rad des lebens

rad des lebens

alle häuser
worin du lebst
sind weniger als staub

das geheimnis bleibt unnennbar
aus dem du aufgetaucht bist

am anfang ist da erinnerung
früher zauber der kindheit
der alles mit glanz durchtränkt

er verdunstet im schmelz-
topf des lebens aus dem du
glühend hervorgehst und härtest
während du kühlst

unnennbar bleibt das geheimnis
das immer gekannte
lange vergessene
in das du schließlich zurücktauchst

alle häuser
worin du gelebt hast
sind weniger als staub

von der kunst einen schweren stein zu heben

von der kunst einen schweren stein zu heben


ganz einfach soll es sein einen riesigen stein zu heben
einen findling aus urvorzeiten er sollte grünmoderig sein.

zuerst musst du mit dem mittelfinger
(hast du ihn noch dann dem rechten)
nach einer kleinen delle tasten da
wo er sich gerade vom boden wegwölbt
in den seine schwere ihn drückt.

dann die spitze des kleinen fingers links
leicht in die delle legen
und ausatmend schräg nach unten
blasen dass der luftstrom
(er braucht gar nicht kräftig zu sein)
die steinwölbung gut von oben her trifft.

denn so wie vögel nur gegen den wind
landen und auffliegen können
so kann sich ein alter schwerer
stein nur gegen den atemstrom heben
den du auf ihn gerichtet hältst
geduldig und zeitvergesslich.

nun sanften druck ausüben mit der
kuppe des kleinfingers links –
und den ausatemstrom nicht vergessen.
am besten die augen kurz schließen
um das leise ruckeln zu spüren das
den stein langsam aus seiner schwere löst.
weiter atmen und halten doch nicht
forcieren das würde der lösung nur
hinderlich sein.

mit einem satten schmatz gibt die
erde schließlich die haftung frei
und torkelnd wie ein junger kreisel
noch völlig unkundig seines geschicks
hebt sich der stein in die luft.

dies die zeit um den finger den kleinen
ohne hast aus der mulde zu nehmen und die
augen aufzusperren:
alle steinhuckel sind jetzt mit federn
bestückt schwarz grau und blau manche grün
die sich zu flügeln zusammenfügen.

und hohlzüngig aus tausend schrunden
grinsend schwingt sich der alte aufs dach
wirft dir ein knickfederchen vor die füße und steigt
(jetzt lass deinen linken arm fallen)
kerzenrauchgerade hoch
zieht wo der aufwind ihm günstig ist
kräftige geierspiralen
verschwindet schließlich mit reiher-
gekrächz über dem wolkentuff rechts
der eilig den himmel befährt.

zurück bleiben nur das federspiel und
käfer- und ameisenvolk das über den freien
boden herfällt um gänge und gruben zu buddeln.

der stein wird nicht wiederkommen.
vielleicht aber steckt bald im briefkasten-
schlitz eine karte vom uruguruatoll
ohne poststempel absender unterschrift
darauf steht nur: mir geht es gut ich hoffe
ihnen desgleichen!
auf der bildseite ist nichts zu sehen als
wasser von einem zum andern ende und
mittendrin ein punkt.

das wasser sieht aus wie luft in der sich ein
vogel himmelwärts schraubt.
der punkt ist wenn du die lupe
nimmst links unten leicht eingedellt
und besonders schattengeschwärzt
und wackelt dir zu wie ein lämmerschwanz:
grinsend.

und daran erkennst du ihn

die jahre

die jahre

die hacken straff die brüste
hoch geschwungen
so ging ich durch die
frühe reifezeit
das hirn noch wundergrün
und beinah ohne schrunden
zum aufbruch jederzeit bereit

bin ich genügend aufgebrochen?
die jahre sind geblieben wo?

mein schöner sommerhut
ist längst verschwunden
samt kompass stetig
auf zenit gepeilt.
nun paaren sich die
wunder mit den wunden
im auge jeden neuen
wirbelsturms

mein altersross scharrt
mit dem eisenlosen huf.
ich steige auf lass alle
zügel schleifen
und spür: die zeiten-
schrunde heilt.
muss nun nicht länger
nach den sternen greifen
und folge dunklem
erdenruf

der mann der unterm regen singt

der mann der unterm regen singt

ich singe
ich bin der mann der singt
der mann der unterm hut unterm schirm
der unter dem regen singt

ich singe das trommeln das schmatzen
das glucksen
das klatschen der wasser im wind
ich singe den klang den die rauen tropfen
mir auf mein graues regendach klopfen

ich singe den hufschlag meines gauls
im takt seines zottelschritts
das deichselquarren das zaumzeugknarren
im takt meines quatschnassen tritts

ich singe die straße die hinter uns
in endloser feuchte versinkt
ich singe den weißen stern der dem gaul
auf seiner stirne blinkt

ich singe den asphalt die schwärze die nässe
die pfützen die wolken den wind
ich singe
ich bin der mann
der mann der im regen klingt

verwildernis

verwildernis

am liebsten hinter der mamba
im tropenbusch hocken den
sonnenfleck im genick
kultur nur noch im beutel wo
schon der egel am blutfaden
lutscht und schrill
der zikadenruf schwillt:

zuhause ist vorwärts!
gehn und gehn bis zur
grünen grenze die
schwindet und schwindet
weil der fluss seine
schlingen verlegt:

wer weiß wie lange das
dauert: mich nicht: doch
wer will schon aufstehn!

hocken im sonnenringel
zischend vor schuppenlust
dicht an den dampfbauch
der erde gedrückt:
nichts
wird mehr wissen gemusst
aber ich weiß
nachts
in den tod gefallen oder
in brettwurzelnischen versteckt oder
dem schlangenschwanz aufgesessen
gutes wie böses ausgemerzt:

hier wird tapirlosung gerochen
aus voller kehle geröchelt
das ohr am schweigen
der zunge gewetzt

sommernotiz

sommernotiz

moment der ewigkeit:
wenn die flügelspitze der schwalbe
das wasser ritzt, ihr schatten
den schlamm am grunde aufwühlt
während sie in die wolken stürzt –

moment der ewigkeit:
wenn das blatt im takt des
zilpzalplieds zuckt, sein schatten
den waldboden fleckt
und stille das flattern einnetzt –

moment der ewigkeit:
wenn die chöre der laubfrösche sich
im feldgeschrei der grillen fangen,
ihr echo die nacht aufschreckt
und der drohende lärm der maschinen im dorf
in lautlosigkeit versinkt –

nie endender augenblick jetzt wie in
ohnezeit

wortwolke

wortwolke

eine wolke kann nicht mal
kauderwelsch
so versteht keiner was sie
spricht

morgen mache ich
wolkenwelsch
das ist man schüttelt
zehn buchstaben krumm und schmeißt sie
zum fenster raus:

da stürzen sie eifrig zum
horizont und stürmen das hohe
blau
klammern sie unterm wolken
wisch und die wolke zaudert und
zischt:

wolken sagt sie
nix wort wert kein strich
schaudert
zieht ihre zehn blauflossen ein lässt
wortwelschiss
auf mich kaudern

stimmen

stimmen

unter meiner haut
hausen die tausend stimmen
zehntausend nackte geister
sagen:

nichts schöneres unter der sonne …

sagen wo ich nur abgrund
sehe was willst du ein steg
ist ein steg –
zischen: spring doch!
zischen: sing doch ohne
sorge sei ohne sorge
flüstern marsch marsch zurück still
gestanden auf auf nun zum
letzten gefecht –
wissen nicht dass ich weiter
nichts kann außer
hangen und bangen
und lechzen nach stille
vergeblich

aber manchmal schreie ich:
schweigt endlich schweigt!
da sinken sie ab ins unerhörte
tausend sekunden lang
so dass sich in meinen
schulterblättern die
flügelknospen rühren
und ich den klang der stille
endlich hören kann

kleine nachricht an Virginia Woolf

kleine nachricht an Virginia Woolf

Virginia, manchmal muss ich
mit deinem mauve- und malvenfarbenen
wolfsrudel um die wette heulen
nachts wenn Mrs. Dalloway
im zimmer für sich allein
an ihrer gästeliste tüftelt
der leuchtturm sein stetes blinken
über die wellen wirft
sterne statt bomber fliegen
(ja, auch ein paar sputniks dazwischen)
und du am grunde der Ouze
den stein aus der tasche ziehst
aufsteigst
mit nassen füßen
hinüber ins gartenhaus gehst
dem schaukelstuhl schubs um schubs versetzt
und deine feder wieder
die fährte zu wittern beginnt