Zwischen Blühfeld und Eistaucher – Impressionen im Frühwinter

Zwischen Blühfeld und Eistaucher – Impressionen im Frühwinter

Spot- und Hotlights im November

Anfang November. Die Kraniche ziehen wieder, hauptsächlich über und entlang unserer großer Wasseradern und Landmarken wie Lech und Ammersee. Unsere Dorfecke scheint der Kranichzug dieses Jahr leider nicht zu berühren. Obwohl ich nicht aufhöre, nach ihren trillernden Trompetenrufen zu horchen, mit denen sie Kontakt untereinander halten und auf die ich meine herbstliche Sehnsuchtsmelancholie projiziere.
Am Ammersee Südende, diesem Hotspot für Seltenheiten, tummeln sich derweil ein Seeadler, Zwergscharben – kleine Kormorane aus Südosteuropa – und, schon seit Juli, eine Pünktchenente.
Diese Ente, Anas hottentotta, in Afrika heimisch, ist offenbar ein Gefangenschaftsflüchtling. Hottentottenente hieß sie bei uns bis 2020. Inzwischen sind schon weit über 1000 deutsche Vogelnamen geändert worden, weil sie als diskriminierend, kolonial oder rassistisch empfunden wurden, darunter eben auch Pünktchenente oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, die Schwarzsteppenlerche, ehemals Mohrenlerche.

In unserer Feldmark geht es nicht ganz so spektakulär zu wie am Ammersee. Schon früh sind die Schwarzmilane zu ihrer weiten Reise nach Afrika aufgebrochen. Auch die Rotmilane haben sich weitgehend aus der Feldmark zurückgezogen, aber weit weg sind sie nicht, denn und hin und wieder lässt einer sich blicken. Auch die ♫ rollenden Rufe ziehender Feldlerchen ♫ sind noch zu hören, die liebe ich sehr. Wenn sie rasten, verbergen sie sich gern zwischen Furchen, Stoppeln und niedrigem Bewuchs.

Hochstiebender Stieglitzschwarm überm Blühfeld

Hoch aufragend dagegen erstreckt sich, zwischen Landstraße und Feldweg, ein großer Acker mit gemischter Zwischensaat, die noch blüht und fruchtet. Sie bildet einen Magnet für viele Kleinvögel, die darin untertauchen. Neben ein paar Buchfinken und einer kleinen Schar Goldammern sammeln sich hier vor allem an die hundert Stieglitze. In einer lockeren Vogelwolke, die unruhig über dem Blühfeld hin und her schwenkt, stieben sie ab und zu hoch, um schnell wieder darin zu verschwinden oder sich vorübergehend in einem kleinen Baum am Rande zu einem Gruppenchwatz zu sammeln.

♫ Stieglitze: lebhafte Gruppenkommunikation im November ♫

Über dem Blühfeld flügeln, wie ich überrascht feststelle, langsam und in niedrigem Suchflug zwei Kornweihen. Jedes Jahr kommen hier ein paar durch und halten nach vielversprechendenen Ackerstrukturen Ausschau …

Saatkrähen als jährliche Wintergäste in der Stoffener Feldmark

Vögel sind, wie ich immer wieder vom Neuem feststelle, ebenso findig wie ortstreu. Nicht nur kehren Zugvögel Jahr für Jahr an ihre alten Brutstätten zurück, sondern auch unsere Durchzugs- und Wintergäste suchen zuverlässig ihre gewohnten Rast- und Überwinterungsorte auf.
Das gilt für die Kornweihen ebenso wie für die Saatkrähen, die jährlich im Spätherbst in der Feldmark um Stoffen herum in großem Trupp erscheinen und sie mit ihren ♫ rauen Stimmen, tiefer als die der Rabenkrähen , erfüllen.
Das gilt für die nordischen Pfeifenten, die sich ab Frühwinter in zunehmender Zahl auf den Lechstauseen sammeln.
Und das gilt für die skurril-schönen Spießenten genauso wie für die Singschwäne, die sich, samt diesjährigen Jungen, pünktlich auf dem Lech bei Apfeldorf eingefunden haben. Was Überraschungen nicht ausschließt!

Singschwäne kommunizieren auch im Winter 2023/24 wieder lautstark auf dem Lech bei Apfeldorf

Ende November beginnt es zu schneien. Es schneit und schneit, bis Anfang Dezember Büsche und Bäume sich unter der Last dicker Schneeschichten biegen und der Verkehr auf Straßen, Schienen und Flugplätzen zuammenbricht. Nichts geht mehr. Ringsum wird es still.
Die Doppellinde gegenüber unserem Haus ist nun über und über mit Schnee bepackt und bis in die letzten dünnen Zweigspitzen von weißen Kristallen ummantelt. Dazwischen hier und da dickere Äste in kontrastierender Schwärze. Im Garten Spatzen, Amseln und Elstern – eine Welt in schwarz und weiß. Auch der heftige Wind klingt dunkel und bar jeder Farbe.
Beim Kolkrabenpaar, das vorüberfliegt, verliert sich jeder Schiller im Schneegestöber, und nur ihre Rufe machen sie uns kenntlich.

♫ Kolkrabenpaar, überfliegend ♫

Wenn der Futterplatz ungewöhlich lange leer bleibt, halten wir Ausschau nach dem Sperber. Meist ist es uns nicht möglich, ihn zu erspähen. Manchmal sehen wir ihn als geschwinden Schatten um die Ecke jagen. Manchmal erhaschen wir für Augenblicke das Männchen oder das Weibchen. Aber dann …
Dann sitzt er in der Quitte vor unserem Küchenfenster, lange, und wir können seine gluhen Augen bewundern.

Ein Sperber in der Apfelquitte

Die Raunächte nahen – die Dunkelheit nimmt zu

Im Dezember geht’s weiter mit Schneemassen, Tauwetter, Glatteis, Regen. Mit Hochwasser und Sturmböen, die mich fast vom Rad fegen, so dass ich das Umherfahren aufgebe. Aber: das Grundwasser ist endlich wieder aufgefüllt, wir hoffen auf eine Amphibienwanderzeit, in der kein Laichgewässer trocken gefallen ist – wie in den letzen Jahren oft passiert.

Zur Wintersonnenwende blakert und jault der Sturm ums Haus. Die Dunkelheit ist groß. Schluckt das Licht, kaum dass es in den Tag gesickert ist. Und die Kriege hören nicht auf, das unerbittliche Morden.
Die Zweige der Doppellinde schwanken pechschwarz im Gegenlicht. Jetzt sind die meisten Flügelblättchen, die zitternd bei jedem Luftzug bis zum Schneeeinbruch durchgehalten hatten, davongeflogen. Der Himmel hängt nicht wie sonst zwischen den Zweigen, in plastische Pastellfarben getaucht, sondern steht wie eine Wand dahinter, in kränklichem Weißlichgrau, das den Tag nicht erhellen kann.

Die Vögel verbergen sich. Das Rotkehlchen, über dessen Erscheinen wir uns so gefreut hatten, ist wieder verschwunden. Selbst unsere Sperlingsschar ist nicht mehr recht munter. Vor kurzem tauchten sie stundenlang gar nicht mehr auf, da muss der Sperber wieder zugeschlagen haben.
Die Natur – was genau ist das? – ist weder grausam, noch moralisch, noch romantisch. Sie i s t einfach. Geht ihren geheimnisvollen Gang. Mitleid ist eine menschliche Privatangelegenheit und spielt keine Rolle im Naturgeschehen. Grausamkeit dito. Licht und Dunkelheit durchdringen sich auf undurchschaubare Weise im Wurzelgrund unseres Daseins. In den sich das Leben unserer Bäume ganz konkret im Winter zurück zieht. Es bleibt der Sturm, das Aufgewühlte. Rüttelt an den Häusern. Heult.

Eistaucher und andere Dezemberüberraschungen

Am Ammersee ist mitten in Eis und Schnee, am 1. Dezember, ein seltener hochnordischer Vogel aufgetaucht, ein Eistaucher – heimisch in Taiga und Tundra von in Grönland, Island undNordamerika bis hoch hinauf in die Arktis. Er ist geblieben, wird mal hier, mal dort am Ammersee gesichtet, sogar am Dampfersteg Dießen.
Spektakulär ist seine Stimme, die allerdings nur zur Balzzeit einsame nordische Seen beschallt. Oder Kino- und Fernsehfilmen unterlegt wird, um, wo auch immer die Handlung spielt, das Gefühl von Wildnis beim Betrachter hervorzukitzeln.
Ich höre den Balzruf – von einem kanadischen Kollegen aus Xeno-Canto geborgt – nicht ohne dieses gewisse Schuddern auf meiner Haut, das mich in Wildnisse zurückbeamt, die ich einmal gekannt haben muss.

♫ Eistaucher, „Gesang“, Kenai Peninsula Borough, Alaska ♫

Ende Dezember hat sich der Sturm gelegt. Auf dem Lech bei Apfeldorf, Stauwurzel Ost, geht es gemächlicher, aber nicht weniger spektakulär zu. Zu den Singschwänen, jetzt über 100, hat sich ein bei uns so seltener Zwergschwan gesellt. Ich erwische ihn am Silvestermorgen sogar mit der Kamera, als er endlich seinen Kopf aus den Federn zieht: kleiner als die Singschwäne, aber ebenso schön, mit etwas weniger Gelb am Schnabel. Gewöhnlich überwintern Zwergschwäne in Nordwesteuropa zu Hunderten!

Zwischen den Schwänen tummelt sich, und das ist hier tief im südlichen Binnenland besonders sensationell, ein Säbelschnäbler. Einer dieser langbeinigen schwarz-weißen Watvögel, der von wer weiß wodurch und woher an den Lech verdriftet worden ist.

Ein Säbelschnäbler in Borkum am Rande des Watts, wo er in kleinen Kolonien brütet und seine ♫ Stimme hören lässt ♫

Wir haben diese Art vor allem in Borkum kennen gelernt. Wo er, oft im Gleichtakt mit anderen Artgenossen, seinen langen, dünnen Schnabel, leicht geöffnet, durch Schlick oder Niedrigwasser hin und her pendelt, um kleine Krebstiere und Insektenlarven zu fangen. Ein ganz unwahrscheinlicher Anblick. Vor dem Schilfgürtel ist das Wasser jedoch nicht seicht genug. Also hat sich der seltsame Vogel auf eine andere Fangmethode verlegt: er gründelt wie eine Ente, den Steiß steil in die Höhe gereckt! Deshalb ist er von Weitem lange Zeit nur als schwarz-weißes Federbündel auszumachen. Als er endlich einmal pausiert und auf dem Wasser herumschwimmt, kann ich seinen so kühn gebogenen Schnabel sehen … sh. auch ornitho vom 1. Januar.

Dann kommt Wind auf. Langsam sickert schon wieder die Dunkelheit in den Tag. Das Jahr geht unweigerlich zu Ende. Ich habe hin und her geschwankt, ob ich hier zum Schluss den Eistaucher heulen oder die Singschwäne noch einmal posaunen lasse und mich für die Singschwäne entschieden.

♫ Singschwäne auf dem Eis bei Dornstetten, Duette und Chorgesang, Neujahr 2017 ♫

Der große Neujahrsposaunenchor, vor Jahren am Lech bei Dornstetten aufgezeichnet, gehört für mich nach wie vor zu meinen schönsten Schwanenaufnahmen. Seine wild lebendige Kraft eignet sich ganz besonders, um das alte Jahr zu verabschieden und gebührend zu begrüßen, was da kommt: das ganz und gar unbekannte Neue Jahr.

Apfeldorfer Wassermusiken – da sie sind wieder, die nordischen Posaunisten

Apfeldorfer Wassermusiken – da sie sind wieder, die nordischen Posaunisten

GroßeSingschwanansammlung vor Schilfgürtel Apfeldorf, Staustufe Ost

26. Dezember 2022

Am zweiten Weihnachtsfeiertag ist das Wetter milde. Der Schneeeinbruch am 10. Dezember, ausgerechnet zum Zeitpunkt unseres Weihnachtskonzerts mit Vogelstimmen im Rochlhaus, ist längst vergessen, die Gewässer sind frei – und wir auch.

Höchste Zeit, nach den Singschwänen zu schauen. Wir wissen, dass die Schönen seit November wieder auf dem Lech residieren, insbesondere bei Dornstetten, wollen aber heute wie letztes Jahr unser Glück bei Apeldorf versuchen.

Die Flüchtigkeit der Vögel, die Leichtigkeit, mit der sie ihre Aufenthaltsorte wechseln können, hängt offenbar eng mit ihrer besonderen Art der Zuverlässigkeit zusammen.

Zweiggenau kann eine Nachtigall, die in Südafrika überwintert hat, auf ihren Singeplatz in ihrem Revier im Treptower Park zurückkehren. Und zuverlässig in jedem Spätherbst kehren Singschwäne aus dem hohen Norden in ihre Überwinterungsgebiete auf dem Lech zurück. Sind es immer dieselben samt ihren Nachkommen, oder wie sonst spricht es sich unter Singschwans herum, dass der Lech im fernen Bayern ein guter Ort zum Überwintern ist??

Um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, braucht es, ja – Orts- und Biotopkenntnise und einige Quentchen Wissen um die Gewohnheiten der Vögel. Aber auch eine eine gute Portion Glück und Augenblicksgespür. Und Neugier natürlich.

Kaum sind wir kurz hinter Apfeldorf oben am Hang aus dem Auto gestiegen, wird unsere Aufmerksamkeit in zweierlei Richtung gezogen. Drüben auf der Wiese grasen etwa 300 Graugänse, und ich würde sie gern genauer mit dem Spektiv durchmustern. Gleichzeitig fangen meine Ohren außerordentlich lebhafte Klänge unten vom Lech her ein, denen ich nicht widerstehen kann. Sie ziehen mich magisch an. Und so folge ich dieser luftigen, aber mächtigen Spur. Schon auf dem ersten Absatz, da, wo das Feldgehölz steil zum Ufer hin abfällt und der Fluss zwischen den Bäumen hochschimmert, fließen die Stimmen zu einem Acapella-Chor zusammen, der an- und abschwillt und mich in Bann zieht.
Sie sind wieder da! Und wie es scheint viele!!
Ich befreie meine Füße von einigen Brombeerranken, lege mein Mikro auf den Rucksack, schalte das Aufnahmegerät ein. Lehne mich an einen Baumstamm und lausche dem Chor der Posaunenduette, der sich besonders steigert, als die Gänse über uns hinwegrauschen, schreiend, um auf dem Lech zu wässern.

Ab 01:40 schwillt der Posaunenchor mit den Schreien der Graugänseschar, die zum Lech hinunter rauscht, deutlich an, geht ganz offenbar in Resonanz damit

Singschwäne in der beliebten seichten Zone vorm Schilfgürtel

Endlich unten angekommen, sehe ich, dass sich das Gros der Singschwäne wieder am selben Ort wie im letzten Jahr aufhält: ziemlich weit draußen vor dem Schilfgürtel, kein einziger hier in Ufernähe, also gut zu spektieren bei diesem hellen Weihnachtstaglicht, aber schwierig zu fotografieren.
Und wie viele es sind! Ich bringe das Spektiv in Stellung und lege das Mikro auf ein umgestülptes Boot, das am Ufer liegt.

Ein temperamentvoller Singschwanchor,
der vom Ufer widerhallt und sich mit Windstößen mischt

Die da draußen, das sind knapp über 100 Individuen, zwölf graubraune Diesjährige dazwischen. Wo genau sie wohl aus dem Ei gekrochen sind? Und sie posaunen und duettieren, wollen an diesem Morgen gar nicht aufhören mit ihrem weihnachtlichen Schwanengesängen. So etwas habe ich noch nicht erlebt.

Eine abwechslungsreiche Wassermusik, die kein Ende nehmen will. Mal nahezu verebbend, mal ekstatisch sich steigernd. Die Weite und Einsamkeit nordischer Tundren und Waldseen schwingt darin und die unmittelbare Freude an Verständigung und Gemeinschaft

Mein Mikro nimmt es zuverlässig auf, dieses prachtvolle Oratorium, in das sich Graugänse, Blässhühner, Stockenten mischen, Schnatterenten mit ihrem seltsamen Geknarre, Flügelschläge und Wasserplatschen und das Echo, das die Lechhänge werfen.

Eine Weihnachtsmusik vom Feinsten …


Beim Duettsingen schwimmen die beiden Schwäne hintereinander und schwingen die Hälse gemessen vor und zurück, offenbar ein taktfestes, uraltes Ritual. Wer nicht singt, gleitet elegant dahin, gründelt, zieht die Federn durch den Schnabel, ruht.

Außer uns gibt es keine menschlichen Besucher. So können wir ungestört unsere Stative hier oder dort aufstellen, verschiedene Perspektiven ausprobieren, ungestört schauen, entdecken, lauschen.

Gegen Mittag. Die Graugänse werden unruhig und mischen sich stärker ein, Wind frischt auf, aber das Konzert wird unverdrossen fortgesetzt, steigert sich immer wieder

Bis zum Konzertende zu bleiben, gelingt uns nicht. Zwar hat mein Mikro jetzt sozusagen „Singschwanstimmen satt“ aufnehmen können. Aber die Schönen sind nach wie vor ungebrochen mitteilungsfreudig, ein Ende der Kommunikation auf Hochnordisch ist kaum so schnell zu erwarten, und das Wetter schlägt spürbar um.
So verstauen wir wieder all unsre Optik und Lauschtechnik und beginnen den Hangweg hinaufzusteigen. Ich etwas wehmütig, wohl wissend, dass wir dies nie wieder so erleben werden.
Auf halber Strecke steigern sich die Duette in meinem Rücken erneut auf so unwiderstehliche Weise, dass ich mich umdrehen muss, um ihnen mit Ohren und Mikro noch einmal die Ehre zu erweisen.

Posaunen und Trompeten á la nature! Sie werden zunehmend von starken Windböen übertönt, die durch die Hangbäume rauschen. Pech und Glück zugleich. Die weihnachtliche Wassermusik, sie ist nun ist definitiv vorbei. Jedenfalls für unsere Ohren.

►Singschwäne auf dem Lech◄