Rotkehlchen – Vogel des Jahres 2021
22. März 2021
Das Rotkehlchen das hier neulich in in aller Morgenfrühe so herzgewinnend gesungen hat, und das ich gestern aufnehmen konnte, hat natürlich nicht gewusst, dass so etwas Seltsames wie eine Wahl zum Vogel des Jahres im Gange war – menschlicher Schnickschnack! – und es ist ihm sicher schnurzpiepegal, dass es gerade mitsamt seinen Artgenossen tatsächlich dazu gewählt worden ist.
Gestern früh konnte ich seinen Frühgesang aufnehmen:
♫ Frühlingsbeginn: ein Rotkehlchen singt in unserem Garten ♫
Diesem Vogel mit seiner ziegelroten Brust, seiner Zutraulichkeit und großäugig knicksenden Anmut können nur wenige Menschen widerstehen. Falls sie nicht zu den Vogelfängern gehören, die leider eine lange Tradition haben. Man denke nur an das hübsche, scheinbar so harmlose Lied von Kaiser Friedrich, der „am Vogelherd“ saß: und das war ein fest installierter mittelalterlicher Vogelfangplatz mit Lockvögeln, Netzen und Leimruten. Wenn wir „jemandem auf den Leim gehen“, so ist das Gedächtnis daran noch wach. Und in manchen Ländern leider auch noch die Praxis des Vogelfangs.
Im wechselnden Lauf der Geschichte hat der kleine Vogel viele Namen bekommen: Robin, Rötel, Pettirosso, Rouge-gorge. In Portugal, besonders hübsch: Pisco de Papo Vermelho! Er gehört zur Familie der Fliegenschnäpper und seine Vorfahren kamen vermutlich aus Afrika. Wie seine afrikanischen Verwandten lebt er in feuchten Dickichten, im Unterwuchs und Unterholz, wo er sich von kleinen Gliederfüßern – Insekten, Spinnen, Tausendfüßlern – von Larven, Raupen und anderen Wirbellosen, Würmern z. B. ernährt.
Das erklärt nicht nur seine großen Augen, Eulenaugen!, mit denen er im Dickichtdämmer gut sehen kann. Sondern auch, dass er nach wie vor weit verbreitet ist: er hat eine ökologische Nische gefunden, die ihm ausreichend Überlebenschancen bietet. Allerdings muss er sich, salopp gesagt, ranhalten. Weil Gliederfüßer relativ kalorienarm, aber chitinhaltig sind und die Suche danach zeitaufwendig ist, beginnt der Tag eines Rotkehlchens weit vor Sonnenaufgang und endet erst mit der Abenddämmerung.
Eine Kette aus Trillerperlen ist meist das erste, was sich im Frühlingswald, wo ich ansitze, aus dem dunklen Schweigen herausschält, mir die Ohren kraftvoll und zärtlich triggert und meine Nerven in Schwingungen versetzt – freudige Schwingungen: endlich vorbei, die Nacht ist vorbei, gleich wird es hell, gleich erscheint das Licht – ein Erlebnis, so unmittelbar, dass es in Worten kaum fassbar ist.
An eine Aufnahmesituation erinnere ich mich gut: Wie ich im Wald etwas wacklig auf einem Blatt- und Zweigehügel stehe, in den meine Füße langsam einsinken. Wie die Stille sich plötzlich spannt und der Wald zu einem großen lauschenden Einatmem wird – und mit hohen fast reinen Tönen ein Rotkehlchen die Stille bricht und seine Trillerkaskaden feierlich zu singen beginnt:
♫ ein Rotkehlchen eröffnet den Morgenchorus im Wald nahe unserem Dorf ♫
Listen and wonder! Plötzlich Füchsegebell, näher und näher – das Dunkel noch undurchdringlich – das Rotkelchen unbeindruckt mit gläsernen Klängen beschäftigt – die Füchse ganz nah, umrunden mich – lassen meine Haut ein wenig schuddern – entfernen sich langsam, während das Rotkehlchen weiter seine Tonperlen fallen lässt, in tiefere Frequenzen hinein.
Wenn aber das Rotkehlchen noch ungefährdet ist, ja, zu den“Allerweltsvögeln“ gehört: Welchen Sinn, über seine Schönheit hinaus, kann seine Wahl wohl haben, insbesondere für den Naturschutz?
Falsche Frage natürlich. Mir scheint, gerade weil es die „Allerweltsvögel“ repräsentiert, weist das Rötel darauf hin, dass wir beim gegenwärtig schiefen Lauf der Dinge einen breit angelegten Naturschutz brauchen, in der ganz normalen „Pampa“, in Siedlungen, Wald, Feld und Flur. So dass auch noch in naher Zukunft den Vögeln genug Überlebensnischen und uns die Vögel erhalten bleiben, mitsamt ihrer Schönheit und Musik, die unwiederbringlich ist – mal ganz abgesehen von ihrem Nutzen im großen Netz der Natur.
Es läuft immer wieder auf dasselbe hinaus: Vogelschutz ist Insektenschutz. Insektenschutz bedeutet Umdenken. Zulassen heißt die Devise, jede sterile Stubenordnung ist draußen fehl am Platz, auch vor unserer Haustür. Mähroboter abgetreten! Dito Thujahecken! Wie faszinierend kann ein wenig Wildnis sein: Tot- und Unterholz, Brennesselecken, Reisighaufen voller kribbelndem Leben, Laubstreu, worin das Rotkehlchen sich bergen und glücklich kruschen kann. Und übrigens der Zaunkönig auch.
►Rotkehlchen◄ ►Rotkehlchenlied◄
►Rotkehlchen als Weihnachtsvogel◄ ►… und alle kehlchen sind zurückgekehrt◄
sh. auch: Hermann Stickroth: Vogel des Jahres 2021 – Das Rotkehlchen: Robin der Eroberer Der Falke 5/2021