Langsam beginnen die Vögel zu singen: Frühlingsklänge zum Hochwinterende

Bei Sonnenaufgang
Kulisse für Frühlingsklänge: Sonnenaufgang mit Kondensstreifen, 10. Februar 2022

Langsam beginnen die Vögel zu singen: Frühlingsklänge zum Hochwinterende

10./11. Februar 2022

Heute Nacht pladderte der Regen aufs Dachfenster, jetzt treibt der Wind draußen weißliche Graupel vor sich her, Hybridgebilde zwischen Schneeflocken und Regentropfen.
Aber Nässe, Gräue und Wind zum Trotz: was noch dräut ist der Winter in seinen vorletzten Züge. Was kommt, und zwar unaufhaltsam, ist das spürbar zunehmende Licht. Und zwischen Sonne am Tag, Nachtfrösten und wieder verstärkter Durchkreuzung des Himmels rückt langsam der Vorfrühling an.

Im Wald

Das war gestern besonders deutlich zu spüren. Da hat mich, nach einer nicht besonders strengen Frostnacht, die Unruhe gepackt. Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang, als es schon tagt und nur noch die Venus über den Feldern blinkt, gehe ich in den Wald, voller sehnsüchtiger Erinnerung an die Dämmerungs-, die Dawnkonzerte des Frühlings.

Es ist aber, wie zu erwarten, betrüblich vogelstill. Dann zetert eine Amsel. Wieder Stille. Wind. Eispfützen knirschen unter meinen Füßen. Jetzt – da im Fichtenschlag: ein dünnes, zages Liedchen, gesponnen von einem Wintergoldhähnchen. Es bleibt unsichtbar wie meistens hinter dem dunkelgrünen Behang der Zweige, und gleich hat der Wind die kleine Strophe wieder davongetragen. Am Rande des Hochwalds ein paar vereinzelte Gimpel-, Finken- und Meisenrufe – das ist alles.

Bei Birdern, die vorrangig auf Vielfalt und den Thrill des Aufspürens seltener Arten setzen, steht der Wald als Beobachtungsort in der Beliebtheitsskala weit hintenan: zu artenarm, zu wenig zu sehen.
Für mich ist er eine Urheimat. Allem voran natürlich der wild gelassene Wald, allem voran der tropische Regenwald, Gipfel der Seligkeit meiner Voglerinnenseele.

Unvergessen: Rote Aras und andere Papageien in Brutbäumen am Rio Tarcoles in Costa Rica

Aus unsichtbaren grünen Tiefen dringend herrscht dort, Tag wie Nacht, die unentwegte Vielfalt der Stimmen und Gesänge, ein faszinierender Klangteppich, über den hinweg sich die Regenwaldgeschöpfe mit immer neuen Ruf- und Klangvariationen verständigen. Das übertrifft für mich selbst die aufregendste Limicolenansammlung an Fluss oder Binnensee, wie wir sie hier mit Lech und Ammersee ganz in der Nähe haben.

Immerhin ruft, als ich dem Wald schon den Rücken gekehrt habe, ein Sperber seine kurze Rufreihe. Die Sonne geht auf und glänzt hinter den Bäumen. Hoch darüber die Venus, und dazwischen ein schräges sternartiges Gebilde aus Kondensstreifen, das den Himmel durchkreuzt, Menetekel unserer Zeit, das meine Stimmung nicht gerade hebt.

Im Dorf: Gimpelgesänge und erste Starenpfiffe

Gimpelmännchen
Gimpelmännchen im Hochwinter (Dompfaff)

Kaum habe ich mich jedoch dem Dorf genähert, wird mein Winterblues von Vogelstimmen davongeblasen. Grünfinken knätschen, Kohlmeisen läuten, und ein stimmfreudiges Gimpelpärchen singt und ruft unermüdlich im Duett, obwohl der Wind ihnen kräftig durch die Federn streicht.

Ihr ♫ schlichter Gesangsteil ist recht leise: charakteristisch sind die schrägen, nasal klingenden Laute, oft auf kleine Tonsprünge folgend, die viele Obertöne haben. Ob die anschließende Reihe der Rufe, im Duett und zum Teil sogar synchron vorgetragen, auch zu ihrer Gesangssession gehört? Was Ruf ist, was Gesang, was ein Übergang zwischen beiden ist nicht immer genau zu unterscheiden.

Gimpelmännchen und -weibchen an winterlicher Futterstelle

Aber solche menschlichen Klassifizierungsfragen gehen die zwei nichts an. Sie befinden sich ganz offenbar in Harmonie miteinander und singen beide, Männchen wie Weibchen, animiert von der milden Witterung. Nicht nur stehen ihre leisen Laute, manchmal von Windböen weggefegt, im Kontrast zu den kräftigen Körpern – bullfinches heißen sie im Englischen! Sondern auch ihre vokalen Fähigkeiten gehen weit über das hinaus, was man gewöhnlich von ihnen zu hören bekommt. Denn seit langem ist bekannt, dass sie sogar in der Lage sind, Volkslieder nachzupfeifen, melodienfest und tongenau. Dies hat dazu geführt, dass sie sowohl ihrer bunten Schönheit als auch ihrer Imitationskunst wegen gekäfigt worden sind.

Wer ist der Lehrer, wer der Vogel? Ein von Hand aufgezogener Gimpel imitiert eine Volksmelodie

In einem Vogelstimmenvortag in Seewiesen hat Prof. Gahr einmal Tonaufnahmen zur Imitationskunst der Gimpel zu Gehör gebracht, und ich habe es an meinem Sitzplatz mitgeschnitten. Deutlich wird offenbar, wie groß die Stimmbegabung der Gimpel ist -nicht simpel, eher phänomenal! Letztlich bleibt die Frage offen, warum diese Vögel in Freiheit keinen – oder kaum – Gebrauch davon machen. Oder sollte man lieber umgekehrt fragen: warum singen viele Vögel so komplex?

Was mich jedoch am meisten elektrisiertd, als ich ins Dorf zurück komme, sind vier schwarze Vogelgestalten. Sie schaukeln in einer großen Birke auf dem Spielplatz am Ende der Straße, laut pfeifend und leise schwatzend: die ersten Stare sind wieder da! Stimm-, sing- und imitationsfreudig wie eh und je.

♫ Gruppengesang dreier Stare am 13. Februar, wieder auf dem Kirchturmkreuz ♫

Nachtrag: auch in den Dörfern ringsum sind wie auf Verabredung die ersten Stare am 10. Februar erschienen – der restliche große Schwung lässt noch auf sich warten. Am 13. Februar ist es mir gelungen, die komplexen Gesänge der Frühankömmlinge störungsfrei aufzunehmen.

Wintergoldhähnchen und erste Misteldrossel singen auf den Lechhängen

Wenig später hat sich die Sonne durchgesetzt. Ich fahre zum Lech und gehe in der Kalksteinschlucht hinter der „Teufelsküche“ zum Stauweiher hinauf. Die Steige weiter oben sind noch vereist, und die Wasseramseln, auf die ich gerechnet habe, lassen sich nicht blicken.

In der Kalksteinschlucht bei Pitzling

Wasserrauschen und Windsausen, wenn die Böen die Bäume packen. Oben auf dem Wanderweg tanzen Sonnenflecken und Schatten – soll ich weitergehen oder lieber zurück? Dann meldet sich kurz eine Misteldrossel, hört gleich wieder auf und lädt mich zum Horchen und Warten ein. Plötzlich ist die Vogelstille gebrochen. Zwei Wintergoldhähnchen fangen zu singen an, sehr hoch und sehr deutlich mit hübschen kleinen Schnörkeln am Ende.

♫ Ein Wintergoldhähnchen singt lang und zart mit hübschen Trillern zwischen Windböen in der „Teufelsküche“ am Lech ♫

Buntspechte keckern, Tannenmeisen singen, dazwischen verwehte Erlenzeisigrufe, Kohlmeisenläuten im Hintergrund. Dann:

♫ Die Misteldrossel setzt wieder ein ♫.

Ich bin erleichtert, weil sich Frühlingssimmen in die trübe Stimmung am Ende des Hochwinters mischen. Während ich vorsichtig den Eispfad am Stauweiher hinab trapse, klingen die Vogellieder mir nach. Die schnell verwehten Goldhähnchenstrophen, die den Ausgang des Winters besingen, der kräftige Drosselgesang, der den anrückenden Vorfrühling einlädt, zumindest in mein Gemüt.

Vorfrühlingsgesänge
Höckerschwäne und Pfeifenten

Kaum bin ich wieder unten am Ufer des Lech, flitzt ein Eisvogel vorbei – besser zu hören als zu sehen. Eine Sumpfmeise singt ein paar Klapperstrophen. Kohl- und Blaumeisenlaute. Auf dem Wasser residieren die Höckerschwäne, wie so oft umwimmelt von ihrem „Hofstaat“, zu dem nach wie vor die schönen Pfeifenten gehören – Wintergäste aus dem Norden, die noch lange nicht abgezogen sind.

Zwischen Frühlingsakkorden und Entenpiffen: ein Januartag

Zwischen Frühlingsakkorden und Entenpiffen: ein Januartag

18. Januar 2022

Noch ist nicht spürbar, dass die Tage länger, die Nächte kürzer werden. Noch haben Hochwinter und Corona das Land fest im Griff, und es ist jetzt besonders leicht, sich weggesperrt zu fühlen. Nicht so gern wie sonst gehe ich durch die Vogelstille in Wald und Feld, fürchte die Trübnis, die sie bei mir auslösen kann.

Vor knapp zweieinhalb Wochen, am letzten Tag des Jahres, sah ich Nachmittags am Lech hinter Pitzling einen Höckerschwan, der auf seltsam gekrümmte Weise, und lange, seinen Kopf unter Wasser hielt. Ich wartete auf sein Auftauchen, lenkte mehrmals das Fernglas zu ihm hin – bis ich realisierte, dass er tot sein musste. Das Foto zeigt ihn im Wasser liegen, in blendendem Weiß, die Wellen lösen seine Umrisse auf, er versinkt in der Spiegelung, die Spiegelung lässt ihn versinken. Um ihn herum das schimmernde Immergrün der Nadelbäume vom Hang, das sich im Wasser kräuselt. Als ich eine Stunde später von meiner Fahrt den Lech entlang zurückkomme, ist die Feuerwehr da, hat ihn herausgeholt. Der Schwan ist tot, das alte Jahr geht zu Ende, der tote Schwan wurde entsorgt …

Weiter präsent: Singschwäne – sie winken noch lange nicht zum Abschied

In Apfeldorf war schon am 2. Januar die Zahl der Singschwäne auf über hundert angestiegen. Ich horchte auf ihre immposanten Posaunenklänge und sah den schönen Spießenten beim Gründeln, den zwei Zwergsägerweibchen beim unentwegten Tauchen zu. Wunderte mich, dass schon so viele Beobachter am Ufer standen, offenbar wartend – bis mit schweren Flügeln ein Seeadler vorbeiflog, der sei, hieß es, schon seit ein paar Tagen da.

Inzwischen sind Ferien und Feste vorbei gerauscht und der Seeadler ist weiter geflogen. Die Spießenten sind geblieben, es dauert noch, bis die Zugunruhe sie packt. Ich hingegen bin unruhig. Ob es daran liegt, dass heute ein Vollmondtag ist? Das Wetter ist so milde, dass ich mit dem Fahhrad an den Lech fahren kann. Weg mit der Trübnis!

Eine Vollmond-Songline hinunter zum Lech

Verwundert und zunehmend vergnügt stelle ich unterwegs fest, dass die Vogelstille gebrochen ist. Für heute zumindest. Dem Mond sei Dank oder aus anderen Gründen. Alle Kohlmeisen längs meines Weges müssen heute ihre Frühlingsakkorde in die Luft setzen, fühlen sich offenbar gedrängt, in verschiedenen Tempi zu singen, zu wetzen, zu läuten. Jede hat ihren besonden sound, lustvoll und licht. Ich werde meinen Weg zum Lech buchstäblich hinunter geläutet. Spätestens jetzt glaube ich, dass die Tage nun doch länger werden.

Saatkrähe im Augustlaub mit hervorspießendem Schnabel

Vieles hält mich unterwegs auf. Gleich hinter Stoffen schwingt zwischen den Meisenlauten ein bunter Distelfink, ein ♫ Stieglitz ♫ erste Liedgirlanden in die Luft. Klingt heiter! Während ich ihm zuhöre, landet hinter mir ein Schwarm Saatkrähen. Wie jedes Winterhalbjahr ist hier ein kleiner Trupp von etwa dreißig Schwarzen zu Gast. Kräftige knochenweiße Schnäbel, nackt bis zum Grund. Die Stimmen rau und sonor, klingen tiefer als die der Rabenkrähen.

Sie lieben es, wie alle Vertreter der klugen geselligen Rabenvögel, gemeinsam umherzustreifen und dabei ausgiebig zu kommunizieren. Dazwischen die zierlichen Dohlen, grauköpfgig, blauäugig, die sich ihnen zugesellt haben.

Sonore Saatkrähenunterhaltung in der Feldmark, dazwischen Dohlen mit ihren hellen Kjaks und härter klingende Rufe von Rabenkrähen (00:15)

Glissandopfiffe, Grunzpfiffe und andere Auffälligkeiten

Über fünfzig Zwergtaucher in einer Fließstrecke am Lech

Dann bin ich unten am Lech, wo sich das Wintervolk tummelt.
Darunter, immer im Pulk, ein halbes Hundert Zwergtaucher, unverkennbar in ihrer rundlichen Hurtigkeit, die Hinterteile hell und hochgepuschelt.
Von ihnen, die im Frühjahr so spektakulär trillern können, ist heute nichts zu hören. Sie wimmeln tauchend umeinander, so schnell, dass es schwer fällt, sie genau zu zählen. Sind so winzig, wenn man sie von Weitem sieht, vom Wasser überglänzt!

Holt die Optik sie näher heran, sieht man deutlich ihre kleinen runden Bauschgestalten.
Rings um sie her das stimmfreudige Gewimmel der Größeren und Großen. Blässrallen, Enten, Gänse, Säger, Schwäne, Wintergäste auch sie hier im Eisvogelrevier.
Stets präsent sind die vielen Höckerschwäne, die sich über das Wasser verteilen, oft einzeln oder zu zweit. Stecken den Kopf unter Wasser, gründeln, gleiten gemächlich dahin.

Gemächlich wie ihr Dahingleiten ist auch ihre Kommunikation. Keine Posaunenklänge, sondern leisere Laute, schnarchelnd, fauchelnd, oft mit langen Pausen dazwischen. Ihre Fluggeräusche dagegen sind spektakulär, ganz im Gegensatz zu denen der Singschwäne, und werden als „singen“ bezeichnet.

Höckerschwankommunikation auf dem Lech bei Pitzling, Januar 2022

Ich finde es immer wieder spannend, dass die eine Schwanenart mit der Syrinx, die andere mit ihren Flügeln „singt“.

♫ Fünf Höckerschwäne mit „singendem“ Flugschall ♫

Pfeifenten im Pulk. Ganz links ein Weibchen

Faszinierend sind auch die Pfeifenten, kleine bunte Schwimmenten mit dem schönen lateinischen Namen Anas penelope, die fernab in Tundra und Taiga brüten und pünktlich jeden Herbst hier eintreffen. Sie werden wie die Spießenten und Singschwäne noch wochenlang bleiben. Oft tummeln sie sich im Pulk, der sich in Fließstrecken bildet, häufig um ein oder zwei Schwanenriesen herum.


Besonders bunt wirken die Männchen, denn sie sind auffällig gelbgestirnt. Zwischen Reiher- und Schnatterenten leuchten sie deutlich hervor. Was sie aber besonders auszeichnet, ist ihr Glissandopfiff.
Wer ihn zum ersten Mal hört, glaubt kaum, dass er von einer Ente herrührt!

Glissandopfiffe eines Pfeifentenmännchens

Ganz andere Pfiffe lassen die Erpel der Stock- und Schnatterenten in ihrer Balzzeit hören. Die beginnt schon Ende September mit der „Verlobungszeit“. Grunzpfiffe werden diese Laute genannt, weil auf den Pfiff ein tiefes Knurren folgt, das aber nur schwer zu hören ist.
Besonders laut und fiepend grunzpfeifen die Schnatterenten. Sie sind in Vielem den Stockenten ähnlich, doch ist ihr Aussehen unauffälliger als das der prachtvollen Stockentenmännchen. Ihr Pfiff dagegen ist umso schriller!

Schnatterenten mit Grunzpfiffen. Eine besonders lebhafte Tonaufnahme vom Balzbeginn Ende Herbst 2021 vom Zellsee. Im Hintergrund gleich nach Beginn (0:20) ein Grünschenkel. Nach 02:00 Graureiher-Flugrufe.

Hinter mir am Lechhang wird es laut, weil die Buntspechte sich wieder melden. Mit erregtem Trommeln und Keckern geben sie diesem Morgen den passenden Abschluss. Und der heißt, ins Hochdeutsche übersetzt: Auch wenn es demnächst wieder stürmt, friert und schneit: es wird doch Frühling werden.

♫ Buntspechte trommeln am Lech, 18. Januar 2022. Um 0:22 Kleiberrufe. Nach 01:00 singt eine Sumpfmeise ihre Klapperstrophen, ab 01:41 ein Gartenbaumläufer



Posaunenklänge am Lech: Singschwäne

Posaunenklänge am Lech: Singschwäne

Singschwäne und Graugäne
In der Wintersonne: Singschwäne zwischen Graugänsen auf dem Lech bei Apfeldorf

12. Dezember 2021

Sehr früh bin ich aus einem leichten Traumgespinst aufgewacht und habe nach dem kleinformatigen, dicken, in grünes Leinen gebundenen Rilkeband gegriffen, der neben meinem Bett steht. Habe die Neunte Elegie aufgeschlagen und wieder ein Stückchen tiefer verstanden. Der Schluss so schön und ein guter Start in den sonnigen Tag – den lichtesten seit langem:
Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft
werden weniger … Überzähliges Dasein
entspringt mir im Herzen.

Die Linde vorm Haus hat alle Schneelast abgeschüttelt und ist wieder lichtdurchfällig. Die monatliche Wasservogelzählung steht an. Aber Kiesgrube, Weiher, Windachspeicher, alle kleinen Gewässer sind zugefroren, nur Schattenpfützen und schnurgerade Spuren – Feldhasen, Füchse? – die sind hier jedenfalls oft unterwegs. Alle Vögel scheinen ausgeflogen, bis auf einen kleinen Goldammertrupp und die unentwegten Rabenkrähen.
Aber auf dem Lech mit seinen Staustufen, insbesondere der Lechstaustufe bei Apfeldorf, da müssten die doch zu finden sein, die wir seit langem erwarten …

Schon oben auf der Straße sind ihre Posaunenklänge zu hören, nähern und steigern sich, als wir durch den Schnee nach unten stapfen. Jetzt können wir sie endlich ins Auge fassen, besser noch ins Spektiv-Okular, die eleganten Schönen aus dem hohen Norden, denen der Stausee am Lech das bedeutet, was für unsere Zugvögel Afrika ist: ihr weit im Süden gelegenes Winterquartier, das sie Jahr für Jahr wieder aufsuchen. Ob diese hier dieselben sind, die wir letztes Jahr sahen und hörten, genauer gesagt: Anfang des Jahres? Denn der Jahreskreis zwischen Winter und Winter hat sich so schnell geschlossen.

Die Bucht vor der Schilfzunge ist zugefroren. Im Januar war sie frei. Zwischen den Singschwänen mit ihrem erhabenen Geschau wimmelte das kleinere Wasservolk, darunter eifrig gründelnde Spießenten, die ihrem Namen getreu mit spitzen Schwanzenden die Luft durchspießten.

Heute eine ganz andere Szenerie: der federblaue Himmel hält alles in sein Licht getaucht, ganz besonders die großen Vögel da draußen, weit außerhalb der Fluchtdistanz, die sich ungestört präsentieren können. Ein paar der sechzehn, die zu sehen sind, gründeln am Ufer gegenüber, die meisten stehn oder ruhen in kleinen Gruppen auf dem Rand des Eises, Weiß über Weiß, darüber der sonnengelbe Schnabel, die Spitze schwarz abgesetzt, darüber die glitzende Wintersonne – so viel Licht über Licht, das vertreibt fürs erste die Wintergespinste und lästigen Coronagrillen. Ob sie überhaupt etwas von uns wahrnehmen? Vielleicht ein schwächliches Ufergewusel, das sie getrost außer Acht lassen können?

Singschwäne bei Apfeldorf

Welcher Anlass auch immer ihre Stimme lockert: von Zeit zu Zeit ein Ruf, dem ein anderer antwortet, von nah, von fern, denn flussauffwärts sitzen noch mehr – dann zu zweit ein kleines Duett – und wenn’s passt fließen mehrere Duette zu einem Posaunenchor zusammen, das kann auch im Flug passieren: Schwanengesänge, die den Schönen ihren Namen gegeben haben. Im Gegensatz dazu wurden Höckerschwäne denen dieser Posaunenklang mangelt, früher „Stumme Schwäne“ genannt. Was durchaus ungerecht ist, denn wer hat nicht schon das spektakuläre Singen ihrer Flügel gehört und bestaunt?

♫ Höckerschwäne „singen“ im Flug mit ihren Flügeln ♫

Wie meistens gibt es, will man Tonaufnahmen machen, diese und jene Widrigkeit – die ärgerlichste ist plötzlich einsetzendes Schweigen, wenn endlich alles für die Aufnahme bereit ist. Als ich unten angelangt bin und meine Geräte aufgebaut sind, ist die Rufoffensive erstmal vorbei, und ich muss geduldig warten, bis die Rufe wieder hochbranden und ich sie dokumentieren kann – ihr archaischer Hall rührt mich immer wieder an.

„Posaunenchor“ eines großen Singschwänetrupps Neujahr 2017 bei Dornstetten ♫

Während die Singschwäne pausieren, lasse ich meinen Blick durchs Spektiv über die Pulks anderer Wasserervögel schweifen, die weiter weg hin und her und durcheinander schwimmen. Zu meinem Bedauern taucht auch heute zwischen Schnatter-Stock-Krick-Tafel-Reiher-Spieß-Schellenten das weiße Blässhuhn nicht auf, ein sehr seltene genetische Abweichung. Als ich es letztes Jahr zu meiner Verblüffung entdeckte, ist mir versichert worden, dass es hier jahrelang immer wieder gesehen wurde. Ob es noch lebt? Wie es wohl so lange überleben konnte, so auffällig wie es war, ein kleines weißes Segel, weithin leuchtend zwischen all seinen schwarzen Artgenossen.

Singschwäne rufen und duettieren am Lech bei Apfeldorf

Dann beginnnen die Singschwäne erneut zu rufen. Auf ihrem Eisrand stehend. Hoch steht die Sonne. Ich stehe mit kalten Füßen, Kopfhörer und heißen Ohren am Uferhang, ein Zaunkönig huscht vorbei, und ich bin so vergnügt, wie man an einem solchem Tag nur vergnügt sein kann. Am liebsten würde ich mitsingen – eine wilde Wassermelodie, des Winters wegen ein wenig auf Moll gestimmt, aber leider, es mangelt meiner kleinen Stimme an jeglichem Posaunenhallklang – und ich ziehe zusammen mit meinem Gefährten ungesungen, aber glücklich nach Hause.

Singschwäne auf dem Lech

Chaos und Löwenmäulchen

Chaos und Löwenmäulchen

30. November 2021

Letzten Freitag waren alle Zweige und Äste der Doppellinde, die unserem Haus gegenüber steht, bis in die kleinsten Verästelungen weiß ummantelt – da hatte sich der tagelange zähe Hochnebel in Eiskristalle verwandelt und in feinen Lagen um die Äste gewickelt. Kurz darauf begann es zu schneien, zunächst dünn und zögerlich, tags darauf in dicken Flocken. Der Baumzauber war schnell dahin, der zähe graue Novembernebel abgelöst vom Weiß über Weiß, vorübergehend. Auch damit ist es schon wieder aus. Heute toben hier Sturmböen, treiben große Schneefahnen hoch, verwehen die Grenzen zwischen Straßen, Feldern und Böschungen. Schneenebel, Chaos, Unfallwetter. Die meisten Vögel haben sich weggeduckt. Ihre Anmut: wie sie sich aufplustern, sich aufschwingen, durch Schneeflockenwirbel schlüpfen, täuscht ohnehin oft darüber hinweg, wie hart sie täglich aufs Neue um die bloße Sicherung ihres Überlebens kämpfen müssen, besonders im Winter. Das Rotkehlchen zum Beispiel.

Kurz vor dem großen Schneetreiben fand ich neben einer Auffahrt im Nachbardorf ein Stillleben, im Grunde ein Anti-Stillleben, das ich nur gegen innere Widerstände über diesen Beitrag setzen kann. Setzen muss, denn es ist so kennzeichnend für das, was wir noch zulassen an Natur. Statt Zaun eine sogenannte Gabione: zwei Eisenstabmatten, der Zwischenraum mit Bruchsteinen hoch angefüllt und mit Maschendraht überzogen. Davor, zwischen Schneelachen, ein rosafarbenes Löwenmäulchen, keine Wild-, sondern eine Gärtnerpflanze. Aufrecht, blühend, frierend, gerade noch so der Stein&Stahlwüste entkommen. Versprengter Fremdling. Dennoch voll Farbe und Licht.

Sonnenaufgang im Nebel

Sonst ist Lichtvolles wenig zu berichten, insbesondere nicht aus der großen weiten Vogelwelt. Zumal ich durch eine RS-Grippe wochenlang lahmgelegt war.
Die Pandemie läuft weiter zu großer Form auf. Nach der Delta-Mutante ist gerade eine sogenannte Omikron-Mutante aufgetaucht. Corona Corona überall. Der nächste Lockdown steht vor der Tür und das in einer Jahreszeit, in der das Licht täglich um ein Stückchen mehr schwindet.

Darüber wird die Dramatik dessen, was uns alle viel stärker noch an den Rand des Abgrunds bringt: Stickstoffüberschuss, Klimawandel und vor allem Verlust der Artenvielfalt hartnäckig übersehen, dringt nicht wirklich ins Bewusstsein vor. Dass es sich nicht bloß um „die Anderen“ handelt, um das Verschwinden von beispielsweise Gelbbauchunke, Feldhamster, Großem Brachvogel, die leider kaum noch jemand kennt, sondern um Menetekel, die das Zusammenkrachen großer voneinander abhängiger Komplexe, das sechste Massenaussterben der Erdgeschichte anzeigen, wird nicht zur Kenntnis genommen. Und schon gar nicht, dass wir mittendrin stecken im Chaos, jeder Einzelne. Apokalypsenblindheit hat Günter Anders das schon vor 25 Jahren genannt.

Nun ist Chaos ja eine Lebenskraft, die uranfängliche Formlosigkeit und Dunkelheit, aus der allein Neues aufgebaut werden konnte und kann. Aber was heißt das für uns und unsere gegenwärtige Welt, in der alte Sicherheiten und Gewissheiten schwinden wie Schnee an der Sonne? Und was vermag dabei ein Löwenmäulchen auszurichten, das den Steinen sein Leben abtrotzt? Oder ist das auch bloß eine irreführende Chiffre?
„Du musst das Chaos in dir haben, um einen tanzenden Stern zu gebären“, hat Nietzsche gesagt.
Das klingt schön. Das klingt erschreckend.
Was geschieht mit uns, was müssen wir geschehen lassen, wenn erst auf einer so hohen Ebene Hoffnungslosigkeit ausgeschlossen werden kann?

Wiedehopf – Vogel des Jahres 2022

Wiedehopf – Vogel des Jahres 2022

Wiedehopf in einem Thaininger Garten Ende August 2021

20. November 2021

Gerade ist er über die Naturschutzverbände NABU und LBV zum Vogel des Jahres 2022 gekürt worden, dieser Upupa epops, der auch zu jenen gehört, bei denen man nicht glauben kann, dass die Evolution soviel Extravaganz aus reiner Notwendigkeit hervorgebracht hat. Diese Federkrone, diese Farben, dieses Flügelmuster. Dieser Stocherschnabel! Und dieser Ruf!! Auch ich habe ihn, den schmerzlich Vermissten, gern gewählt. Er ist seit langem nicht mehr Brutvogel in unserer Region. Aber einzelne Wiedehopfe ziehen hier jährlich wenn auch spärlich durch, im Frühjahr oder August, denn sie sind Zugvögel, recht wärmeliebend und überwintern im Savannengürtel südlich der Sahara.
Wenn sie plötzlich in einem oberbayrischen Garten erscheinen, vereinzelt meist, dort sogar mehrere Tage im Boden stochern, staunen die Gartenbesitzer nicht schlecht beim Anblick dieser ausgefallenen Erscheinung.

Wiedehopf, Durchzug Th. Ende August, im Boden stochernd
Wiedehopf im Nachbardorf Ende August 2021

Auch dieses Jahr sind in unserem Landkreis fünf einzelne Wiedehopfe gesichtet und über ornitho gemeldet worden: einer Anfang April in einem Garten in Dettenschwang, vier zwischen Mitte und Ende August am Ammersee-Südende, in Landsberg, Unterdießen sowie in unserem Nachbardorf, in Thaining. Und das war alles!

Schon lange wollte ich diesen schönen Exoten beobachten und vor allem: hören, live!, und mochte nicht recht auf den unwahrscheinlichen Zufall warten, dass sich ein solch seltener Gast auch einmal in unserem Garten niederlässt oder mir auf meinen Streifzügen begegnet.
Ihn Exot zu nennen ist genau genommen falsch, denn trotz seiner ausgefallenen Erscheinung ist er alles andere als fremdländisch, gehört seit alters her in unsere Kulturlandschaft und war auch in Bayern bis Mitte des letzten Jahrhunderts weit verbreitet. Das letzte bayrische Brutvorkommen erlosch 1997. Die wenigen Brutvorkommen, die es inzwischen wieder in Mittel- und Unterfranken gibt, kann man an zehn Fingern abzählen, der Schöne ist hier also weiter vom Aussterben bedroht.

Warum? Er ist Höhlenbrüter, braucht alten Baumbestand in halboffenem Gelände mit nur kurzer Vegetation und als Nahrung Großinsekten, insbesondere Maulwurfsgrillen, Käfer, Heuschrecken und ihre Larven und kommt deshalb in Mitteleuropa vor allem in extensiv genutzten Obst- und Weinkulturen, in Gegenden mit Weidetierhaltung und Ruderalflächen vor. Die Betonung liegt auf extensiv, und das heißt: Flächenfraß, Überdüngung und Pestizide, die den Insekten den Garaus machen, bringen auch ihn zur Strecke.

König der Vögel?

Ein so extravaganter Vogel hat natürlich in Redewendungen, Voksliedern, Kultur und Literatur seine Spuren hinterlassen. Dazu ein paar Beispiele:

The Concourse of the Birds, Metroplitan Museum

Wenn jemand angeblich wie ein Wiedehopf stinkt, so rührt dies von einer sehr effektiven Verteidigungsstrategie zur Brutzeit her: Alte wie Junge besitzen eine Drüse mit einem übel stinkendem Sekret, das sie bei Gefahr einem Feind entgegen spritzen.

Dass der Wiedehopf in Alle Vögel sind schon da der Braut einen Blumentopf schenkt, ist sicher nur schlicht dem Umstand geschuldet, dass topf sich auf hopf reimt.

In der berühmten mystischen Dichtung Vogelgespräche des Fariduddin Attar aus dem Persien des 12. Jahrhunderts hat er hingegen die schwerwiegende Aufgabe, 1000 Vögel auf einer gefährlichen Reise zum Simurgh, dem Vogelkönig, zu führen. Nur 30 Vögel schaffen es bis zum Ziel – um am Ende im König ihre eigene Identität zu erkennen.

Und was sagt Robert Gernhardt 2002 zu seinem drohenden Verlust?

Fehlte der Wiedehopf,
fehlte noch mehr:
fehlte ein steter Ruf,
fehlte ein rascher Flug,
fehlte ein lichtes Braun,
fehlte schwarz-weißes Flirr’n,
fehlte dieses
ganz einzigartig
mitreißend Fremde,
fehlte dies Anderssein …

Das ist vielen Naturschützern aus dem Herzen gesprochen!

Auf Wiedehopfpirsch im Kaiserstuhl

Lösshänge und Weingärten – ein stimmungsvolles Foto des BUND, Regionalverband Südlicher Oberrhein

Wir haben nicht auf unser Sichtungsglück gewartet, sondern sind der richtigen Zeit am richtigen Ort sozusagen entgegengefahren. Sind am ersten Tag nach dem ersten Lockdown, am 18. Mai 2020, als Ferienwohnungen mit Selbstversorgung wieder vermietet werden durften, zum Kaiserstuhl gefahren und haben uns für eine Woche in Wasenweiler bei Ihringen eingenistet.
Was für eine Landschaft: altes Vulkangestein unter den Füßen, steile wärmespeichernde Lösshänge in und über den Weingärten, einige wenige Hohlwege mit üppig bewachsenen Böschungen, die die Flurbereinigung übrig gelassen hat.

In der Nähe unserer Ferienwohnung unermüdlich singende Nachtigallen – einmal habe ich fünf gleichzeitig gezählt. Pirole. Sumpfrohrsänger. Mönchsgrasmücken mit ihrem Süddialekt. Die Kuckucke. Dazu die rollenden Rufe überfliegender Bienenfresser, die gleich um die Ecke bei Ihringen an einer Lösswand mit Bruthöhlen zu bestaunen sind. Ein großes farbenprächtiges und klangmächtiges Erlebnis mit leicht bitterem Beigeschmack, darüber wird noch zu berichten sein.

Und die Wiedehopfe?
Gleich am ersten Morgen nach unserer Ankunft wandern wir ins Betzental, wo wir von einer Anhöhe herunter nach Wiedehopfen horchen und spähen. Da müssten sie doch sein? Oder? Natürlich „nichts“.
Nichts? Was für eine Untertreibung an einem Maimorgen im Kaiserstuhl!
Da sind die Scharen von jungen Staren, die in den Kirschbäumen lärmen, großen ausladenden Bäumen, die hügelabwärts die Grenze zwischen einem Weinberg und einer Ostplantage markieren. Da ist der ganze übrige Morgenchor, ein Pirol zum Beispiel, Mönche zum Beispiel, überfliegende Bienenfresser und … da ist er! Dieser Ruf! Nie gehört, aber unverkennbar.

leider nur von Weitem erwischt …

Ich laufe schnell den Hügel hinab, schalte währenddessen das Aufnahmegerät ein, verheddere mich bei der ersten Tonaufnahme – wollte die Annäherung aufnehmen – perdu. Hinter der alten Rebhütte biege ich in den Weinberg ein. Berge mich unter dem Kirschbaumschatten. Seitlich die erste Reihe der Weinstöcke. Halte mich still und das Mikro wackelfrei. Mein Blick wandert zu der Rebhütte hinüber, die mit Nistkästen behängt ist. Weit unten hat sie ein großes Einflugloch. Das muss eine der Rebhütten sein, die für die Wiedehopfe bereit gestellt werden. Vielleicht hat sich der Vogel, den ich ich gerade gehört habe, diesen Brutplatz schon ausgesucht. Er wird doch nicht weggeflogen sein? Nein, da ist er wieder, der Huppup, der Bubbelhahn, und ein Wendehals dazu, sie singen beide, was für ein Glück!

Auch der Wendehals ist einer der Vögel, die unter intensivierter Landwitschaft leiden und weitgehend aus unserem Blick- und Hörfeld verschwunden sind. Ein Specht, der nicht trommelt, nicht klopft, keine Nisthöhlen zimmert, auf Bruthöhlen angewiesen ist. Und ganz und gar auf Ameisenkost spezialisiert ist: darin ähnelt er seinem großen Verwandten, dem Grünspecht. Ansonsten ist er deckfarben, einer von der k.b.u.-Sorte (klein, braun, unauffällig) – auffällig wird er nur, wenn er seine Quäkstrophen herunterleiert: darin ähnelt er einem anderen Verwandten, dem Mittelspecht. Dieser hier dürfte noch nicht lange aus dem Süden zurück sein, und er ist in Quäklaune!
Während mein Gefährte mit seinem Fotoapparat zwischen den Weinstöcken und Baumreihen verschwindet, um den Wiedehopf zu fotografrieren – leider nicht sehr erfolgreich, wie sich später herausstellt – bleibe ich hocken und tauche in ein bemerkenswertes Maikonzert ein, angeführt von der aufgeregten Schar junger Stare mit ihrem Halbstarkenlärm in den halbreifen Kirschen..
Gleich zu Beginn setzt das hup-hup-hup des Wiedehopfs ein, ein wenig dumpf, liegt bei nur 500 Hz, doch in munter hüpfender Rhythmisierung, gefolgt vom stets leicht ansteigenden Wendehalsquäken in höherer Tonlage, und ab 00:20 fügt, gut hörbar, eine Mönchsgrasmücke ihre Strophen dazwischen. Ferner oder näher melden sich Mäusebussard, Pirol, Hausrotschwanz, Buchfink, Feldgrille, am Ende ein Zilpzalp. Ab 04:14 ist der Wiedehopf ganz nah:

♫ Weinbergkonzert mit Wiedehopf, Wendehals und jungen Staren im Hochfrühling im Kaiserstuhl ♫

Das Spektakulärste ist der ab 04:28 einsetzende Laut, der mich zunächst völlig verblüfft, eine Art ärgerlichen Fauchkrächzens. Das ist vermutlich der zweite Wiedehopf, der sich schon ein paarmal, weiter weg im Hintergrund, gemeldet hat. Nach Bergmann soll dieses Fauchen bei Kämpfen zwischen Artgenossen oder Annäherung eines Feindes zu hören sein. Ein Aggressionsruf also, zumindest ein Ausdruck starker Erregung, mit Sicherheit gilt er nicht mir. Denn das Fauchkrächzen wird zwischen den hup-hup-hups fortgesetzt und offenbar vom ersten Wiedehopf erwidert.

Soviel zu diesem ausgefallenen Konzert. Am nächsten Morgen sind wir kurz nach 5:00 Uhr vor Ort. Wir finden einen Brutkasten, der niedrig in einem Obstbaum aufgehängt ist. Und die Wiedehopfe sind da, entziehen sich wieder erfolgreich dem Fotografieren, aber meinem Mikro verweigern sie nichts:

♫ Wiedehopf-Frühkonzert ab 5:39 mit Fauchkrächzen am Anfang, dazu Mönchsgramücken, Türkentauben und Spechttrommeln im Hintergrund ♫

♫ Wiedehopf-Frühkonzert ab 5:44 mit Fauchkrächzen am Ende, dazu Mönchsgrasmücken, Feldgrille, Kohlmeisenläuten, Spechttrommeln … ♫

Ob es ein Pärchen ist, das hier in der alten Rebhütte odern im Brutkasten brüten will? Auswahl haben sie jedenfalls!

Nachsatz im Januar 2022: Im Falken 1/2022 hat Dr. Hermann Stickroth einen sehr interessanten und informativen Artikel veröffentlich: König ohne Königreich- Vogel des Jahres 2022 – Der Wiedehopf






Septemberende: Rotmilane & Co.

Septemberende: Rotmilane & Co.

Rotmilane kreisen über der Feldmark von Hofstetten
Rotmilane kreisen über der Feldmark von Hofstetten, Oberbayern

29. September 2021

Ende September. Vorgestern war es Mittags noch heiß, der Himmel voller Sonnenbläue, auf jedem zweiten Dachfirst haben die Hausrotschwänze gesungen. Dennoch sind jetzt inmitten der Lichtfülle die Keime künftiger Dunkelheit zu spüren und verbreiten eine gewisse Melancholie. Die Sonnenblumen an den Feldrändern lassen ihre samenschweren Köpfe hängen. Wo nicht ständig gemäht wird, blühen die Herbstzeitlosen, schließen sich am Abend, öffnen sich am Morgen, und mit prallen Hagebutten an den Wildrosensträuchern verabschiedet sich der Spätsommer in den Herbst.

♫ Herbstkonzert am Rande des Dorfes um ein Pferdegehöft herum ♫
Rotkehlchen, junge Stieglitze, ein Star, der gleich mal den Mäusebussard imitiert und rauf und runter pfeift, Zilpzalp, Grünfinken, Elstern, Grünspecht, dazu Pferd und Esel geben dem Sommer ein farbenprächtiges, stimmkräftiges Abschiedskonzert

Längst jagen die Mauersegler unter afrikanischem Himmel. Viele unserer Schwarzmilane haben die Sahara überquert, Sumpfrohrsänger, Fitisse, Mehlschwalben sind verschwunden. Hier und da flitzt eine letzte Rauchschwalbe über die Viehweiden, schnell wird ihre Flugbahn gelöscht von herumstreunenden kleinen Starentrupps.

Nun, in diesem ersten der Herbst- und Wintermonate, deren Namen auf r endet, sammeln sich in der Feldmark Vögel, deren Namen mir R beginnen: Rotmilane, Rabenkrähen, Ringeltauben. Obwohl wir hier in einem Landstrich leben, in dem Rotmilane recht häufig sind, ist es für mich jedes Mal ein Erlebnis, ihnen zu begegnen, und jedes Mal muss ich sie „zu Ende gucken“, wie das mal eine Frau formuliert hat, um deren italienischen Olivenhain herum die faszinierenden Schlangenadler leben.

Rotmilane sind von einer wildromantischen Schönheit, die ich ab und an versuche, in Fotos zu bannen, was mir aber nie ganz zur Zufriedenheit gelingt. Der fast weiße Kopf, das rot changierende Gefieder, das helle scharfe Auge …

Und die Rufe, so sehnsüchtig wild, die nach Antwort verlangen! Oft entstehen dann Dialoge von Leitungsmast zu Leitungsmast, auf denen sie und andere Greife mit großer Vorliebe ansitzen, Mäuse kröpfen, rufen.

Rotmilane rufen einander von Leitungsmast zu Leitungsmast ♫

Gestern Morgen konnte ich einen Milan fotografieren, der sich auf den schütteren Wipfelzweigen einer Birke sonnte. Schien sich völlig sicher zu fühlen, ließ mich nahe herankommen, äugte, rief. Was er wohl wahrgenommen hat von der Figur, die die Kamera hob? Nachmittags hockten in den Stoppeln sechs der schönen Roten, stiegen einer nach dem andern in die Luft und kurvten lässig über der Feldmark zwischen unserem und dem Nachbardorf, während nahezu 100 Rabenkrähen und zwanzig Ringeltauben sitzen blieben.

Ringeltaubenwolke
Ringeltaubendurchzug in der Feldmark

Die Wildtauben sind sehr scheu, ihnen darf man nicht zu nahe kommen. Im September geht der Zug langsam los. Während unsere heimischen Ringeltauben oft Standvögel sind, fliegen nordöstliche Populationen bis Südfrankreich und Spanien. Zunächst sind es kleinere Trupps, die hier durchkommen, im Oktober oft große Wolken.

Auch Hohltauben, kleiner und wendiger, ohne jedes Weiß im Gefieder, finden sich regelmäßig dazwischen. Vor zwei Jahren habe ich an einem Oktobermorgen über 2000 Durchzügler gezählt und bin gespannt, wie sich das dieses Jahr entwickelt.

Und nicht zu vergessen die Rabenkrähen!
Was, Du zählst auch Krähen, fragte mich eine Bekannte, die mich zu einem Monitoring begleitete. Schwankte ganz offensichtlich zwischen Erstaunen und Abscheu, denn sie gehört zu denen, die die Schwarzen für lästig und überflüssig halten, nahezu Ungeziefer.
Ja, natürlich beobachte, „verhöre“ und zähle ich sie, die klugen Rabenvögel, die zu den Singvögeln zählen und viel stimmbegabter sind, als gemeinhin angenommen wird.

Was zur Zeit besonders spannend ist: wieder sind hier einzelne Rabenkrähen aufgetaucht, die durch unregelmäßig verteilte fast weiße Gefiederpartien auffallen, manche sehen geradezu gescheckt aus.
Es könnte Leuzismus sein, genauer gesagt: Teilleuzismus, eine genetisch bedingte Abweichung. Zur Zeit wird jedoch auch diskutiert, inwieweit solche Fehlfarben durch Umweltgifte entstehen. Ich halte das für wahrscheinlich.

Stimmkräftig und ausdrucksstark: Rabenkrähen kommunizieren im Herbst:

Rotkehlchen – Vogel des Jahres 2021

Rotkehlchen – Vogel des Jahres 2021

Rotkehlchen an Kokosnussschale

22. März 2021

Das Rotkehlchen das hier neulich in in aller Morgenfrühe so herzgewinnend gesungen hat, und das ich gestern aufnehmen konnte, hat natürlich nicht gewusst, dass so etwas Seltsames wie eine Wahl zum Vogel des Jahres im Gange war – menschlicher Schnickschnack! – und es ist ihm sicher schnurzpiepegal, dass es gerade mitsamt seinen Artgenossen tatsächlich dazu gewählt worden ist.
Gestern früh konnte ich seinen Frühgesang aufnehmen:

♫ Frühlingsbeginn: ein Rotkehlchen singt in unserem Garten ♫

Rotkehlchen im März 2021

Diesem Vogel mit seiner ziegelroten Brust, seiner Zutraulichkeit und großäugig knicksenden Anmut können nur wenige Menschen widerstehen. Falls sie nicht zu den Vogelfängern gehören, die leider eine lange Tradition haben. Man denke nur an das hübsche, scheinbar so harmlose Lied von Kaiser Friedrich, der „am Vogelherd“ saß: und das war ein fest installierter mittelalterlicher Vogelfangplatz mit Lockvögeln, Netzen und Leimruten. Wenn wir „jemandem auf den Leim gehen“, so ist das Gedächtnis daran noch wach. Und in manchen Ländern leider auch noch die Praxis des Vogelfangs.

Im wechselnden Lauf der Geschichte hat der kleine Vogel viele Namen bekommen: Robin, Rötel, Pettirosso, Rouge-gorge. In Portugal, besonders hübsch: Pisco de Papo Vermelho! Er gehört zur Familie der Fliegenschnäpper und seine Vorfahren kamen vermutlich aus Afrika. Wie seine afrikanischen Verwandten lebt er in feuchten Dickichten, im Unterwuchs und Unterholz, wo er sich von kleinen Gliederfüßern – Insekten, Spinnen, Tausendfüßlern – von Larven, Raupen und anderen Wirbellosen, Würmern z. B. ernährt.

Rotkehlchen März 2021
Rotkehlchen im vorjährigen Gartenkräuterkrusch

Das erklärt nicht nur seine großen Augen, Eulenaugen!, mit denen er im Dickichtdämmer gut sehen kann. Sondern auch, dass er nach wie vor weit verbreitet ist: er hat eine ökologische Nische gefunden, die ihm ausreichend Überlebenschancen bietet. Allerdings muss er sich, salopp gesagt, ranhalten. Weil Gliederfüßer relativ kalorienarm, aber chitinhaltig sind und die Suche danach zeitaufwendig ist, beginnt der Tag eines Rotkehlchens weit vor Sonnenaufgang und endet erst mit der Abenddämmerung.

Eine Kette aus Trillerperlen ist meist das erste, was sich im Frühlingswald, wo ich ansitze, aus dem dunklen Schweigen herausschält, mir die Ohren kraftvoll und zärtlich triggert und meine Nerven in Schwingungen versetzt – freudige Schwingungen: endlich vorbei, die Nacht ist vorbei, gleich wird es hell, gleich erscheint das Licht – ein Erlebnis, so unmittelbar, dass es in Worten kaum fassbar ist.
An eine Aufnahmesituation erinnere ich mich gut: Wie ich im Wald etwas wacklig auf einem Blatt- und Zweigehügel stehe, in den meine Füße langsam einsinken. Wie die Stille sich plötzlich spannt und der Wald zu einem großen lauschenden Einatmem wird – und mit hohen fast reinen Tönen ein Rotkehlchen die Stille bricht und seine Trillerkaskaden feierlich zu singen beginnt:

ein Rotkehlchen eröffnet den Morgenchorus im Wald nahe unserem Dorf ♫

Listen and wonder! Plötzlich Füchsegebell, näher und näher – das Dunkel noch undurchdringlich – das Rotkelchen unbeindruckt mit gläsernen Klängen beschäftigt – die Füchse ganz nah, umrunden mich – lassen meine Haut ein wenig schuddern – entfernen sich langsam, während das Rotkehlchen weiter seine Tonperlen fallen lässt, in tiefere Frequenzen hinein.

Wenn aber das Rotkehlchen noch ungefährdet ist, ja, zu den“Allerweltsvögeln“ gehört: Welchen Sinn, über seine Schönheit hinaus, kann seine Wahl wohl haben, insbesondere für den Naturschutz?
Falsche Frage natürlich. Mir scheint, gerade weil es die „Allerweltsvögel“ repräsentiert, weist das Rötel darauf hin, dass wir beim gegenwärtig schiefen Lauf der Dinge einen breit angelegten Naturschutz brauchen, in der ganz normalen „Pampa“, in Siedlungen, Wald, Feld und Flur. So dass auch noch in naher Zukunft den Vögeln genug Überlebensnischen und uns die Vögel erhalten bleiben, mitsamt ihrer Schönheit und Musik, die unwiederbringlich ist – mal ganz abgesehen von ihrem Nutzen im großen Netz der Natur.

Auch der Zaunkönig kruscht gern im „unaufgeräumten“ Kräuterbeet

Es läuft immer wieder auf dasselbe hinaus: Vogelschutz ist Insektenschutz. Insektenschutz bedeutet Umdenken. Zulassen heißt die Devise, jede sterile Stubenordnung ist draußen fehl am Platz, auch vor unserer Haustür. Mähroboter abgetreten! Dito Thujahecken! Wie faszinierend kann ein wenig Wildnis sein: Tot- und Unterholz, Brennesselecken, Reisighaufen voller kribbelndem Leben, Laubstreu, worin das Rotkehlchen sich bergen und glücklich kruschen kann. Und übrigens der Zaunkönig auch.

Rotkehlchen◄ ►Rotkehlchenlied

Rotkehlchen als Weihnachtsvogel◄ ►… und alle kehlchen sind zurückgekehrt

sh. auch: Hermann Stickroth: Vogel des Jahres 2021 – Das Rotkehlchen: Robin der Eroberer Der Falke 5/2021

Man kann es Magie nennen

Man kann es Magie nennen

Im Verborgenen: Rotmilan

8. März 2021

Jetzt. Während zwischen Sonne am Tag und Frost in der Nacht das Frühjahr langsam heran schaukelt. Während all das noch vor mir liegt, was bald viel zu schnell vorüberrauscht. Während jede Blume, die zwischen dürrem Laub hervorspitzt, und jeder Vogeltriller als Ereignis und  Erneuerungswunder begrüßt werden: Jetzt passiert es immer wieder. Wenn ich mich absichtslos verhalte, nichts unbedingt will, nichts herbei wünsche, kommt es plötzlich auf mich zu. Unspektakulär, ganz und gar wunderbar und immer überraschend. Eine Landschaft enthüllt sich. Ein Vogel verbirgt sich. Andere Vögel rücken ganz nah, präsentieren ihre Anmut, lassen ein Liedchen fallen, verschwinden.

Waldbaumläufer, Rotmilan, Feldlerchen

Gestern zum Beispiel.
Ich unternehme eine kleine Rundtour durchs Gelände um unser Dorf herum und bleibe gleich an der nächsten Feldgehölzecke hängen, weil sich dort in der Sonne, die schon zu wärmen beginnt, ein kleiner Märzmorgenchor ereignet. Das Besondere an diesem Fleckchen ist, dass hier ein Waldbaumläufer sein Revier hat, das er mit zartem Stimmchen markiert.

♫ Waldbaumläuferlied – zart, aber mit Triller ♫

Seine Gesangsstrophe endet in einem feinen Triller, ist kaum bekannt und wird meistens überhört. Gleichzeitig durchpfeilen zwei Rotmilane, die ebenfalls in diesem Waldareal ihr Brutgeschäft betreiben, alles Gezwitscher mit ihren langgezogenen, leicht wiehernden Balzpfiffen. Ich bleibe also, baue mein Mikro auf, horche.

♫ Vorfrühlingskonzert am Feldrand

Zu Beginn GOLDAMMER, BUCHFINKEN, AMSELGEZETER im Hintergrund, später SINGDROSSEL. Ab 01:53 legt der KLEIBER richtig los und übertönt das WALDBAUMLÄUFERstimmchen, ab 2:27 Pfeifduett der ROTMILANE aus dem Hintergrund, kurz darauf singt eine WEIDENMEISE. Ab 3:19 keckern zwei erregte BUNTSPECHTE, trommeln.

Während das Mikro läuft, hocke ich auf einer Bank, die sich ans Feldgehölz lehnt, in der Sonne, die Feldmark, die hier leicht abfällt, zu meinen Füßen. Ich lasse meinen Blick im Licht verflimmern und denke an eine schöne Notiz von Hölderlin, die er wohl aufs Schreiben bezogen hat: … das Ohr an den Mund der Schöpfung legen. Dann selber ein Mund sein.

Feldlerche

Plötzlich füllen diese rollenden Triller die Luft, die ich lange nicht mehr gehört habe. Drei Feldlerchen kommen herbei geflattert und landen kaum zwei Meter weit weg von mir am Feldrand. Ich drehe sachte das Mikro um, bin wieder hellwach, rühre mich nicht. Bin für die Lerchen sicher nur ein krummes Stück Holz. Sie jagen sich, rufen , steigen immer wieder auf in die Luft, singen aus voller Brust, buchstäblich, denn so ist ihr Singorgan gebaut. Singen lange, kommen erregt zurück, stellen die Schopffedern auf. Sind plötzlich so schnell verschwunden, wie sie erschienen sind – und ich habe mein bisher bestes Lerchenstückchen aufgenommen.

Am Anfang Gesänge, ab etwa 03:00 vor allem erregte Rufe, während sich die FELDLERCHEN jagen, ab 04:00 trommelt ein BUNTSPECHT dazwischen, später Kontertrommeln mit einem zweiten, ab 06:00 steigen die Lerchen wieder kontinuierlich und steigern sich in einem fulminanten gemeinsamen Jubelgesang.

Kernbeißer, Singdrossel, Schwarzpecht …

zum Beispiel heute.
Ich stromere mit Fido, dem Border-Collie meiner Tochterfamilie, durch die Feldmark gleich hinter unserem Haus. Das Fernglas habe ich nur der Gewohnheit halber umgehängt, weil ich mich draußen ohne Fernglas nackt fühle. Ich erwarte nichts als einen schnellen Hundespaziergang durch die Nachmittagssonne.

Als wir in den Waldweg hinter den Stadeln einbiegen, ärgere ich mich trotzdem, wie so oft, über die Vogelstille. Will aber nicht weiter an den Rückgang der Vogelpopulationen denken, sondern konzentriere mich auf Hund, Sonne, den Rhythmus des Gehens. Oben im Fichtenschlag, wo ein Schwarzspecht eine von Rotfäule befallenen Baum entdeckt hat und als ergiebige Nahrungsquelle nutzt – die Löcher, die er in den Stamm unten gehackt hat, leuchten hell herüber – werde ich plötzlich aufmerksam, bleibe stehen, lausche.

Tatsächlich, hier klicksen und kicksen hoch oben in den Baumkronen Kernbeißer – diese scheuen Finkenvögel mit dem dicken kräftigen Schnabel und der kleinen Stimme, die früher Kirschkernbeißer hießen – ihr wissenschaftlicher Name, ein wenig zungenbrecherisch, ist aus dem Griechischen abgeleitet und lautet Coccothraustes, was soviel wie Kernbrecher heißt.

Kernbeißer gehören, zusammen mit Grauschnäppern, zu denjenigen Singvögeln, die ihren Gesang kaum entwickelt haben – leise, hoch, piepsig, nur aneinander gereihte Klicks- und Kickslaute, was gerade deshalb jemanden wie mich herausfordert, sie dennoch mit Mikrofon einzufangen.
Aber ich habe mein Mikro nicht mit, schade, dabei lautet meine eiserne Regel, es immer dabei zu haben, genau wie das Fernglas. Fido und ich legen an Tempo zu, und nachdem ich den Hund zu Hause abgeliefert habe, schnappe ich meine Aufnahmegeräte und fahre per Rad noch einmal in den Wald.

Singdrossel

Die Kernbeißer sind noch zu hören, es muss sogar ein größerer Trupp sein, aber ich habe Mühe, sie aufzunehmen. Denn kaum bin ich vom Rad gestiegen, kann von Stille keine Rede mehr sein. Weil plötzlich um mich herum ein Vogelkonzert losbricht, so, als hätte ich auf einen magischen Knopf mit Vogelstille beenden gedrückt.
Tonangebend sind zwei Singdrosseln, die mit ihren kräftigen Stimmen, eine davon mehr im Hintergrund, alles ringsum übertönen. Eine davon hat ein seltsames Krähmotiv in ihrem Repertoire, das mich an Papgeienlaute im Costa Ricanischen Regenwald erinnert.

Gleich zu Beginn (00:07) das schräge Krähmotiv einer der beiden SINGDROSSELN. Kurz darauf lässt ein HABICHT seine Rufreihe hören – vermutlich ein Weibchen, die rufen etwas dunkler als Männchen – sh. 02:09 und 04:55. Immer wieder singt ein BUCHFINK dazwischen – z.B. 00:33 – und beide Singdrosseln präsentieren ausgiebig ihre zahlreichen Motive und Variationen. Eine KOHLMEISE läutet, AMSELN ducken. Besonders am Ende sind im Hintergrund ERLENZEISIGE zu hören …

Das auffallend schräge, noch nie gehörte Krähmotiv wird mit offenbarem Vergnügen von Zeit zu Zeit wiederholt. Ein wahrlich originelles Motiv. Es zwingt mich geradezu, mein Mikro im Radkorb aufzubauen (was am praktischsten ist), auf die Tonquelle zu richten und so bewegungslos zu lauschen wie Annie Dillard, wenn sie sich an ihre Bisamratten heranpirschte.

Vögel schaffen es schnell, mich in den Sog ihrer Tonkünste zu ziehen. Wie der Habicht die Gesänge der Kleinvögel mit seinen hartnäckigen Rufreihen aus dem Hintergrund heraus konterkariert! So wie für Eulen und Spechte ist auch für Greifvögel jetzt Balzzeit. Jetzt singt eine Heckenbraunelle, ich höre sie zum ersten Mal in diesem Jahr. Dazu Tannenmeisen, Kohlmeisen, Buchfinken, zeternde Amseln, Misteldrosseln. Erlenzeisige sind auch noch in Trupps unterwegs, rufen, singen, schwatzen. Alle zusammen beschwören und verabschieden zugleich die Sonne, das wieder erstarkte Licht …
Ich gebe es gern zu: ich bin voller Bewunderung für den Einfallsreichtum besonders der Singdrosseln und ihre ungehemmte, ebenso naive wie geniale Musikalität. Warum wird das, trotz ihrer Lautstärke, so wenig gehört?

Ruf oder Gesang? Die Klicks- undKicksstimmen der KERNBEIßER sind so klein wie ihre Körper kräftig sind

Schließlich gelingt es mir in diversen Klangpausen doch noch, die dünnen Kernbeißerstimmen aufzunehmen. Sehen kann ich die scheuen Vögel auch, aber nur, wenn sie, starengroß und kurzschwänzig, zwischen den höchsten Laubbaumkronen hin und her fliegen, während die Singdrossellieder über sie hinweg spülen.

Es wird kälter, eigentlich sollte ich nach Hause fahren. Aber es zieht mich neugierig, wie ich bin, hinüber in den nächsten Waldweg, wo neulich Abends der Waldkauz rief, wo aber heute, jetzt, sicher nichts los ist – nichts rührt sich, na, ich wusste es ja!

Dann dieser magische Moment, in dem ich vor mir unvermittelt den großen schwarzen Vogel von der Wiese auf und über den Weg fliegen sehe. Sein melodischer Flugruf klingt ärgerlich, jedenfalls in meinen Ohren, ich habe ihn gestört, dabei ist er bestimmt noch dreißig Meter weit weg. Ein Schwarzspecht!

♫ Flugruf, Schwarzspecht, sich nähernd ♫

Kaum sitzt er an einem Baumstamm, schallt sein Ruf durch den Wald, wieder und wieder, er ist erregt und nicht allein, im Hintergrund höre ich einen zweiten Großspecht – das ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Paar.

♫ Schwarzspecht, „Sitzruf“ ♫

Und dann melden sich auch die anderen alle, die hier bisher versteckt und schweigsam waren, als hätten sie auf mich gewartet, was natürlich anthropozentrischer Unsinn ist: Singdrosseln, eine Misteldrossel, Buchfinken, Meisen, auch eine Haubenmeise. Trommelnde Buntspechte. Dazwischen immer wieder die beiden Schwarzspechte. Jetzt höre ich sie in einem weiten Bogen um mich herum fliegen. Schließlich, im schwächer werdenden Licht, fliegt einer über die Wiese, diesmal stumm, und baumt auf der anderen Waldseite auf.

♫ Kleines Abendspektakel mit Schwarzspecht und anderen Waldvögeln ♫

Längst habe ich meine Geräte aufgebaut, wir freuen uns, mein Mikro und ich, über das Tonfutter, das uns geschenkt wird. Wieder still stehen, ganz still und lauschen. Nur muss ich dabei das Aufnahmegeschehen im Auge und Ohr behalten, leider …

Mit dem Abflug des Schwarzspechts und dem letzten Amselgezeter ist nach kurzer Zeit alles vorbei, so, als wäre nichts gewesen. Ein kleines irdisches Spektakel, wie ein Spuk, während die Dämmerung anrückt. Endgültig Zeit, nach Hause zu fahren. Jetzt erst, als ich mich wieder rühre, merke ich, wie durchgefroren ich bin. Ich steige aufs Rad. Die Vögel, der Wald, sie geben mich frei, und ich bin wie so oft dankbar für die Klangwunder, in die ich eintauchen und die ich sogar einfangen durfte.

In der Morgendämmerung

In der Morgendämmerung

26. Februar 2021

Heute früh hat ein Rotkehlchen im Garten ganz allerliebst gesungen, so zart und süß, dass man fast glauben konnte, die Welt sei noch in Ordnung. Vergiss das Töten und Schlachten! Jetzt!!

Das Lied ist unter unsere Lider gedrungen, die noch geschlossen waren, und so konnten wir es sehen, das steigende Licht, und wie es die Dunkelheit vertrieb.

Das geht nun seit Millionen von Jahren so, 30 oder 60, was spielt das für eine Rolle. Tatsache ist: Vogellieder machen das Licht sichtbar, in dem sie es in Klang verwandeln, beschwören es geradzu, wenn die Dämmerung kommt oder weicht, der Tag sinkt oder steigt. Stecken uns Ohrenlichter auf.

Vorfrühling

Vorfrühling

22. Februar 2021

Vorfrühling, endlich. Jetzt knallen die Winterlinge aus all der Vorjahresdürre, daneben meldet sich das schüchterne Weiß der Schneeglöckchen – und im Seeholz haben sich die Märzenbecher aus dem Laub geschoben. Einige Blütenköpfe sind schon geöffnet und baden im Getrommel der Buntspechte, im Grünspechtlachen und in den Triller- und Pfeifkonzerten der Kleiber.

Vorfrühlingskonzert im Seeholz – ganz am Anfang singen Rotkehlchen und Waldbaumläufer

Alle Vogelkästen ums Haus herum sind gereinigt, auch die in der großen Doppellinde. Die Stare schlüpfen nun ein und aus, pfeifen die Vogeltonleiter rauf und runter, schlagen die Flügel.
Heute habe ich mein Mikro auf zwei Stare gerichtet, die vom Kirchturmkreuz herab musizierten – eine interessante Aufnahme, weil hier nicht nur in genialen Abwandlungen gepfiffen und gesungen wird, sondern auch kurz und leise gegackert; wie ein Huhn. Genau dieses kleine Gegacker (in 00:14) habe ich auch vorletztes Jahr am gleichem Ort aufgenommen. Ob es derselbe Star ist?

Stare musizieren auf dem Kirchturmkreuz, Februar 2021

Auf den Feldern tummeln sich jetzt die Lerchen, rufen und fliegen in langen Wellen. Zwei sind Brust an Brust hochgeflattert, wie Kampfhähnchen, einige steigen und singen schon.
Sonntagfrüh haben plötzlich alle Buchfinken in allen Büschen und Gehölzen gleichzeitig zu singen begonnen, als hätte es ein geheimes Signal zum Singestart gegeben, so dass es mir auf meiner Radrundfahrt schien, als würde ich an einer Songline entlang geführt, einer Songline aus hell triumphierenden Schmettertouren und Überschlägen.

♫ Buchfinkengesänge am Wegrand ♫

Ähnlich agieren die Amseln in unserem Dorf und die anderen Überwinterer oder Kurzstreckenzieher: Mistel- und Singdrosseln, Rotkehlchen, Zaunkönige, Hänflinge und Goldammern, alles mischt sich ein ins frühe Frühlingskonzert.

Der Rotmilan pfeift und wiehert und wird prächtig von den Staren imitiert, die ebenso das Trillern des Schwarzmilans und die Jagdrufe des Turmfalken drauf haben, mit dem sie mich gelegentlich täuschen können, den Turmfalken nie.

Dies ist jetzt die schönste Zeit, trotz häufigen Fröstelns: Zeit der Erwartung und des vielfältigen Neubeginns nach langer Erstarrung. Kahl sind die Bäume, die Hoffung bleibt unbeirrbar grün.
Obwohl ich auch die Tropen liebe mit ihrer immerwährenden Tag- und Nachtgleiche, dem Vorhandensein aller Jahreszeiten zugleich und dem nie versiegenden Strom der Vogel- und Zikadengesänge, ist und bleibt doch der Wechsel der Jahreszeiten in unseren Breiten faszinierend. Unsere langen dunklen Winter sind der Preis für das dramatische Schauspiel des Neubeginns, das jedes Jahr ungerufen vor unseren Sinnen abrollt und das wir so harmlos Frühling nennen. Es ist aber alles andere als harmlos.