Kleiner Vogel auf großen Dächern – der Hausrotschwanz ist Vogel des Jahres 2025 geworden

Kleiner Vogel auf großen Dächern – der Hausrotschwanz ist Vogel des Jahres 2025 geworden

Noch nicht flügge? Ein junger Hausrotschwanz in „seiner“ Dächerlandschaft

Der kleine Herr von den Dächern

Er hat den Kiebitz als Vogel des Jahres abgelöst, dieser rußschwarze, rotschwänzige Bewohner unserer Dächer. Ein Kulturfolger, der sich die künstlichen Steinlandschaften von Städten und Dörfern zunutze gemacht hat, der seine ursprünglichen Brutstätten, die in den Felsspalten der Berge lagen, gegen Gebäudenischen und Mauerspalten tauschte.
Ein erfolgreicher Kulturfolger, bisher.

Im Oktober, wenn sein Abzug bevorsteht, halte ich immer wieder Ausschau nach diesem eher scheuen, eher unauffälligen Rotschwänzchen und horche auf seine letzten Lieder, zu denen ihn der Herbst offenbar noch einmal inspiriert.

♫ Lieder vom Dach: typischer Schmetter- und Knirschgesang ♫

Wenn man genauer hinhört, besteht sein Gesang in der Regel aus drei Teilen: einer Art Schmettern am Anfang, das man auch als kräftigen, langsamen Triller wahrnehmen kann, als eine Art Trillerschmettern, oft zum Ende hin leicht angehoben. Dann folgt, meist nach einer Pause, ein kurzes eigenartiges Knirschen, das mit ein paar klangvollen, schnell angehängten und leicht absinkenden Elementen endet.
Natürlich eröffnet sich auch hier eine Vielzahl von Variationen!

Wenn ich hier und da im Dorf sein kratziges Schmetterlied höre, wenn er plötzlich auf dem Dachfirst auftaucht, nach typischer Fliegenschnäppermanier knickst, dazu noch mit dem Schwanz zittert, bin ich beruhigt: er ist noch da!
Aber eines späten Oktober- oder frühen Novembertages fällt mir auf, dass ich seit gestern oder vorgestern nichts mehr von ihm gehört und gesehen habe. Da hat er sich dann, wahrscheinlich bei Nacht wie viele Kleinvögel, auf den Weg gemacht und ist schon ein Stück Richtung Süden gezogen.


Wobei es inzwischen, wie bei einigen anderen unserer einheimischen Vögel – insbesondere denen, die nicht saharaweit ziehen – einzelne Überwinterer gibt. Denn mit dem Klimawandel ändert sich auch das Zugverhalten der Vögel.

Dann, wenn der Winter zu schwinden beginnt, spätestens im März, erscheint die Silhouette eines schlanken schwärzlichen Vogels auf dem Haus. Sehr aufrecht sitzt er da, knickst kurz und ist schon wieder weggehuscht. Am nächsten Tag, noch vor Morgengrauen, schmettert ein raues Lied vom Dachfirst und ich weiß: Er ist wieder da, der kleine Herr von den Dächern! Denn es sind immer die Männchen, die zuerst zurückkehren von ihrer Winterreise.
Und ein neuer Rotschwanzsommer beginnt.

Gesänge zwischen Fels, Stein und Ziegel

Kurz nach seiner Rückkunft singt er unablässig, von Morgens bis Abends, mit nur kleinen Intervallen zwischen den Strophen.

Hausrotschwanz: Märzgesang auf dem Dachfirst

Altmeister Alwin Voigt schreibt in seinem Exkursionsbuch zum Studium der Vogelstimmen (1) in schönem Altväter-Stil: Sein Lied zerfällt in zwei Strophen: die erste besteht meist in 4-5maligem raschem Anschlage ein und desselben Tons, die zweite aus einem zischenden gepreßten fast vomierenden Laut, dem gewöhnlich zwei oder drei Schläge folgen, die denen der ersten Strophe gleichen.
Und: Vom Frühjahr bis zum Herbst singt dieser Rotschwanz dem Dämmerlicht entgegen
Zischend, gepresst, vomierend (erbrechend), oder kratzend-fauchend, oder merkwürdig knirschend – die Vielzahl an Beschreibungsversuchen zeigt deutlich, dass solche Laute mit Worten nicht zu packen und schon gar nicht mit den Qualitätsstandards humaner mitteleuropäischer Musik zu beurteilen sind. Was ich selber bei diesem ausgefallenen Laut assoziiere, ist ein Handvoll quarzweißer Kiesel, die man, fest zwischen die Handflächen gepresst, so fest aneinander reibt, dass es einen hellen, kleine Lichtfunken sprühenden Knirschlaut ergibt.
In ihrem neuesten Buch Vom Glück des Vogelgesangs (2) zitiert Silke Kipper das eher geringschätzige Urteil des Ornithologen Richard Gerlach, zu seiner Zeit sehr bekannt, das für viele wenig wertschätzende Urteile steht. Für Gerlach ist es kein sehr schönes Lied, … mit Mühe hervorgepresst, eher ein Geräusper als Musik …. Und: Es ist ein Laut, der wie ein Sturmwind um die Gipel fetzt.
Ja, er singt keine Arien, unser Hausrotschwanz, der kraft seiner Abstammung immer noch eine Dinodiva und für uns eine sehr fremde Species ist. Und da hat Gerlach recht: er singt das Lied vom Wind, der um die Felsen fetzt, zwischen denen er einst gelebt hat. Ein Lied, das zwangsläufig fremdartig, gleichwohl schön klingt, auf raue Weise seinen rauen Lebensraum spiegelnd, und voller fragloser Lebenskraft.

Weil er ein Frühaufsteher ist, wie Gartenrotschwanz, Amsel und Rotkehlchen, ist es kein Wunder, dass er oft mit ihnen zusammen zu hören ist. Manchmal singen Amsel und Rotschwanz vom gleichen Dachfirst herunter, denn das Singen auf hoher Warte, frei und hörbar nach allen Seiten, ist auch bei Amseln sehr beliebt.

Dawnkonzert von Hausrotschwänzen und Amsel

Hier schmettern, während es im Dorf noch still ist, von nah und fern Hausrotschwänze ihre rauen Lieder, die so gut in die Dächerlandschaft passen – in schönem ruhigem Wechsel mit den Flötentönen einer Amsel, die ausgesprochen ausgefeilte und abwechslungsreiche Strophen singt.


Nicht zu vergessen: gleich bei uns um zwei Ecken beginnt die Feldmark, wo von jedem Stadel herab ein Hausrotschwanz singt, mit den tirilierenden Lerchen zusammen, die es lange vor Sonnenaufgang in den Himmel treibt – ein ungemein reizvoller Kontrast, rührend und erhebend zugleich. Denn nach wie vor gilt: es ist die Lerche, samt Amsel und Hausrotschwanz, und nicht die Nachtigall die in aller Morgenfrühe den aufziehenden Tag begrüßt.

Im Jahreslauf

Wenn auch die Weibchen zurückgekommen sind, beginnen sie allein, nach einer Phase der Partnerwahl mit spektakulären Verfolgungsjagden, das Nest in einer geeigneten Nische zu bauen – bei uns zum Beispiel auf einem Balken dicht unterm westlichen Dachfirst. Und dass solche Nischen an alten, sanierten sowie neuen Häusern erhalten bleiben bzw. ausreichend zur Verfügung gestellt werden: daran soll die Wahl unseres Mitbewohners von den Felsen eindringlich erinnern!
Ab nun tun die Rotschwänze heimlich, fliegen nur nach genauer Sicherung und auf Umwegen zum Nest, wie alle Vögel in der Brut- und Aufzuchtzeit, sind aber auf den exponierten Warten, von denen aus sie jagen, leicht zu sehen.

♫ Neues Leben unterm Dachgiebel: Bettelrufe der jungen Hausrotschwänze ♫

Irgendwann im Laufe des Frühsommers hört man feine Stimmen unterm Dachgiebel, die von Tag zu Tag kräftiger werden. Die Nestlinge, die nahezu synchron geshlüpft sind, werden mehr als zwei Wochen – und die flüggen Jungen mindestens zehn Tage lang – von beiden Eltern gefüttert, mit einer Vielzahl verschiedener Insekten, Spinnen und Schnecken.

♫ Vier Tage später: die Stimmen unterm Dachgiebel sind kräftiger geworden, bald werden die Jungen ausfliegen ♫

Während die Nester in ihre luftigen Höhe meist gut geschützt sind, ist die Zeit nach dem Ausfliegen die gefährlichste Zeit für die Jungen, die oft auf zu niedrigen Warten hocken. Da wäre es gut, Augen und Ohren aufzusperren, auf ihr Flüggewerden zu achten und Katzen ein paar kritische Tage lang im Zaum, sprich: im Haus zu halten! Das sind wir zumindest der Freude und dem Vergnügen schuldig, die uns die schönen und anmutigen Zitterschwänze eine lange Sommersaison lang bereiten!

♫ Die Jungen sind flügge geworden- und die Alten warnen mit erregten Rufen ♫

Nebenbei bemerkt: Hausrotschwänze gelten als monogam. Das sind sie zwar, aber, wie viele andere Vogelarten nur bedingt. Monogamie bedeutet in der Vogelwelt oft „nur“ soziale Treue in der Paarbindung und schließt dabei das „jumping the neighbours wife“ der Männchen, wie es Mark Constantine in „The Sound Approach to birding“ (3) so hübsch formuliert hat, nicht aus. (Andererseits sind bei knappen Ressourcen Vogelweibchen nicht abgeneigt, sich gelegentlich mit mehreren Männchen zu paaren.)
Wie man aufgrund von DNA-Analysen weiß, praktizieren unsere Hausrotschwänze soziale Monogamie plus Polygenie. Was bedeutet, dass in vielen Nestern Küken piepsen, die nicht nur vom „festen“ Partner stammen. Eine evolutionäre Strategie, die die erfolgreiche Weitergabe der eigenen Gene erhöht und die genetische Vielfalt fördert. Wer redet da von Untreue? (4)

In der Regel brüten Hausrotschwänze nach dem Flüggeweren der ersten Brut ein zweites Mal.
Dann geht, wie jedes Jahr, der Sommer nur allzuschnell zu Ende, und damit auch die hochsommerliche Vogelstille. Dann singen die Männchen wieder. Dann schwindet auch der Herbst und nimmt Wärme, Vögel und Blätterpracht mit. Dann horche ich wieder auf die letzten rau-schönen Liedern vom Dach und schicke mich in die Winterwartezeit, hoffend, dass das kommende Jahr einen neuen Rotschwanzsommer bringt.

(1) Alwin Voigt: Exkursonsbuch zum Studium der Vogelstimmen. Heidelberg , 11. Auflage 1950
(2) Silke Kipper: Vom Glück des Vogelgesangs. Berlin 2025, S. 105
(3) Mark Constantine: The Sound Approach to birding. Dorset, UK 2006/2013, Part 6
(4) sh. z.B. Michael Wink: Ornithologie für Einsteiger und Fortgeschrittene. Heidelberg 2024, 2. Auflge, S. 280.
Vogelguckerin: Monogamie – Treue fürs Leben?

► weitere Infos zum Hausrotschwanz als Vogel des Jahres: LBV- Ratgeber.
NABU: Vom Gebirge in die Stadt


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