine echte Weihnachtsbotschaft.
Vögel sind ja immer noch kleine, überaus flugfähige und hochmusikalische Dinos – Dinodiven sozusagen. Sie haben schon vor vielen Millionen von Jahren ihre Schnäbel gewetzt, lange vor unserer Zeit, und ihre Urmusik, ihre vielfältigen Laute und Weisen haben die Evolution der Menschheit von Anfang an begleitet. Deshalb gehören Vögel, die Vielfalt ihrer Stimmen und die innere Stille, die sie verbreiten, unlösbar zu jenen grundlegenden Umweltbedingungen, die unser inneres Gleichgewicht stabilisieren. Während Lärm und Kriegsgeschrei es nachhaltig zerstören. Dies, ebenso wie ein stummer Frühling, in dem sich kein Vogel mehr rührt, ist nicht nur für Vogelliebhaber eine erschreckende Vision!
Singendes Blaukehlchen, von Herbert Hendekes
Was hat Olivier Messiaen, der große Musiker und Vogelkenner des 20. Jahrhunderts, geschrieben: Was mich am meisten erneuert hat, ist, glaube ich, mein Umgang mit den Vögeln. Das hat viele Leute zum Lachen gebracht … Sie glauben, dass es „niedrige“ Tierarten sind … . Das ist vollkommen idiotisch. … Als ich mich mit den Vögeln befasste, habe ich begriffen, dass der Mensch so viele Dinge nicht erfunden hat, sondern dass so viele Dinge schon vorher um uns herum in der Natur existierten – nur hat man sie nie gehört. Jeder Vogel ist ein lebendiges Leitmotiv, weil er seine eigene Ästhetik und sein eigenes Thema hat. … Ich habe den Eindruck, dass sie alles gefunden haben …, sogar die Mischungen von Klangfarben, die man heute sucht, und Nachhalleffekte.
Vögel haben ein absolutes Gehör. Sind fähig zu intonieren und zu transponieren. Sie können modifizieren, variieren und, wie unsere Amseln, in jeder Saison Neues erfinden und in ihr Repertoire einbauen. Das alles sind vokale Fähigkeiten, die hörbar weit über ihre Funktion, Brutreviere zu markieren und Weibchen anzulocken, hinausgehen. Ganz abgesehen davon, dass, wie man inzwischen weiß, viele Vogelweibchen singen, sogar zu den Jungen in ihren Eiern. Für mich ganz persönlich ist gerade der Morgenchorus der Vögel im Frühling, der sogenannte Dawn Chorus, der lange vor Sonnenaufgang einsetzt, ein großartiger Schöpferlobgesang, der seine biologischen Funktionen weit übersteigt. Dies ist natürlich keine offizielle wissenschaftliche Verlautbarung! Hören wir den Vögeln und ihren musikalischen Kunststücken doch einfach mal zu!
1 zum Beispiel den herrlichen Glissandopfiffen der Stare und ihren überraschenden Imitationen – hier imitieren sie den Turmfalken (00:05), den Rotmilan (00:20), das Huhngackern (00:40), den Pirol (ab 00:45)
Nach einem Regenguss singt in unserem Dorf ein Star auf seinem Nistkasten
2 einer Nachtigall mit ihren berühmten lang gedehnten Crescendo-Schluchzern, aufgenommen in Berlin, der Stadt der Nachtigallen, wo sie mir am Rande des dunklen Volksparks um Mitternacht direkt ins Mikrofon sang
3 einer Amsel mit ihrem (für unsere Ohren) witzigen Leitmotiv, das sie einen Frühling lang gleich bei uns um die Ecke herum unentwegt zum Besten gab – wir haben sie aus gutem Grund die Kikerikiamsel genannt
Helmeted Hornbill, der lachender Nashornvogel, fotografiert von Tim Laman , National Geographic 2018
4 einem sehr seltenen Schildhornvogel, einem Helmeted Hornbill, mindestens so witzig wie die Kikerikiamsel. Wir sind ihm am allerletzten Tag unserer Streifzüge durch den malaysischen Regenwald mit Glück und Staunen begegnet
Und zum Schluss noch mal das Rotkehlchen, das zu Anfang unseres Konzerts leise zum Lied vom bitteren Winter gesungen hat. Vögel singen ja so schnell, dass wir das gar nicht alles erfassen können. Und das heißt, dass unsere einfallsreichen Vögel noch viel einfallsreicher, differenzierter und kunstvoller singen, als wir überhaupt im Stande sind zu hören. Im letzten Jahr habe ich einen Musiker kennen gelernt, Johannes Quistorp aus Peißenberg, der auch ein großer Liebhaber der Vogelgesänge ist. Er arbeitet mit einer Software, einem Overtone Equalizer, der vor allem von Sängern und Sprachtherapeuten eingesetzt wird. Man kann damit durch Verlangsamung vor allem Obertöne analysieren. Ich habe ihm die Rotkehlchenaufnahme geschickt, und er hat sie bis zu 16fach verlangsamt. Dabei werden die Klänge naturgemäß nach unten oktaviert. Und nun hören Sie mal, was er bei der Verlangsamung von nur einer der Strophen entdeckt hat.
Weibchen oder Männchen? Die Frage muss, wie beim Star, offen bleiben, denn bei beiden Arten singen auch die Weibchen
5 ROTKEHLCHENSTROPHE vom 04.04.2022, kurz nach 6:00 Uhr morgens – 2 fach (00:10), 4fach (00:22), 8fach (00:39)), 16fach verlangsamt. Die entscheidende Sequenz am Strophenende 01:47, zur Verdeutlichung dreimal wiederholt.
Ein Braunkehlchenmännchen singt in den Raistinger Wiesen zur Zeit der Irisblüte
8. Januar 2023
Im Oktober letzten Jahres stand es fest: Das Braunkehlchen, dieser so wenig bekannte Wiesenbrüter, wird 2023 besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Denn die beiden großen Naturschutzverbände → NABU (Naturschutzbund Deutschland) und der→bayrische LBV (Landesbund für Vogel- und Umweltschutz) haben ihn zum Vogel des Jahres 2023 ausgerufen. In einer → öffentlichen Wahl, an der jedermann teilnehmen konnte, der daran interessiert war, hat der kleine vorwiegend braune Vogel, an dem nur der der dicke weiße Streifen überm Auge auffällig ist, die weitaus meisten Stimmen auf sich versammelt.
Die Aufmerksamkeit ist natürlich medial. Denn wer kennt ihn, wem fliegt er noch übern Weg? Wem sind gar seine Gesänge vertraut? Es ist immer dasselbe leidige Lied: Dem Wiesenschmätzer, wie er früher genannt wurde, fehlen die artenreichen feuchten Wiesen, die dem Flächenverbrauch und der intensivierten Bewirschaftung zum Opfer fielen und fallen. Nur hier findet er die Spinnen und Larven, Würmer und kleinen Schnecken, die er braucht, um zu überleben und seine Brut erfolgreich groß zu ziehen.
In meiner näheren Umgebung sehe ich Braunkehlchen nur auf dem Durchzug – hier Ende August am Rande der Thaininger Kiesgrube
Zu meiner Schulzeit war das Braunkehlchen auf dem Lande ein wohlvertrauter Allerweltsvogel, liebevoll Wiesenclown genannt. Auf meinen Streifzügen durch ein Mosaik von Feuchtwiesen, Feldern und Mooren bin ich ihm ständig begegnet – dazu zahllosen Rebhühnern, Haubenlerchen, Wiesenpiepern, Bekassinen, nicht zu reden von einem Himmel voller Lerchengesänge. Alwin Voigt war d e r Vogelstimmenexperte vergangener Zeiten. Ohne Tonaufzeichungs-instrumente allein auf seine Ohren angewiesen, hat er 1894 die erste Auflage seines Exkursionsbuches für das Studium der Vogelstimmen herausgegeben. Ich besitze noch die 10. Auflage von 1950. Darin heißt es zum braunkehligen Wiesenschmätzer: Es bewohnt weder Wälder noch Park und Garten, sondern Wiesenlandschaften, und zwar von den unabsehbarenWiesen- und Luchflächen Norddeuschlands bis herauf zu den Matten der Alpen. Bald hier, bald dort erscheint eins auf einem Hügelchen, auf der Spitze einer hohen Pflanze oder eines Pfahles und zeigt keine allzugroße Scheu, wenn man behutsam näher kommt, um seinen Anblick zu genießen. Die zart gelbbraune Brust des Männchens, der schwärzliche Querfleck unter dem Auge und das blendende Weiß darüber, das hebt sich so sauber ab gegen die dunkle Oberseite, dass es eine rechte Augenweide ist.
Da kann man nur seufzen. Heutzutage ist das Braunkehlchen besonders in Bayern selten geworden und gilt als stark gefährdet. Die meisten Tonaufnahmen, die ich in xeno-canto, dem weltweiten Vogelstimmenforum, eingestellt habe, stammen dementsprechend vorwiegend aus geschützten Gebieten. Warum schreibst Du in a protected area for Whinchats, fragte mich ein Schwede zu meinen Tonaufnahmen aus den Raistinger Wiesen. Ich staunte über sein Staunen, bis mir klar wurde, dass im Offenland seiner nordischen Heimat das Braunkehlchen nach wie vor, wie in alten Zeiten?, ein weit verbreiteter Allerweltsvogel ist.
Anfang Juni 2022 in den Raistinger Wiesen. „Die zart gelbbraune Brust des Männchens, der schwärzliche Querfleck unter dem Auge und das blendende Weiß darüber … „
Die Raistinger Wiesen am Ammersee sind so, wie Braunkehlchen sie brauchen und mögen: blüten- und strukturreich, mit dichter Krautschicht für die Nester in den Altgrasstreifen. Und mit Hochstauden und Zaunpfählen, die als Sing- und vor allem als Ansitzwarten genutzt werden. Hier haben sie einen guten Überblick übers Gelände. Von hier aus können sie am besten ihre hurtigen Jagdflüge starten.
Am Rande des Raistinger Schutzgebietes zu stehen, die schönen Schmätzer in den Altgrasstreifen oder auf hohen Halmen zu sichten – ihren kurzen, aber abwechslungstreichen Strophen zu lauschen – ihrem blitzschnellen Verschwinden und Wiederauftauchen zuzuschauen: das ist für mich reines Glück. Eine dieser Senkrechten in der Zeit, wie Arnulf Conradi das so überaus treffend formuliert hat. Im Strömen der Zeit also jener unschätzbare Moment, der innehält und die Uhr und sich selbst schlicht vergessen lässt. Oft mischen Schwarzkehlchen, Feldlerchen, Wiesenpieper ihre Lieder in die braunkehligen Gesänge, manchmal schlagen dazu Wachteln, trillern Schwarzmilane, quärren Lachmöwen – und es erklingt ein Freiluftkonzert vom Feinsten.
Gleich zu Anfang tirilieren Feldlerchen, beginnt ein Braunkehlchen mit seinen kurzen Strophen, quärren Lachmöwen. Dann (ab 0:31) singt überraschend ein Brachvogel – ja, er singt, obwohl er bekanntlich kein Singvogel ist. Seine beiden schönschaurigen Flöten- und Trillerstrophen, anschwellend und abfallend, sind aus der Weite und Melancholie feuchter Wiesenlandschaften geformt, das ist unüberhörbar. Ab 1:15 mischt ein Wiesenpieper seinen Fluggesang dazu – und wird übertönt und abgelöst von einer steigenden Feldlerche.
Wer’s länger mag: Hier singt Anfang Juni ein Braunkehlchen seinen Frühgesang in den Raistinger Wiesen.
Seine individuelle Note ist ein hübscher „Schnarr-Triller“ am Beginn vieler seiner kurzen, aber einfallsreichen Strophen, z.B. in 0:33, 0:44 … 4:10, 4:33 usw. Und es imitiert! Den Hausrotschwanz z.B. in 3:56. Begleitet wird es von Goldammer und Wachteln (gleich am Anfang), Feldlerchen, Feldgrillen & Co. Ebenfalls leise in 6:16 ein Brachvogelgesang.
Und hier singt ein Braunkehlchen Mitte Juni im Murnauer Moos auf einem kahlen Pappelast gleich neben der Ramsach, begleitet von Buchfink, Amsel und flüggen Jungmeisen:
Braunkehlchen auf altem Weidezaun am Egelsee bei Hofstetten
Die schönsten Braunkehlchengesänge habe ich vor Jahren ganz in der Nähe meines Wohnorts, im Egelsee-Gelände mit seinen viel zu kleinen, aber feuchten Wiesenflächen aufgenommen. Hier ziehen die Steinschmätzer und Braunkehlchen gewöhnlich nur durch, knicksen eine kleine Weile auf den Weidezäunen, unternehmen ihre Jagdflüge, sind schnell wieder verschwunden. Aber das Männchen, das in der folgenden Aufnahme singt, hatte nebst einem großen Repertoire an Imitationen offenbar die Hoffnung, ein Weibchen zu finden, sang und warb unverdrossen mindestens zwei Wochen lang und fand trotz größter Anstrengung keine Resonanz:
Vögel sind Individualisten, auch und gerade in ihren Gesängen. Dieses Braunkehlchen sitzt eines Tages Anfang Juni hier und da auf Weidezäunen, singt stundenlang und ist offenbar unverpaart. Es ist ein sehr guter Sänger, der viele Imitationen integriert hat – verkürzt und auf Braunkehlchenweise, doch gut erkennbar: Dorngrasmücke (00:03, 00:06, 02:16, 02:26), Buchfink (00:20, 01:07, 3:22, 3:33), Hausrotschwanz (00:43, 01:02,01:30, 01:39, 01:55, 01:59), Rohrammer (01:15, 02:28, 02:36), Zilpzalp (01:44, 01:50, 02:32), Grauammer (02:40, 02:46).Im Hintergrund Feldgrillen.
Seitdem habe ich in diesem Areal nie wieder eines singen gehört. Die Wahl im Oktober zum Vogel des Jahres 2023 fand natürlich in Abwesenheit der Hauptprotagonisten statt. Die hatten mit einigem Glück schon, jeder für sich allein, die Sahara überflogen, um im tropischen Afrika zu überwintern: 5000 km von hier entfernt.
Höchste Zeit, nach den Singschwänen zu schauen. Wir wissen, dass die Schönen seit November wieder auf dem Lech residieren, insbesondere bei Dornstetten, wollen aber heute wie letztes Jahr unser Glück bei Apeldorf versuchen.
Die Flüchtigkeit der Vögel, die Leichtigkeit, mit der sie ihre Aufenthaltsorte wechseln können, hängt offenbar eng mit ihrer besonderen Art der Zuverlässigkeit zusammen.
Zweiggenau kann eine Nachtigall, die in Südafrika überwintert hat, auf ihren Singeplatz in ihrem Revier im Treptower Park zurückkehren. Und zuverlässig in jedem Spätherbst kehren Singschwäne aus dem hohen Norden in ihre Überwinterungsgebiete auf dem Lech zurück. Sind es immer dieselben samt ihren Nachkommen, oder wie sonst spricht es sich unter Singschwans herum, dass der Lech im fernen Bayern ein guter Ort zum Überwintern ist??
Um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, braucht es, ja – Orts- und Biotopkenntnise und einige Quentchen Wissen um die Gewohnheiten der Vögel. Aber auch eine eine gute Portion Glück und Augenblicksgespür. Und Neugier natürlich.
Kaum sind wir kurz hinter Apfeldorf oben am Hang aus dem Auto gestiegen, wird unsere Aufmerksamkeit in zweierlei Richtung gezogen. Drüben auf der Wiese grasen etwa 300 Graugänse, und ich würde sie gern genauer mit dem Spektiv durchmustern. Gleichzeitig fangen meine Ohren außerordentlich lebhafte Klänge unten vom Lech her ein, denen ich nicht widerstehen kann. Sie ziehen mich magisch an. Und so folge ich dieser luftigen, aber mächtigen Spur. Schon auf dem ersten Absatz, da, wo das Feldgehölz steil zum Ufer hin abfällt und der Fluss zwischen den Bäumen hochschimmert, fließen die Stimmen zu einem Acapella-Chor zusammen, der an- und abschwillt und mich in Bann zieht. Sie sind wieder da! Und wie es scheint viele!! Ich befreie meine Füße von einigen Brombeerranken, lege mein Mikro auf den Rucksack, schalte das Aufnahmegerät ein. Lehne mich an einen Baumstamm und lausche dem Chor der Posaunenduette, der sich besonders steigert, als die Gänse über uns hinwegrauschen, schreiend, um auf dem Lech zu wässern.
Ab 01:40 schwillt der Posaunenchor mit den Schreien der Graugänseschar, die zum Lech hinunter rauscht, deutlich an, geht ganz offenbar in Resonanz damit
Singschwäne in der beliebten seichten Zone vorm Schilfgürtel
Endlich unten angekommen, sehe ich, dass sich das Gros der Singschwäne wieder am selben Ort wie im letzten Jahr aufhält: ziemlich weit draußen vor dem Schilfgürtel, kein einziger hier in Ufernähe, also gut zu spektieren bei diesem hellen Weihnachtstaglicht, aber schwierig zu fotografieren. Und wie viele es sind! Ich bringe das Spektiv in Stellung und lege das Mikro auf ein umgestülptes Boot, das am Ufer liegt.
Ein temperamentvoller Singschwanchor, der vom Ufer widerhallt und sich mit Windstößen mischt
Die da draußen, das sind knapp über 100 Individuen, zwölf graubraune Diesjährige dazwischen. Wo genau sie wohl aus dem Ei gekrochen sind? Und sie posaunen und duettieren, wollen an diesem Morgen gar nicht aufhören mit ihrem weihnachtlichen Schwanengesängen. So etwas habe ich noch nicht erlebt.
Eine abwechslungsreiche Wassermusik, die kein Ende nehmen will. Mal nahezu verebbend, mal ekstatisch sich steigernd. Die Weite und Einsamkeit nordischer Tundren und Waldseen schwingt darin und die unmittelbare Freude an Verständigung und Gemeinschaft
Mein Mikro nimmt es zuverlässig auf, dieses prachtvolle Oratorium, in das sich Graugänse, Blässhühner, Stockenten mischen, Schnatterenten mit ihrem seltsamen Geknarre, Flügelschläge und Wasserplatschen und das Echo, das die Lechhänge werfen.
Eine Weihnachtsmusik vom Feinsten …
Ein diesjähriger Jungschwan Eine FamilengruppeEin Schwanenpaar beim Duettsingen
Beim Duettsingen schwimmen die beiden Schwäne hintereinander und schwingen die Hälse gemessen vor und zurück, offenbar ein taktfestes, uraltes Ritual. Wer nicht singt, gleitet elegant dahin, gründelt, zieht die Federn durch den Schnabel, ruht.
Ruhende Spießentenmännchen mit typischem Kommamuster der weggedrehten HälseEin SchellentenweibchenDrei Spießentenmännchen, „Northern Pintails“ auf Englisch
Außer uns gibt es keine menschlichen Besucher. So können wir ungestört unsere Stative hier oder dort aufstellen, verschiedene Perspektiven ausprobieren, ungestört schauen, entdecken, lauschen.
Gegen Mittag.Die Graugänse werden unruhig und mischen sich stärker ein, Wind frischt auf, aber das Konzert wird unverdrossen fortgesetzt, steigert sich immer wieder
Bis zum Konzertende zu bleiben, gelingt uns nicht. Zwar hat mein Mikro jetzt sozusagen „Singschwanstimmen satt“ aufnehmen können. Aber die Schönen sind nach wie vor ungebrochen mitteilungsfreudig, ein Ende der Kommunikation auf Hochnordisch ist kaum so schnell zu erwarten, und das Wetter schlägt spürbar um. So verstauen wir wieder all unsre Optik und Lauschtechnik und beginnen den Hangweg hinaufzusteigen. Ich etwas wehmütig, wohl wissend, dass wir dies nie wieder so erleben werden. Auf halber Strecke steigern sich die Duette in meinem Rücken erneut auf so unwiderstehliche Weise, dass ich mich umdrehen muss, um ihnen mit Ohren und Mikro noch einmal die Ehre zu erweisen.
Posaunen und Trompeten á la nature! Sie werden zunehmend von starken Windböen übertönt, die durch die Hangbäume rauschen. Pech und Glück zugleich. Die weihnachtliche Wassermusik, sie ist nun ist definitiv vorbei. Jedenfalls für unsere Ohren.
Kiebitze auf Durchzug: ruhen, rasten, weiterziehen
24. September 2022
Gestern war kalendarischer Herbstanfang, Tag- und Nachtgleiche, Äquinoktien. Langsam neigt sich das Jahr der Dunkelheit zu, obwohl noch Sommerzeit herrscht. Noch ganz in den Sommer eingesunken, habe ich erst kürzlich erstaunt festgestellt, dass sich das Laub mancher Bäume zu verfärben beginnt: Wie stumpf nun das Blattgrün wird, von graubraunen Farbschlieren überkrochen, einzelne Blätter gilben schon. Erste Anzeichen, dass die Hexenküche der Sonne im Blattinnern eingestellt wird – die Sollbruchstellen, an denen die Blätter sich lösen werden, sind ja lange schon angelegt – und wie ein Reflex erwacht in mir die Sehnsucht nach dem fröhlich flatternden Hellgrün des Frühlingsaustriebs …
Aber nichts da. Als ich gestern früh aufs Rad stieg, um mich in der Schwiftinger Feldflur umzusehen, war ich ausgestattet mit warmem Anorak und Handschuhen (!) und der vagen Hoffnung, auf Kiebitze zu treffen, die hier jedes Jahr durchziehen. Und ob ich sie nun finden werde oder nicht, und obwohl es vielerorts schon betrüblich vogelstill ist – schön ist es, durch die „Pampa“ zu fahren, die ganz gewöhnliche Feldflur, die in unserer Region noch recht kleinteilig strukturiert ist. Schön ist es, zu lauschen und zu spähen, während die Sonne langsam den Nebel wegleckt.
WeibchenMännchenNoch sind sie da: ein Hausrotschwanzpaar und eine letzte Blüte am Feldrain
Immerhin jagen über den den Feldern noch Rauchschwalben, hier und da. Immerhin flügelt ein Rotmilan im Suchflug vorbei und singt eine Goldammer, von Licht umflossen. Vor einem Stadel präsentiert sich – stumm – ein Hausrotschwanzpaar, von der Septembersonne so behutsam in seinen Farben gezeichnet, dass ich es fotografieren muss. Die ♫ sonoren Rufe von Saatkrähen ♫ dringen herüber: die rücken hier jedes Jahr als Wintergäste ein. Nie allein. Immer in Gruppe. Ein Starenschwarm schwatzt im größten Straßenbaum am Platze, und zwei Kohlmeisen am Ortseingang wechseln ihre herbstlich unruhigen Rufe und Gesänge zwischen Maisfeld und Garten hin und her.
Es wird warm. Längst habe ich Anorak und Handschuhe ausgezogen und umkreise mehrfach die Felder diesseits und jenseits der Straße. Dehne mich in der Sonne. Nichts Schöneres unter der Sonne … Unvermittelt stelle ich fest, dass mein Spektiv fehlt. Panik überflutet mich – was nun, wenn es nicht mehr zu finden ist? Ich sause die letzten Wege zurück – von Weitem sehe ich, da, wo ich Bachstelzen beobachtet habe, etwas einsam und verlassen in die Landschaft ragen. Tatsächlich, es ist das Spektiv! Erleichterte kehre ich zum zweiten Mal um fahre noch einmal die Straße längs: zum letzten Mal für heute, nehme ich mir vor.
Kaum steige ich vom Fahrrad, heben sie ab …
… und kommen zurück mit weichen Flügelschlägen ..
Und plötzlich sind sie da, die schönen Regenpfeifer mit Federholle. Hocken dicht hinter dem Traktor auf einem Feld, das gerade gepflügt wird, und lassen sich nicht stören. Aber kaum steige ich vom Fahrrad, heben sie ab. Kurven hin und her, rücken mit ihren runden Flügelschlägen mal näher heran, mal ferner, so gemächlich, dass ich ihnen mit der Kamera folgen kann. Verschwinden hinter einer Bodenwelle.
Wie schade! Ich bin erfreut und resigniert zugleich. Baue dennoch das Stativ für meinen Fotoapparat auf. Und während ich den Bussard drüben auf dem Leitungsmast, eine sehr dunkle Morphe, fotografiere, kommen sie zurück mit lautlos weichen Flügelschlägen zurück. Der Bauer lärmt mit seinem Traktor auf dem Feld und ich stehe mitten auf dem Fahrradweg mit meinem Spektiv, weithin sichtbar. Aber sie beachten uns nicht. Gehen geruhsam auf dem Grünland etwas weiter vorn nieder – und lassen sich von nun an nicht mehr stören. Rasten und putzen sich, picken nach Nahrung. Grün schillert ihr Gefieder in der Sonne, von warmen rotvioletten Farbreflexen überlaufen. Wie auf dem Zug üblich, plaudern sie leise miteinander in ihrer Vogelsprache, so leise, dass es vom Traktorlärm fast übertönt wird. Das Glück der Geduld! Es sind genau dreißig Kiebitze, und jetzt kann ich sehen, vor allem an den kurzen Federhollen, wie viele Diesjährige darunter sind. Wo kommen sie her? Wo fliegen sie hin? Alte, uralte Fragen, die ohne Beringung oder Besenderung nicht zu beantworten sind. Auch wenn einige beringt sein sollten, auszuspähen ist das nicht, dafür versinken sie zu tief im grünen Krusch, die meisten sogar bis zum Bauchgefieder.
Vermutlich werden sie nicht besonders weit reisen. Je nach Wetterlage sind sie Stand- Strich- oder Zugvögel. Ihre Winterquartiere liegen in Frankreich, Spanien, Großbritannien, im März kommen sie in ihre Brutreviere zurück. Wenn sie kommen! In unsere unmittelbare Umgebung, wo ich sie viele Jahre lang bei Balz und Brut beobachten konnte, kehren sie seit einigen Jahren nicht mehr zurück, und wir vermissen sie sehr. Jedes Frühjahr zur Zeit der Amphibienwanderung schaukelten und gaukelten sie über den Feldern, vollführten akrobatische Flugmanöver, Sturzflüge inbegriffen, „sangen“ sogar im Duett.
Kamen jedem Reviereindringling ganz nah, indem sie ihn von hinten angeflogen, um dicht an ihm vorbeizurauschen – kiebitzen heißt es deshalb, wenn man jemandem von hinten über die Schulter guckt, insbesondere beim Skat.
Und während ich den schönen Durchzüglern zusehe, kitzelt die Sonne, die jetzt sommerlich wärmt, ihre unnachahmlichen Frühlingsstimmen und das Wummern und Wuchteln ihrer Flügel, mit dem die Männchen zur Balzzeit imponieren, wieder in mein Ohr.
Zwischen Tüpfelsumpfhuhn und Dunkelwasserläufer – ein Morgen am Hotspot Ammersee Süd
29. August 2022
Nach einem regnerischen Wochenende hat die Sonne Mühe, den zähen Nebel wegzulecken, der seit dem frühen Morgen aufgestiegen ist. Als er sich endlich aufgelöst hat, entrollt sich am Binnensee bei klassischer Augusthitze eine jener Bilderbuchszenen, wie man sie sich kaum zu erträumen wagt.
Der Große Binnensee am Ammersee Südende, Ramsar- und Vogelschutzgebiet, ist einer der bayrischen Hotspots für Wasservögel – insbesondere Limicolen und Schilfbrüter – und der am besten beobachtete und dokumentierte Vogelhotspot des Landkreises. Limicolen sind Watvögel, die Nahrung suchend in seichtem Wasser und am Wassersaum entlang eilen oder schreiten, manche hochbeinig elegant mit langen Stocherschnäbeln, andere klein, hastig pickend und auf unnachahmliche Weise mit dem Hinterteil wippend. Die meisten erscheinen plötzlich, bleiben ein paar Tage, verschwinden. Denn die Vogelwelt ist jetzt im Spätsommer schon wieder in Wechsel und Bewegung: der Vogelzug hat, wenn auch noch zögerlich, begonnen.
Blick von der Beobachterbank nach Westen auf Brutfloß und Schilfgürtel, Binnensee
Hier im Binnensee gibt es in Dammnähe eine aufgeschüttetet Kiesinsel und mitten im See ein Brutfloß, auf dem Flussseeschwalben und Lachmöwen, manchmal auch Schwarzkopfmöwen brüten. An diesem besonderen Ort kann man im Laufe des Jahres allen möglichen seltsamen und seltenen Vogelgestalten begegnen, hier eröffnet sich ein breites Spektrum zwischen Bart- und Blaumeisen, Tüpfel- und Kleinem Sumpfhuhn, Sumpfseeschwalben und Brachvögeln, Rohrdommeln, Schilfrohrsängern und Schwirlen – um nur einige zu nennen.
Gut 1000 Meter Fußweg von der Straße entfernt, an der höchsten Stelle des westlichen Ammerdammweges, bevor der zwischen Faulbaumgebüsch und kleinerer Bäumen verschwindet, steht eine Beobachterbank: von hier aus hat man den besten Überblick bis zum westlichen Schilfufer und darüber hinaus. Jetzt gegen 10 Uhr liegt nur nur noch ein leichter Dunstschleier über dem Wasser, durcheilt und durchteilt von den Flügeln der Wasservögel, und auch der verflüchtigt sich schnell.
Um die Bank herum ragen schon einige Spektive in die blaue Luft, dahinter, meist stumm versunken durch Okulare spähend, die Vogelbeobacher, Birdwatcher, Twitcher, Hobby- und mehr-als-Hobby-OrnithologInnen – und wie sie sich sonst alle nennen. Bevor man zum begehrten Beobachterplatz gelangt, muss man allerdings über ein paar dicke Felsbrocken klettern. Von wechselnden Hochwasserkräften hier zusammengewälzt, füllen sie eine Dammlücke zwischen Neuer Ammer und Binnensee. Es gelingt mir nicht immer, die Felsbrocken, oft schräg und glitschig und mit Wasserlachen dazwischen, ohne nasse Füße zu überwinden. Verstauchte Knöchel, höre ich, hat es auch schon gegeben.
Star Nummer eins – ein Dunkler Wasserläufer
Heute haben wir Glück, mein Gefährte Jochim und ich. Wir kommen erst einmal gar nicht dazu, die gesamte Felsformation zu überklettern, weil sich eine ungeahnte Szenerie gleich neben den Felsen eröffnet. Es gibt hier eine schmale Bucht, die sich um eine Kiesinsel windet, ganz ufernah und von Schilf, Gras und Seggen begleitet, bevor sie in den Binnensee mündet. Wir klemmen uns und unsere Stative zwischen Felslücken fest, schauen, warten, staunen. Es gibt keine ausreichende Erklärung dafür, warum sich sonst scheue Wasservögel gerade hier und jetzt vom großen Equipment samt dazugehörigen Beobachtern, die dieses Equipment eifrig betätigen, nicht stören lassen. Jung und unerfahren, mag sein. Aber dennoch ist es Magie, wie jetzt im schönsten Licht ein Dunkler Wasserläufer hervortritt und rotbeinig und langschnäblig gemessenen Schrittes herumstolziert. Seinen Schnabel im Schlamm versenkt. Auch mal flötend auffliegt, ungewöhnlich nah kommt, einfach nicht scheu ist.
Diunkler Wasserläufer am Ammersee Süd, 29. August 2022
Dunkle Wasserläufer sind Brutvögel des hohen Nordens. Im Prachtkleid sind beide Geschlechter nahezu schwarz, einschließlich der Beine, nur oberseits die Federn sind weiß gesprenkelt: in diesem Brutkleid habe ich sie noch nie gesehen. Die Männchen, heißt es, ziehen ihre Jungen allein groß, während die Weibchen schon im Juni aus den Brutgebieten abziehen – die Natur spielt offenbar alles durch, was möglich ist.
Dunkler Wasserläufer bei der Gefiederpflege, Ammerssee Süd am 29.08.2022
Dieser zutrauliche Vogel mit seinen roten Beinen, dunkel gefärbt, doch nicht schwarz, vielgefleckt und-gestreift auch auf Hals, Brust und Bauch (die adulten Vögel im Schlichtkleid, in das sie nach der Brutzeit wechseln, sehen viel heller aus), ist vermutlich ein Jungvogel, der sich auf die Reise gen Süden gemacht hat. Er lässt uns geradezu geruhsam – geruhsam auf beiden Seiten – zusehen, wie sein Tagwerk so abrollt, das wie überall im Reich des Lebendigen zuerst und zunächst dem Überleben dient: Hier findet er reichlich Nahrung, hier kann er sich für den Weiterflug rüsten und ein wenig mästen. Überwintern wird er irgendwo im tropischen Afrika oder im südlichen Mittelmeerraum.
Wenn der Dunkle Wasserläufer zwischendurchflötend ein Stückchen weiter weg fliegt, tritt wie aus einem Bühnenhintergrund ein Tüpfelsumpfhuhn hervor. Sonst scheu im grünen Nass lebend, wo sein Streifen-und Tüpfelmuster vom Gewirr der Seggen und Gräser und deren Schattenwürfen nahezu aufgelöst wird, schreitet es jetzt gemächlich und spektakulär unscheu mitten im schönsten Sonnenlicht einher.
Präsentiert sein hochgerecktes helles Schwanzdreieck und tritt mit seinen breiten grünen Rallenfüßen den Schlamm. Um manchmal ohne ersichtlichem Grund loszurennen und sich in Deckung zu bringen, aus der es kurz darauf wieder vertraulich hervortritt …
In Bayern zählen Tüpfelsumpfhühner zu densehr seltenen Brutvögeln, zeigen sich aber im Frühjahr und Herbst regelmäßig, meist vereinzelt, an Binnengewässern wie dem Ammersee, denn auch diese schönen Rallen sind Langstreckenzieher, ihr Überwinterungsgebiet ist groß, erstreckt sich von Südeuropa bis ins tropische Afrika.
Die Brutgebiete der wenigen bayrischen Paare liegen im voralpinen oberbayrischen Hügel-und Moorland, wozu auch der Raum zwischen Landsberg, Ammersee und Zellsee zählt. In der Arteninformation des Bayrischen Landesamtes für Umweltschutz (LFU) heißt es: Das Tüpfelsumpfhuhn brütet in Bayern vor allem in Teichgebieten, an künstlichen und natürlichen Seen und Altwässern mit ausgedehnten Seggenzonen oder vergleichbaren feuchten bis nassen Grasgesellschaften … So erklärt sich, dass ich seinen Balzruf zum ersten Mal im sumpfigen Gelände gleich hinter unserem kleinen Egelsee bei Hofstetten gehört habe: Ein merkwürdiger Quakk-Laut, der kaum nach Vogel klingt und dessen Urheber sich in dem vielschattigen Grün zwischen Weiden und Seggen nicht sehen ließ. Zunächst verblüfft, dann voller Neugier habe ich ihn aufgezeichnet und ihm hingegeben gelauscht.
Wirklich aufregend ist jedoch eine Tonaufnahme vom Zellsee bei Wessobrunn, einer ausgedehnten Fischteichanlage, im 15. Jahrhundert von Mönchen angelegt, die hier die Rott aufstauten. Seit 2006 ist es zum Europäischen Vogelschutzgebiet avanciert. Hier brüten (und quieken) die Wasserrallen viel und gern – und ganz offenbar auch das Tüpfelsumpfhuhn. Denn
sein, wie ich nach einiger Recherche herausgefunden habe.
Wer zählt die Arten, nennt die Namen …
Der dritte Star des Tages, nicht ganz so zutraulich, ist ein Stelzenläufer, der zierlich und graziös auf unwahrscheinlichlich hohen und dünnen Beinen herumstakt: wenn er ein Altvogel wäre, müssten die Beine leuchtend rot sein – sie sind aber nur fleischfarben blass und künden davon, dass es sich auch hier um einen Jungvogel handelt. Er bleibt leider recht weit weg.
Stelzenläufer am 29.08.’22 am Ammersee Süd
Während hinter uns in den Bäumen an der Ammer Grauschnäpper hoch und scharf rufen und im Schilf ein Blaukehlchen kruscht, nicht leicht zu fotografieren, treten – wer zählt die Arten, nennt die Namen! – weitere durchziehende Limicolen um die Kiesbänke herum auf: ein Zwerg-, ein Temminck- und ein Sichelstrandläufer, ein Kampfläufer, Sanderling, Flussuferläufer, zwei Bruchwasserläufer. DazuFlussregenpfeifer, die hier gebrütet haben, junge Bachstelzen. Im Hintergrund rufen melodisch zwei Grünschenkel. Und drüben, zwischen Brutfloß und westlichem Schilfgürtel, flügeln langsam und gewandt drei spektakuläre Raubseeschwalben überm Wasser, den starken roten Schnabel stets senkrecht nach unten gehalten, um plötzlich, wenn sie einen Fisch erspäht haben, steil hinabzuschießen. Was für eine Idylle an Artenfülle!
Gegen Mittag käschern zwei kleine Jungen Fischchen, die in den warmen Pfützen zwischen den Felsen schwänzeln. Das Wasser flimmert, die Sonne brennt und blendet. Dennoch ist es schwer, sich loszureißen und auf dem Ammerdamm zurück zu gehen. Wo er sich zu den Wiesen hin öffnet, sind seine Böschungen von Herbstzeitlosen übersät. So dass trotz Sonnenseligkeit nicht zu übersehen ist, dass der Sommer zu Ende geht und unweigerlich der Herbst anrückt.
Nachtrag vom 30. August 2022
Gestern habe ich auf Tonaufnahmen verzichtet, die am Ammersee Süd, zumal an einem Montag, kaum ohne den Autolärm, der von der Straße zwischen Dießen und Fischen herüberdröhnt, zu haben sind. Und hatte am nächsten Tag dennoch Glück – das Glück der Geduld, nachdem ich mir abgewöhnt habe, dies oder jenes zwanghaft zu erwarten und stattdessen einsammle, was gerade des meist krummen Weges daher kommt: Das waren heute am Zellsee die vielfältigen Stimmen im sonst recht stillen August
Die Watvögel auf den Sand- und Schlickinseln des Zellsees waren zwar viel zu weit weg, um sie genauer ins Auge fassen zu können, dafür jedoch recht stimmfreudig – insbesondere ein Dunkler Wasserläufer, den ich hier noch nie so gehört habe – siehe oben! Wie sanft sie sind, die Flötentöne dieses „Nichtsingvogels“- eine Zuordnung, die der Klangfülle seiner Stimme nicht gerecht wird. Denn obwohl Watvögel keine Singvögel sind, haben sie oft wundervolle Stimmen, in denen die melancholische Weite von Marschland, Watt und Mooren mitschwingt und die mich seit meiner Schülerinnenzeit (die ich, statt Hausaufgaben zu machen, möglichst im Hochmoor verbrachte) in Bann geschlagen haben.
Besonders schön: An meinen erhöhten Beobachtungsplatz am Rande des Eibenwaldes habe ich nicht nur eine weite Sicht über den Zellsee, sondern hier treffen sich die Wasser- und Waldstimmen in meinen Ohren und meinem Mikro in einem außerordentlichen Klangbild:
Rufe und Flugrufe von Dunklem Wasserläufer (ab Beginn) und Grünschenkeln (02:40 ff) und überfliegenden Kolkraben, am Eibenwaldrand. Ab 02:31 ein Graureiherruf. Die Schnatterenten auf dem Wasser sind ab 02:37 besonders deutlich zu hören, ab 03:55 die abfliegenden Rostgänse. Im Waldhintergrund schmatzt ein Mönchsgrasmücke und tickern Rotkehlchen.
Das Füllhorn wird ausgeschüttet: aktuelle Julinotizen
Hitze, verschwimmende Linien, verschwommene Gedanken: sich durchdringende Spiegelungen am von Weiden umstandenen Egelsee
Jetzt beginnt die Noch-Zeit. Noch blühen Rosen in Garten und Feld. Noch brüten Vögel oder füttern ihre Brut. Noch singen die Zilpzalps ein paar ihrer Zipp-Zapp-Takte und die Mönchsgrasmücken ihre jubelnden Überschläge, noch orgeln hier und da Gartengrasmücken im Gebüsch. Doch der Frühling ist definitiv vorbei, schon läuft der Frühsommer aus, und wie jedes Jahr geht es mir viel zu schnell. Hochsommer kommt. Hitze, verschwimmende Linien, verschwommene Gedanken. Das Füllhorn wird ausgeschüttet. Alles reift, strotzt, protzt. Nichts Strenges, Klares ist greifbar. Üppigkeit ist angesagt. Blühen, Auswachsen, Anschwellen von schnell vergänglichen Formen. Verschwenden.
10. Juli 2022
Seit über einer Woche ist auch die zweite Brut der Stare ausgeflogen. Jetzt streunt die Starenbande durch die Landschaft, hier bei uns sind sie kaum noch zu sehen. Keine langgezogenen Starenpfiffe mehr. Keine regelmäßige Amselflöte in aller Frühe. Auch wenn die Lerchen noch singend über mir hängen, wenn ich die Feldmark durchradle: mitten in der Fülle beginnt nun allmählich die stade Zeit der langsam verebbenden Vogelgesänge. Weggewelkt ist das Lichtgelb des Klappertopfs, die Mohnkapseln haben ihre winzigen Samen verstreut. Aber noch blüht es üppig überall: Wegwarte, Malven, Disteln, Nacht- und Königskerzen, Kletten, Engelwurz, Lein. In den Wildwiesen, und an Wegrändern, die nicht gemäht werden, steht das Mädesüß hoch und flaumflockig wie Wollgras, bildet seine bizarren Formen.
Auch die Lichtnelken werden gern von Zitronenfaltern angeflogen
Überm Gartenzaun hängen die Rosen, blüht die blaue Clematis. Die Taglilien öffnen sich nach und nach, die Himbeeren sind reif und die Kardenköpfe umkränzen sich mit kleinen lila Röhrenblüten, an denen zahlreiche Insekten saugen. Allen voran die leuchtend gelben Zitronenfaltermännchen, die ebenso gern Lichtnelken anfliegen. Ob Rosarot sie besonders anzieht?
Noch mit Flusen am Kopf: Junges Hausrotschwänzchen Anfang Juli
Amseln und Hausrotschwänze tun heimlich. Vorhin, als ich still saß, zeigte sich kurz hintereinander das Rotschwanzweibchen, knickste mit Futter im Schnabel, äugte, knickste, äugte – und verschwand am Nachbarhaus unterm Dachfirst, da, wo ein Balken vorspringt.
Auch die Amseln versorgen jetzt ihre zweite Brut. Wieder schlüpfen Amselweibchen und -männchen mit dicken Würmern im Schnabel umher, aufmerksam nach allen Seiten äugend, verschwinden, wenn sie sich unbeobachtet glauben, ganz oben im dunklen Eck, wo unsere beiden Haushälften zusammenstoßen und die wuchernde Jungfernrebe ihrem Nest vollkommenen Sichtschutz bietet.
Die Greifvögel haben ebenfalls erfolgreich Junge großgezogen, allen voran und unüberhörbar die Mäusebussarde.
Bis vor einigen Jahren brüteten hier im Forst, gleich um die Ecke, Habichte, die an und ab ein Huhn holten, und jedes Jahr mehrere Junge großzogen. Zu sehen waren die Ästlinge kaum, aber ihre Bettelrufe gellten aus verschiedenen Tiefen des Waldes und zitterten noch in den Blättern nach, wenn die nächste Bettelserie losbrach.
Leider sind Habichtästlinge seit einigen Jahren nicht mehr zu hören. Wohl aber die Rufserien der Alten, sie müssen jetzt in einem anderen Teil des Waldes brüten.
11. Juli 2022
Die Staudenwicke hat sich hochgereckt, lehnt weit überm Zaun. Ihre rosaroten Blütenschlünde sind bei Insekten sehr beliebt, die Zitronenfalter besuchen sie scheinbar noch lieber als die Kardenköpfe. Was da vorhin angeschwärmt kam ist aber dick, fast plump und dennoch zum Staunen schön. Zuerst ist nur ein tiefes Brummen zu hören. Dann erscheint ein geflügeltes Wesen mit dickem schwarzschillerndem Leib und schimmernden blauen Flügeln. Glasflügler geht mir im ersten Moment durch den Kopf, denn die blauen Flügel sind durchsichtig. Aber Glasflügler, die zu den Schmetterlingen zählen, haben zarte Leiber. Und können Schmetterlinge brummen?
Die blauflügelige Holzbiene an einer Staudenwickenblüte …
… mit Blütenstaub hinterm Kopf …
Dann erinnere ich mich an den Weinberg im Kaserstuhl, wo wir, erfolgreich, nach dem Turteltaubenpaar fahndeten und wo ein ausladender Blasenstrauch von großen schwarzen Insekten umschwärmt wurde. Worauf uns die Winzerin extra hinwies, denn hierzulande sind sie selten: Holzbienen! Ein besonderer Gast also. Oder ein Neubürger? Eine der südlichen Arten, die mit der Klimaerwärmung langsam nach Norden vordringen und, wie meine Recherche ergibt, unter den Lippen- und Schmetterlingsblütlern Wicken als Nahrungsgeber bevorzugen – vielleicht ist der Wickenschlund für ihren Saugrüssel besonders passgerecht!
… und mit durchsichtigen blauen Flügeln – hier links vom Wickenrosa durchschimmert
Holzbienen brauchen das, was in gewöhnlichen Gärten selten vorkommt:mürbes, morsches Totholz, in das sie mit kräftigen Mandibeln ihre Nestgänge nagen. Jede für sich allein, denn sie leben solitär. Wie unerschöpflich das Füllhorn ist! Allmählich begreife ich, dass wir die Natur nicht zerstören können. Wohl aber jene natürlichen Grundlagen, auf denen unsere Existenz auf diesem Planeten beruht.
Jetzt stehe ich am Zaun und staune. So viel blau-schwarze Exotik! Auch wenn man ihn im Gewirr der Blüten nicht immer sehen kann: es ist leicht den Flug des Blaugeflügelten zu verfolgen: Tiefes Brummen und das Wippen der Wickenblüten markieren seinen Zickzackkurs.
14. Juli 2022
Sommer ist. Es ist heiß und zunehmend trocken, die Luft zwischen den Feldern riecht hitzig nach Staub und Getreidebrodem, die Frühlingswürze hat sich verflüchtigt.
Die Hollerbeeren sind schwarz geworden, schwarz mit ein wenig Blauschimmer, die Vogelbeeren leuchten rot. Ganz im Gegensatz zum letzten Jahr gab es heuer auch bei den Ebereschen ein großes Fruchten. Ob die Wacholderdrosseln wiederkommen, um sie zu ernten?
Zeit der jungen Vögel. Bei der Futterstelle im Hollerbusch, direkt vor unserem Schlafzimmerfenster, hocken erneut aufgeplusterte junge Spatzen, betteln mit bebenden Flügeln, lassen sich von den Eltern die Schnäbel stopfen, obwohl sie selber längst fressen können. Das dürfte jetzt die dritte Brut sein. Junge Blaumeisen kommen an die Futterstelle gehuscht, klein und zart, noch recht blass auf dem Scheitel, die Wangen gelb. Junge Kohlmeisen sind vor kurzem wieder aufgetaucht, ihrem Bettelgeschrei nach gerade flügge geworden, auch sie noch im blassen Jugendkleid.
Junge Bachstelzen auf dem Dachfirst
Die Bachstelzen, die seit Jahren ihr Nest auf dem Nachbardach hinter den Solarmodulen bauen, spazieren auf dem Dachfirst entlang, singen aber selten. Man hört ihren leisen Gesang ohnehin nur, wenn man ein wenig Glück hat und sehr aufmerksam ist: ♫ Bachstelzengesang, eine Mischung aus Rufen und leisem Schwätzen, schnell dahin plätschernd wie ein kleiner Bach ♫ Jo hat eine der Amseln mit Würmern im Schnabel gesehen, heimlich wie stets. Sie füttern also ihre zweite Brut.
In der Kiesgrube sammeln sich die Graugänse, junge und alte, rund 250 habe ich vorgestern gezählt. Ein Zwergtaucher kurvt herum, noch ist auf erfolgreiche Brut zu hoffen – letztes Jahr zeigte sich hier Anfang September ein Zwergtaucher, der sein Küken auf dem Rücken trug. Die Flussregenpfeifer sind weiter präsent, sie haben erfolgreich gebrütet und fliegen lebhaft rufend hin und her. Und nicht weit von der Kiesgrube, im Bibersumpf, schwer einzusehen, tauchte heute plötztlich eine Kolbenente auf, ein Weibchen, und zog zehn eilig paddelnde und piepsende Küken hinter sich her, darunter zwei fast ganz schwarze, die wie Reiherentenküken aussahen. Während im großen Gebüsch am Rande geradezu ekstatisch eine Gartengrasmücke sang, einer dieser Sänger, die außerordentlich lange Sequenzen orgeln.
Landsberg ist leider keine Stadt, über deren Zentrum im Sommer ständig viele Mauersegler präsent sind und hin- und her schießen, mit diesen hohen schrillen Schreien, die für mich d e n Stadtsommersound schlechthin bilden. Deshalb war es heute heute ein Glücksfall, im Westteil der Stadt wieder einmal einen Trupp von etwa zwanzig Vögeln zu sehen, die im üblich rasanten Tempo über die Straße stürzten. Eine bittersüße Beobachtung, denn in Kürze, Anfang August, wird es die Luftjäger schon wieder forttreiben aus ihrem Sommerrevier, das sie nur für diese kurze Brutperiode besuchen. In Landsberg brüten sie vor allem in der Breslauer Straße, weil hier für sie zahlreiche Brutkästen aufgehängt worden sind, durch deren Schlitze sie zielsicher und mit großer Geschwindigkeit einfahren, mitten aus dem Flug. Wir haben das an einem warmen Juliabend von einem der Gärten hinter der Häuserfront bis in die Dämmerung hinein beobachtet.
Und gehört, wie ihre Schreie mit dem Späterwerden schriller wurden, wie sie gruppenweise heranjagten und über unsere Köpfe sausten, manchmal so tief, dass der scharfe Laut, mit dem ihre Flügel die Luft durchschnitten, in unseren Ohren gellte, während im Hintergrund eine Stadtamsel und ein Großes Grünes Heupferd ihre geruhsamen Abendlieder sangen.
Kleine Wildnis zwischen Holler und Heckenrosen – Ortstermin mit Neuntötern
23. Juni 2022
In einer Landschaft, in der nichts unberührt ist und jedes Fleckchen vom Menschen in Angriff genommen wurde, gehören Kiesgruben zu den allerdurchwühltesten Orten. Dennoch macht sich hier, wo kleine Bereiche ungestört bleiben, schnell wieder etwas breit, was ein wenig verächtlich Wildwuchs genannt wird, hochtrabender: Sekundärhabitate, in denen sich Vögel, Amphibien und Insekten ansiedeln, die sonst keine Bleibe mehr haben. Neuntöter zum Beispiel.
Neuntötermännchen: immer auf auf hohem Ansitz
Nicht weit von unserem Wohnort schlingt sich ein holpriger Weg, meist verlassen, um eine kleine Kiesgrube herum. An der einen Seite eine steile Böschung, die zum Feld hin abfällt. Das wiederum erstreckt sich zwischen Straße und Wald. An der anderen Wegseite ein Maschendrahtzaun. Er grenzt die Kiesgrube ein, die nur gelegentlich von Transportlastern befahren wird. So weit ich das wahrnehme, wird hier nicht mehr abgebaut, nur noch befüllt. Wildwuchs drängt sich vor und hinter dem Zaun. Zur Böschung hin ein ineinander verwachsenes Holler- und Wildrosengebüsch: Ideal für ein Nest im Verborgenen.
Im Schattenriss: Neuntöter mit Insektenfutter im Schnabel
Hier müssen sie gestern ausgeflogen sein. Ständig war das Männchen auf seiner Ansitzwarte präsent und ständig warnte das Weibchen. Im Schattenriss war auch zweimal ein Altvogel mit einem Schnabel voll Insekt zu sehen, einem großem Insekt, mit dem es im Busch verschwand.
Jetzt ist es hier so still, als wenn gestern nichts gewesen wäre. Nur kurz, denn es ist noch früh, lärmt ein einzelnes Auto vorbei. Und noch einmal lästiges Reifengeräusch. Am Himmel weiße Bauschewolken, bewegen sich kaum. Auf dem langen kahlen Zweig hinterm Zaun, auf dem gestern ständig das Männchen saß: nichts.
Ich spüre, wie die Sonne langsam meinen Rücken wärmt und baue zögernd mein Spektiv, meine Kamera auf. Berge mich, so bewegungslos wie möglich, an der Seite zwischen Wildkräutern und Holler. Deutlich kann ich fühlen, wie mein Eindringen die Stille stört, die hier wie in allen Naturräumen herrscht: dies gärige Knistern und Knispern, dies tonlose Gespräch, das all das Lebendige ringsum stets und ständig miteinander führt und das unseren tauben Ohren zumeist verschlossen bleibt.
Ich versuche mich nicht zu rühren, wie weiland Annie Dillard, wenn sie sich auf Bisamrattenpirsch befand. In ihrem Buch Pilger am Tinker Creek beschreibt sie in dem großartigen Kapitel Pirschen, wie sie sich Bisamratten nähert – auch Zwergbiber genannt -, die keine Ratten und extrem wachsam sind, fast noch wachsamer als Vögel:
Das Pirschen ist eine reine Fertigkeit … . Glück spielt selten eine Rolle. … Noch mehr als Baseball ist Pirschen ein Spiel, das total in der Gegenwart gespielt wird. Zu jeder Sekunde entscheidet mein Geschick, ob die Bisamratte kommt oder bleibt oder flieht. Kann ich mich still verhalten? Wie still? Es ist erstaunlich, wie viele Leute nicht still halten können oder wollen.Ich könnte und wollte im Haus keine dreißig Minuten stillhalten, aber am Fluss werde ich langsam, zentriere mich, werde leer. … In meinem Kopf sage ich nicht: Bisam! Bisam! Da! Sondern ich sage nichts. Wenn ich in einer Stellung verharren muss, mache ich mich nicht steif … sondern werde ruhig. Ich zentriere mich, wo ich gerade bin, ich finde eine Balance und eine Ruhehaltung. Ich ziehe mich nicht zurück in mein Innenleben, sondern aus mir heraus, so dass ich ein Sinnengewebe bin. Ganz gleich, was ich sehe, es ist genug, mehr als genug. Ich bin die Haut auf dem Wasser, auf der der Wind spielt; ich bin Blütenblatt, Feder, Stein. aus: Pilger am Tinker Creek, Matthes & Seitz, Berlin, Naturkunden No. 28. Im Englischen Original 1974 erschienen
Ja, das ist es, das trifft genau den Punkt: Aus sich selbst heraustreten. Warten, nichts erwarten. Nur ein Ohr, ein Auge, ein Sinnengewebe sein! Jetzt nehme ich die erste flüchtige Bewegung wahr, dort, im Gebüsch weiter unten am Weg, das von Brennesseln umwuchert wird. Langsam gelingt es meinen Augen, licht- und schattenerfüllte Lücken zwischen den Blättern zu unterscheiden. Bin plötzlich sehend und kann sie erspähen: Ja, oja, da hocken sie in einer gut belichteten Lücke zwischen den
Zwei der drei Jungen, halb versteckt im Gebüsch
Zweigen, rücken und ruckeln ein wenig hin und her oder huschen kurz auf und ab, bewegen sich sonst kaum: drei Junge, gerade flügge; offenbar gut genährt und recht still auf Futter wartend. Dass sie so still sind, wundert mich. Denn gelegentlich betteln junge Neuntöter recht laut. Mag sein, dass diese hier zu weit weg sind, zu leise oder jünger als die auf der älteren Tonaufnahme.
Wenn sie nicht füttern, hocken Männchen und Weibchen ebenfalls auf diesem Gebüsch, besser sichtbar als die Jungen, auch sie heute recht still. Ich entdecke sie erst nach und nach. Das Männchen sitzt oben auf einem hervorspießenden kahlen Zweig, das Weibchen weiter unten, viel unauffälliger.
Spät sind sie aus dem südlichen Afrika zurückgekommen und schon ab Mitte Juli , spätestens im August wird sich der Familienverband auflösen und aus diesem Brutgebiet verschwinden, die Alten früher als die Jungen. Um, jeweils einzeln, schon früh im Herbst die lange Reise nach Afrika anzutreten, über die Sahara hinaus.
Neuntöter gelten in Deutschland als noch nicht gefährdet, doch ist ihr Lebensraum durch die sogenannte Flurbereinigung stark geschrumpft. Ihre nahen Verwandten, Rotkopfwürger und Schwarzstirnwürger, sind in Bayern längst ausgestorben, seit Ende der 70er Jahre, und der Raubwürger wird auf der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht“ geführt.
Wie gut, dass sie hier vor Ort Erfolg hatten, die schönen Vögel mit den hässlichen Namen. Neuntöter, Rotrückenwürger, Dickkopp, Dorndreher – weil sie erbeutete große Insekten manchmal als Vorrat oder Zerkleinerungshilfe auf Dornen aufspießen, eine Kunst, die die Jungen von ihren Eltern erst lernen müssen. Heckenschmätzerwurden sie früher ihres Rufs wegen genannt. In dieser Aufnahme, die ich erst gestern gemacht habe, sind die schmätzenden Laute von Weibchen und Männchen besonders deutlich zu hören. Zwischendurch, ab 0:16, Bettelrufe der Jungen, die sich nun doch ein wenig Gehör verschaffen. Im Hintergrund singt, ab 0:07, besonders beharrlichlich eine Goldammer.:
Der kuriose Neuntötergesang ist dagegen selten zu hören, und nur zu Beginn der Brutsaison Anfang Mai, als ich in den Raistinger Wiesen Tonaufnahmen von Braunkehlchen machte, ist mir zufällig so ein langer Gesang ins Mikro geraten. Er hat mich zunächst irritiert, dann zunehmend fasziniert. Weil ich ihn hörte, ganz unvermittelt, während ich ein Braunkehlchen im Visier hatte: ein leises, eigenartig krauses Geschwätz mit vielen Imitationen und manchmal schönen Tönen dazwischen.
Jetzt ist die Jahreszeit längst über Neuntötergesänge hinweggegangen. Sie werden erst wieder, mit Glück, im nächsten Mai zu hören sein. Und, wie sehr zu hoffen ist, auch an diesem wildwüsten dornigen Ort!
… das Weibchen sitzt weiter unten, viel unauffälligerSchnabel auf, gleich wird er mit Futter gestopft!
Sonne, Regen, Schwüle, Gewitter, dabei immer noch Morgenkühle. Tropisches Wuchern von Blauregen, Schnecken, Fliegen, hier im Voralpenraum gibt es heuer Wasser genug. Nun treibt alles auf den Höhepunkt zu: Der längste Tag, die kürzeste Nacht. Klimax des Wachstums, des Blühens, Brütens und Fütterns. Jungvogelzeit.
Ein Insekt und kein Vogel: Taubenschwänzchen
Seit einer Woche sind sie wieder im Garten zu Gast, diese Sommervögel, die statt Schnäbeln so feine Gebilde tragen, dass das Wort Rüssel viel zu grob dafür ist. Zarte lange Röhren, die sie auf- und ausrollen, um Nektar zu saugen. Wie Kolibris können sie auf der Stelle schwirren – so schnell, dass auf dem Foto verschwimmende Farbreflexe entstehen. Wobei sie, ohne die Pflanzen zu berühren, ihre langen Saugrüssel in die Schlünde der Sommerblüten stecken, auch in die besonders tiefen der wilden Prachtnelke.
Sommervogel ist ein bei uns veraltetes Wort für Schmetterling, im Dänischen jedoch als Sommerfugle lebendig, und Taubenschwänzchen ein gebräuchlicher, aber irreführender Name für einen der merkwürdigsten Schmetterlinge, die ab Juni, Juli zu uns kommen. Wenn wir Gärten haben oder Balkone. Wenn wir ihnen die richtigen, das heißt für sie lebenswichtigen, Nektar trächtigen Blüten zu bieten haben. Sommerblütenvögel, ich liebe sie sehr.
Wilde Prachtnelke im Moor: so viel- und flatterzipflig wie möglich
Vor Jahren, als ich zum ersten Mal meine volle Aufmerksamkeit auf eine Kamera statt auf meine Ohren richtete, verfolgte ich fasziniert die Flugbahnen eines Taubenschwänzchens, das immer wieder die Blüten einer Gruppe hoher purpurfarbener Indianernesseln anflog: und da gelang mir, mit typischen Anfängerglück, mein ausdrucksstärkstes Sommervogelfoto. Es spiegelt wie keines sonst das wider, was Inger Christensen die dichte Purpurfarbe des Lebens1) nennt. Diese Blühfarbe, diese Gemütsfarbe des Sommers, grundiert von der Trauer um ihre Vergänglichkeit, die uns Schmetterlinge in aller Fantastik vor Augen führen, hat niemand besser als Inger Christensen in ihrem Großgedicht Sommerfugledalen (Das Schmetterlingstal), beschrieben, formal ein Sonettenkranz, ich zitiere hier die beiden ersten Strophen des IV. Sonetts2):
Wie das Berggebüsch mit seinem Duft verdeckt, dass das Blühen in all dem Vermoderten wurzelt, dem Schattigen, Filzigen, Pelzigen, einer wilden und labyrinthischen Unvernunft,
so kann der Schmetterling mit seinem Flattern verdecken, dass er an den Körper des Insekts gebunden ist, man glaubt, eine Blume fliege auf und nicht dieser aufgereihte Bildersturm …
Eine fliegende Blume, gebunden an den Körper eines tagaktiven Nachtschwärmers, der am Körperende wie ein Taubenschwanz gezeichnet ist und mit seinem Schwirrflug so sehr an einen Kolibri erinnert, dass er auch Kolibrischwärmer genannt wird: was für eine Fantastik! Zahlreiche vermeintliche Kolibri-Sichtungen in Europa gehen auf Beobachtungen an dieser Schmetterlingsart zurück.
Federn besitzt er natürlich keine – wohl aber ein weiche Behaarung, ein regelrechtes Pelzchen. Kann dennoch Frost nicht vertragen, und da die Würfel der Evolution so gefallen sind, dass er als ausgewachsener Schmetterling überwintern muss, hat er wie Distelfalter und großer Fuchs ein Wanderleben entwickelt: er weicht zum Überwintern in den Süden aus und kann im Hin und Zurück sogar die Alpen überqueren. Als Folge des Klimawandels überwintern einige Taubenschwänzchen in neuerer Zeit aber auch in milden Regionen Süddeutschlands und legen im März die Eier für die nächste Generation.
Taubenschwänzchen an Borretschblüte – schon ramponiert vom Sommer, aber Pelzchen und Rüssel sind deutlich zu sehen
Und woher kommen die schönen wuschelköpfigen Sommerfugle, die wir hier seit einer Woche beobachten? Sind sie frisch geschlüpfte Nachkommen der Überwinterer, also hier in Bayern aus dem Ei gekrochen, oder über die Alpen zu uns geflogen? Vieles scheint noch nicht klar zu sein, wahrscheinlich mischen sich die Populationen und Generationen.
Eine Blüte anfliegen, sehr schnell – und rasend schnell schwirren – und kurz vorm Blütenschlund in der Luft stehen bleiben – so kurz, dass ich bei meinen ersten ahnungslosen Beobachtungen glaubte, er hätte die falsche, nektarlose Blüte angeflogen, und jetzt müsse er weiter suchen, und weiter … In Wirklichkeit hat der Schöne in Sekundenbruchteilen ausgerollt, gesaugt wieder eingerollt – wie schafft er das bloß – für meine grobschlächtige Wahrnehmung ein unvorstellbares Kunststück. Ich sehe von der Terrasse aus seinem Zickzackkurs von Blüte zu Blüte zu: Bartblume, Beinwell, Katzenminze, Bartnelke – Blau, Blaulila, Purpur: das lockt ihn an. Den leuchtenden Goldfelberich lässt er dagegen aus: diese Farbe scheint ihn buchstäblich nicht anzumachen.
In fünf Minuten kann ein Taubenschwänzchen mehr als hundert Blüten besuchen. Aber warum diese unermüdliche Geschwindigkeit? Sicher ist: die Flugmuskalatur, die für ein so kleines Geschöpf Gewaltiges leistet, kann dabei nicht auskühlen, bleibt auf Hochtouren, und lauernden Krabbenspinnen bietet er keinerlei Angriffsfläche. Alles andere bleibt verborgen im rätselhaften Gang der Evolution.
1)2) aus Inger Christensen, Das Schmetterlingstal / Sommerfugledalen. Suhrkamp 1998, S. 9 und 13
Ein Vogel und kein Insekt: Feldschwirl
Wer kennt schon das Geschöpf, dessen Name sich auf Quirl reimt und das alles andere als quirlig ist? Ehrlich gesagt, ich habe es noch nie fliegen sehen. Auch einer, der den Sommer bei uns verbringt auf seine heimliche Weise. Feldschwirl ist sein Name. Er ist kein Gewinner des Klimawandels. In ausgeräumten Agrarlandschaften fehlt er ganz, weil hier Feuchtgebiete zerstückelt und Hochstaudenfluren und Ufervegetation zerstört worden sind: deshalb steht er bei uns als stark gefährdet auf der Roten Liste. Wie froh bin ich, wenn ich ihn im späten Frühjahr – denn vorher kommt es nicht aus Afrika zurück – endlich wieder, wie in dieser Aufnahme, zu hören bekomme. Zu hören, wohlgemerkt – irgenwo aus dem Verborgenen heraus, einer Krautschicht oder einem Busch, auf jeden Fall aus niedriger Höhe. Leicht und sirrend und schwirrend wie der Sommergesang des Großen Grünen Heupferds kommt sein seltsames Lied daher. Ein wenig monoton, ja, das schon, aber dennoch dynamisch, wie das dem Lebendigen grundsätzlich eigen ist. Der Feldschwirl ist aber kein Insekt, sondern ein Vogel, der heuschreckenähnlich zirpen kann. Locustella heißt er auf lateinisch: Kleine Heuschrecke. Auf Englisch: Common Grashopper Warbler. Zu sehen ist er fast nie, obwohl er zum Singen gelegentlich kleine Warten bevorzugt.
Er liebt offene feuchte Landschaften mit Sträuchern und niedrigem Bewuchs. Bevorzugte Brutplätze sind Großseggensümpfe und Pfeifengraswiesen, schütteres, mit Gras durchwachsenes Landschilf, Waldränder, extensiv genutzte Felder, Weiden, Heiden – alles, was stark verkrautet ist und ihm genügend Unterschlupf bietet. Immer in Deckung und meistens am Boden durchschreitet er die Krautschicht langsam, um Nahrung zu finden oder huscht, bei Gefahr, schnell davon wie eine Maus: wie könnte man ihn da finden. Zumal er in seiner Gefiederzeichnung zur großenr kbu-Fraktion gehört: klein, braun, unauffällig … In einer extensiven Landwirtschaft ist – oder muss ich sagen: wäre er exzellent in seine Nische eingepasst. Wie auch sein Schwirrgesang sich in das Gesangsensemble im Frühjahrsmoos- und moor nicht nur einpasst, sondern es auf spannende Weise untermalt und bereichert.
Feldschwirlgesang kurz nach Sonnenaufgang Ende Mai, eingebettet in den Chor der Morgenstimmen am Rande eines kleinen Feuchtgebiets. Eine historische Aufnahme, denn seit Jahren ist der Feldschwirl hier ausgeblieben.
AufschlüsselungSoundscape vom 27. Mai 2012, ab 5:22 Uhr, Egelsee bei Hofstetten. Gleich am Anfang Sumpfrohrsänger, Buchfink, Kuckuck, etwas später Rabenkrähen, ab 00:58 Singdrossel, bei1:40 setzen Grünfinken ein, ab 3:20 wird ihr „Klingeln“ sehr intensiv. 3:58 Blässhuhn, ab 5:03 wieder der Kuckuck im Hintergrund, ab 6:53 Füchse. Ab 7:03 wird der Gesang des Sumpfrohrsängers wieder deutlicher. Der Feldschwirl setzt gleich zu Anfang ein und ist bis 8:07 immer wieder, mit Pausen, zu hören. Sh. auch in Xeno Canto XC738037.
Ein Vogel, kein Heuschreck! Auch eine der wundersamen Kapriolen der Evolution.
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