Nebelland hab ich gesehen … Notizen im November

Nebelland hab ich gesehen … Notizen im November

5. November 2024

Wenn man vom Dießener Beobachtungsturm auf die schmale Landzunge in der Ammerseebucht schaut, sieht man kahle Bäume, die nur noch Misteln tragen, ein paar Vögel vielleicht, die sich dort für kurze Zeit niederlassen und, auf dem abgestorbenen Baum in der Mitte, den Fischadlerhorst, der im Sommer für so viel Aufregung gesorgt hat. Denn hier in Oberbayern sind, zum ersten Mal wieder seit mindestens einhundertundfünfzig Jahren, zwei Fischadlerjunge flügge geworden. Bis vor Kurzem sind die Jungen hier noch herumgestreift. Jetzt sind sie wie die Alten verschwunden, vielleicht schon auf dem Weg nach Afrika. Der Horst ist leer von Leben, nebelgefüllt.

Fischadler wurden wie viele andere Fischfresser – insbesondere Graureiher, Kormorane, Fischotter – unerbittlich als „Nahrungskonkurrenten“ des Menschen verfolgt und waren Ende des 19. Jahrhunderts so gut wie ausgerottet. Inzwischen sind sie, durch strenge Maßnahmen geschützt, zurückgekommen. Die Freude unter den Naturschützern ist groß – aber wie lange wird sie anhalten? Sowie eine nichtmenschliche Species sich von den gnadenlosen Nachstellungen der Species Mensch erholt hat und sich mehr als gewünscht ausbreitet, wird ihr Schutz wieder durch Sondermaßnahmen aufgeweicht. Und die heißt in der Regel: töten.

Gänsesäger-Besuch auf dem Egelsee, Raum Landsberg, Februar 2022

Der Gänsesäger, diese schöne große Entenart, ist bei uns ein seltener Vogel und steht als stark gefährdete Art auf der Roten Liste bedrohter Arten. Er unterliegt nach wie vor dem Jagdrecht, obwohl für ihn eine ganzjährige Schonzeit besteht und er seit 1976 nicht mehr gejagt wird.
Selten ist auch die Äsche in unseren Wildflüssen geworden, und wie immer, wenn eine Art zurückgeht, ist dafür ein Bündel von Faktoren verantwortlich: Zum Beispiel, dass Äschen Wassertemperaturen von 26°C und darüber nicht vertragen können, dass zahlreiche Querbauten im Fluss die Wanderung dieser Lachsfische verhindern und dass Pestizide auch ihnen allmählich den Garaus machen. Bis jetzt sind nicht einmal die Mageninhalte der getöteten Vögel ausreichend untersucht worden, um festzustellen, wieviele Äschen sie tatsächlich fressen. (1)

Ein Gänsesägerweibchen im Mai 2021 mit vier von insgesamt fünf Jungen auf der Windach

Es entspricht der vorherrschenden Totschlagmentalität, dass, statt das Zusammenwirken all dieser Bedingungen gründlich zu untersuchen, die Vögel – diese Fischterroristen! – erst einmal abgeknallt werden. „Vergleichbare Referenzstrecken“, „weiter ausreichend belastbares Material sammeln“ – was für ein fadenscheiniges wissenschaftliches Mäntelchen wird doch dieser nur allzu offensichtlich einseitigen Aktion umgehängt, die vor allem im Interesse der Fischereiverbände steht und wieder ein neues Ungleichgewicht schaffen wird.

Die Stimmen der Gänsesäger sind nicht oft zu hören. Aber wenn sie sich hören lassen – wie eigenartig, wie schön!

♫ Gänsesägerbalz an einem nebligen Dezembermorgen 2014 auf dem Egelsee ♫

Der geschätzte Brutbestand in Bayern beträgt zur Zeit um die 500 Brutpaare – inzwischen sind 440 Gänsesäger getötet worden. Und bis Ende 2025 soll es so weitergehen! Wie übrigens will man ausschließen, dass diejenigen, die hier ahnunglos als Wintergäste auf unseren Flüssen landen, nicht auch abgeknallt werden? Heute in den einen Trupp geschosssen, morgen in den nächsten, der unvergrämt und ahnungslos daherkommt und so fort – wie wissenschaftlich ist das denn?
Und woran erinnert das, heute, an diesem dunklen Novembertag? Der überschattet wird von der Wahl eines US-Präsidenten, der darauf brennt, das Klimaschutzabkommen zu annullieren und Migranten massenweise zu deportieren. Der verdunkelt wird von mörderischen Kriegen – ja, ich weiß, Kriege sind immer mörderisch – in der Ukraine, in Gaza, im Libanon, im Sudan … – Kriegen, die oft von Genoziden nicht weit entfernt sind, in denen „gezielte Tötung“ längst en vogue und der Schutz von Zivilisten aufgehoben ist.
Eine Species, die so miteinander umgeht, ist von der zu erwarten, dass sie ihre Mitlebewesen schont?
Nebelland hab ich gesehen, Nebelherz hab ich gegessen … (2)
Die Dunkelheit nimmt zu.

9. November 2024

Wieder ein Dunkeltag in der deutschen Geschichte. Scheitern der Märzrevoloution 1848, Novemberrevolution 1918, Hitler-Ludendorffputsch 1923, Novemberpogrom 1938. Und die Maueröffnung 1989, die allerdings ein Lichtblick war. Ich erinnere mich noch lebhaft an die aufgewühlte Stimmung in Berlin – wo wir damals lebten – an die jungen Leute, die rittlings auf der von Graffittis bedeckten Mauer saßen und bunte Brocken herausklopften, an das aufgewühlte brodelnde Lärmen zwischen Potsdamer Platz und Checkpoint Charlie.

Ganz aktuell gab es bei uns heute einen kleinen, aber aufmunternden avifaunisten Lichtblick in all der Novembergräue: zum zweiten Mal in diesem Herbst haben drei Stieglitze die dicken Distelköpfe der Karden angeflogen und lange, kopfüber, kopfunter, die Samen herausgeklaubt – darin sind sie Meister. Im Gegensatz zu den Sperlingen, die es ihnen gelegentlich nachzumachen versuchen und kläglich daran scheitern.

Mit ihrem kräftigen spitzen Schnäbeln klauben Stieglitze Samen aus vielen verschiedenenartigen Wildstauden – besonders gern aus Disteln wie dieser Karde in unserem Garten. Distelfinken hießen sie früher

Alles Lebendige, alle Lebewesen sind im Grunde Lichtträger, kleine Leuchtfeuer in der Finsternis unseres Weltalls und der Dunkelheit unserer Erde. Vögel sind dies in besonderer Weise, und Stieglitze mit ihren exotisch bunten Federn zeigen das schon im Äußeren. Sie sind unverkennbar mit ihrem leuchtgelben Flügelstreif, ihrem schwarzweißen Kopf und rotschwarzen Gesicht – in diese Farben müssen die grauköpfigen Jungen im Laufe des Sommers aber erst hineinwachsen.

Wellig wie ihr Flug, licht und lebhaft sind auch die Gesänge der schönen Bunten. Es ist gar nicht so einfach ♫ Einzelgesänge ♫ aufzunehmen, obwohl ein Stieglitz seinen Schnabel nie lange halten kann. Denn sie leben gesellig, bilden auch in der Brutzeit keine Territorien, um die sie sich streiten könnten, und streifen nach der Brutzeit in kleinen Gruppen, im Herbst und Winter oft in großen Schwärmen umher. In unseren Breiten bleiben sie auch den Winter über da und vereinigen bei mildem Wetter ihre Stimmen zu großen Gemeinschaftsgesängen.

♫ Stieglizschwarm im Winter, großer Gruppengesang ♫

Klänge wie Bilder: kleine lichte Erinnerungen, gespeichert für düstere Tage – gut, dass es sie gibt!

18. November 2024

Nach dem frühen Schneeeinbruch vor 5 Tagen ist schon alles wieder dahingeschmolzen. Es weht ein starker Wind, und die Doppellinde ist nun gänzlich von Blättern entleert und in ihren Wintermodus eingerückt. Jetzt zeichnet sich jedes Zweiglein deutlich vom Morgenhimmel ab, und der Morgenhimmel hängt sein blasses Blau in die Lücken, die vormals ein dicker Blätterpelz füllte.
In keiner Jahreszeit tritt der endlose Rhythmus von Werden und Vergehen so deutlich hervor wie in dieser Jahreszeit. Und wer’s nicht hat, dies Stirb und Werde ist nur ein trüber Gast auf dieser schönen Erde, hat Goethe gedichtet. Jetzt offenbart sich die auflösende Kraft der großen Transformation, der alles unterworfen ist.
Schwere Worte aus der Bibel kommen mir in den Sinn: Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom; sie sind wie ein Schlaf, gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird, das da frühe blüht und bald welk wird und des Abends abgehauen wird und verdorret.
In anderen, moderneren Worten: Alles gibt sich der großen Transformation hin. Form löst sich auf., Licht kehrt zurück zum Ursprung. Was bleibt, ist Dunkelheit. Wir leiden an der Freiheit der Vergänglichkeit. (3)

An der Freiheit der Vergänglichkeit leiden Bäume wohl kaum. Und Tiere vermutlich auch nicht. Sie sind schlicht – wirklich schlicht? – in die große Transformation eingebunden, der sie sich fraglos und ohne Gehirnakrobatik hingeben können. Und müssen.


Und bei aller Melancholie: ohne das kleine Glück des Alltags kann auch ein Mensch nicht leben.
Dieses Glück bestand heute darin, dass wir bei unserer Wasservogelzählung neben einer großen Schar Stockenten einen Trupp Gänsesäger auf dem Windachspeicher gesichtet haben, Männchen und Weibchen. Denen allen ich wünsche, dass sie das sinnlose Gejagtwerden im Rahmen eines fragwürdigen „Forschungsprojekts“ unbeschadet überstehen!

23. November 2024

Gestern hat es nach mittäglichem Sonnenschein wieder zu schneien begonnen. Heute ist der Himmel blau, die Linde hat ihre Schneelast schon wieder verloren, aber ringsum sind Felder und Wiesen weiß.
Ich habe jetzt die letzten Seiten von Imre Kertesz Roman eines Schicksallosen gelesen. Imre Kertesz, ungarischer Jude, Nobelpreisträger, der mit 14 Jahren auf der Straße aufgegriffen wurde und Auschwitz und Buchenwald überlebt hat:
… dort, zwischen den Schornsteinen gab es in der Pause zwischen den Qualen etwas, was dem Glück ähnlich war. (4)
Was für ein aufrührerisches Resumee, gefährlich missverständlich, weshalb das Buch von den Verlagen zunächst abgelehnt wurde.
Aber kein Zweifel, nicht nur für Kertesz ist es wahr, oder zumindest: wahrhaftig.
Am Leben sein, das Lebendige spüren … das Geschöpfliche in uns allen, die nichtmenschlichen Lebewesen selbstverständlich mit eingeschlossen. Das geschöpfliche Glück des Augenblicks ist offenbar unauslöschlich, solange es Leben gibt.

27. November 2024

Nach einem zweiten Schneeeinbruch vor einer Woche sind kaum noch weiße Flecken in der Landschaft zu sehen. Es herrscht strahlender Sonnenschein.

Unser Haustier ist jetzt eine Kreuzspinne, die wir zu schützen suchen. Sie haust seit vielen Wochen in der Ecke zwischen dem Hängebrett über dem Herd und dem Regal, das im rechten Winkel dazu angebracht ist. Manchmal lauert sie groß und dunkel in ihrem Netz, das wir kaum sehen können. War sie erfolgreich, zieht sie sich unter das Hängebrett zurück, hockt da tagelang – bewegungslos, zusammengekrumpelt, für den flüchtigen Blick nicht zu sehen. Dann plözlich ist sie wieder da, schwebt in ihrem unsichtbaren Netz, lauert …
Diese Ecke wird von uns nicht angerührt.
Und ist sie nicht schön?

30. November 2024

Heute konnte das Licht den Nebel erst gegen 11 Uhr durchdringen. Der November geht zu Ende, mit Kriegsnachrichten, Sonne und früher Dunkelheit. Und mit zwei Gänsepaaren in der Kiesgrube, Rost- und Nilgänsen, beides Neozoen, eingebürgerte Fremdlinge, die sich dicht nebeneinander sonnen. Was für ein friedliches Bild …

(1) siehe auch LBV: Wir fordern Ende der Jagd auf Gänsesäger
(2) letzte Zeilen aus Ingeborg Bachmanns Gedicht „Nebelland“, veröffentlicht 1956 in „Anrufung des Großen Bären“, R. Piper & Co Verlag München

(3) aus Llewellyn Vaughan Lee, „Jahreszeiten der Liebe“, Oneness Center Bern 2014, S. 223
(4) aus Imre Kertesz „Roman eines Schicksallosen“, Rowohlt Berlin 1996,10. Auflage 2003, S. 287


Zwischen Blühfeld und Eistaucher – Impressionen im Frühwinter

Zwischen Blühfeld und Eistaucher – Impressionen im Frühwinter

Spot- und Hotlights im November

Anfang November. Die Kraniche ziehen wieder, hauptsächlich über und entlang unserer großer Wasseradern und Landmarken wie Lech und Ammersee. Unsere Dorfecke scheint der Kranichzug dieses Jahr leider nicht zu berühren. Obwohl ich nicht aufhöre, nach ihren trillernden Trompetenrufen zu horchen, mit denen sie Kontakt untereinander halten und auf die ich meine herbstliche Sehnsuchtsmelancholie projiziere.
Am Ammersee Südende, diesem Hotspot für Seltenheiten, tummeln sich derweil ein Seeadler, Zwergscharben – kleine Kormorane aus Südosteuropa – und, schon seit Juli, eine Pünktchenente.
Diese Ente, Anas hottentotta, in Afrika heimisch, ist offenbar ein Gefangenschaftsflüchtling. Hottentottenente hieß sie bei uns bis 2020. Inzwischen sind schon weit über 1000 deutsche Vogelnamen geändert worden, weil sie als diskriminierend, kolonial oder rassistisch empfunden wurden, darunter eben auch Pünktchenente oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, die Schwarzsteppenlerche, ehemals Mohrenlerche.

In unserer Feldmark geht es nicht ganz so spektakulär zu wie am Ammersee. Schon früh sind die Schwarzmilane zu ihrer weiten Reise nach Afrika aufgebrochen. Auch die Rotmilane haben sich weitgehend aus der Feldmark zurückgezogen, aber weit weg sind sie nicht, denn und hin und wieder lässt einer sich blicken. Auch die ♫ rollenden Rufe ziehender Feldlerchen ♫ sind noch zu hören, die liebe ich sehr. Wenn sie rasten, verbergen sie sich gern zwischen Furchen, Stoppeln und niedrigem Bewuchs.

Hochstiebender Stieglitzschwarm überm Blühfeld

Hoch aufragend dagegen erstreckt sich, zwischen Landstraße und Feldweg, ein großer Acker mit gemischter Zwischensaat, die noch blüht und fruchtet. Sie bildet einen Magnet für viele Kleinvögel, die darin untertauchen. Neben ein paar Buchfinken und einer kleinen Schar Goldammern sammeln sich hier vor allem an die hundert Stieglitze. In einer lockeren Vogelwolke, die unruhig über dem Blühfeld hin und her schwenkt, stieben sie ab und zu hoch, um schnell wieder darin zu verschwinden oder sich vorübergehend in einem kleinen Baum am Rande zu einem Gruppenchwatz zu sammeln.

♫ Stieglitze: lebhafte Gruppenkommunikation im November ♫

Über dem Blühfeld flügeln, wie ich überrascht feststelle, langsam und in niedrigem Suchflug zwei Kornweihen. Jedes Jahr kommen hier ein paar durch und halten nach vielversprechendenen Ackerstrukturen Ausschau …

Saatkrähen als jährliche Wintergäste in der Stoffener Feldmark

Vögel sind, wie ich immer wieder vom Neuem feststelle, ebenso findig wie ortstreu. Nicht nur kehren Zugvögel Jahr für Jahr an ihre alten Brutstätten zurück, sondern auch unsere Durchzugs- und Wintergäste suchen zuverlässig ihre gewohnten Rast- und Überwinterungsorte auf.
Das gilt für die Kornweihen ebenso wie für die Saatkrähen, die jährlich im Spätherbst in der Feldmark um Stoffen herum in großem Trupp erscheinen und sie mit ihren ♫ rauen Stimmen, tiefer als die der Rabenkrähen , erfüllen.
Das gilt für die nordischen Pfeifenten, die sich ab Frühwinter in zunehmender Zahl auf den Lechstauseen sammeln.
Und das gilt für die skurril-schönen Spießenten genauso wie für die Singschwäne, die sich, samt diesjährigen Jungen, pünktlich auf dem Lech bei Apfeldorf eingefunden haben. Was Überraschungen nicht ausschließt!

Singschwäne kommunizieren auch im Winter 2023/24 wieder lautstark auf dem Lech bei Apfeldorf

Ende November beginnt es zu schneien. Es schneit und schneit, bis Anfang Dezember Büsche und Bäume sich unter der Last dicker Schneeschichten biegen und der Verkehr auf Straßen, Schienen und Flugplätzen zuammenbricht. Nichts geht mehr. Ringsum wird es still.
Die Doppellinde gegenüber unserem Haus ist nun über und über mit Schnee bepackt und bis in die letzten dünnen Zweigspitzen von weißen Kristallen ummantelt. Dazwischen hier und da dickere Äste in kontrastierender Schwärze. Im Garten Spatzen, Amseln und Elstern – eine Welt in schwarz und weiß. Auch der heftige Wind klingt dunkel und bar jeder Farbe.
Beim Kolkrabenpaar, das vorüberfliegt, verliert sich jeder Schiller im Schneegestöber, und nur ihre Rufe machen sie uns kenntlich.

♫ Kolkrabenpaar, überfliegend ♫

Wenn der Futterplatz ungewöhlich lange leer bleibt, halten wir Ausschau nach dem Sperber. Meist ist es uns nicht möglich, ihn zu erspähen. Manchmal sehen wir ihn als geschwinden Schatten um die Ecke jagen. Manchmal erhaschen wir für Augenblicke das Männchen oder das Weibchen. Aber dann …
Dann sitzt er in der Quitte vor unserem Küchenfenster, lange, und wir können seine gluhen Augen bewundern.

Ein Sperber in der Apfelquitte

Die Raunächte nahen – die Dunkelheit nimmt zu

Im Dezember geht’s weiter mit Schneemassen, Tauwetter, Glatteis, Regen. Mit Hochwasser und Sturmböen, die mich fast vom Rad fegen, so dass ich das Umherfahren aufgebe. Aber: das Grundwasser ist endlich wieder aufgefüllt, wir hoffen auf eine Amphibienwanderzeit, in der kein Laichgewässer trocken gefallen ist – wie in den letzen Jahren oft passiert.

Zur Wintersonnenwende blakert und jault der Sturm ums Haus. Die Dunkelheit ist groß. Schluckt das Licht, kaum dass es in den Tag gesickert ist. Und die Kriege hören nicht auf, das unerbittliche Morden.
Die Zweige der Doppellinde schwanken pechschwarz im Gegenlicht. Jetzt sind die meisten Flügelblättchen, die zitternd bei jedem Luftzug bis zum Schneeeinbruch durchgehalten hatten, davongeflogen. Der Himmel hängt nicht wie sonst zwischen den Zweigen, in plastische Pastellfarben getaucht, sondern steht wie eine Wand dahinter, in kränklichem Weißlichgrau, das den Tag nicht erhellen kann.

Die Vögel verbergen sich. Das Rotkehlchen, über dessen Erscheinen wir uns so gefreut hatten, ist wieder verschwunden. Selbst unsere Sperlingsschar ist nicht mehr recht munter. Vor kurzem tauchten sie stundenlang gar nicht mehr auf, da muss der Sperber wieder zugeschlagen haben.
Die Natur – was genau ist das? – ist weder grausam, noch moralisch, noch romantisch. Sie i s t einfach. Geht ihren geheimnisvollen Gang. Mitleid ist eine menschliche Privatangelegenheit und spielt keine Rolle im Naturgeschehen. Grausamkeit dito. Licht und Dunkelheit durchdringen sich auf undurchschaubare Weise im Wurzelgrund unseres Daseins. In den sich das Leben unserer Bäume ganz konkret im Winter zurück zieht. Es bleibt der Sturm, das Aufgewühlte. Rüttelt an den Häusern. Heult.

Eistaucher und andere Dezemberüberraschungen

Am Ammersee ist mitten in Eis und Schnee, am 1. Dezember, ein seltener hochnordischer Vogel aufgetaucht, ein Eistaucher – heimisch in Taiga und Tundra von in Grönland, Island undNordamerika bis hoch hinauf in die Arktis. Er ist geblieben, wird mal hier, mal dort am Ammersee gesichtet, sogar am Dampfersteg Dießen.
Spektakulär ist seine Stimme, die allerdings nur zur Balzzeit einsame nordische Seen beschallt. Oder Kino- und Fernsehfilmen unterlegt wird, um, wo auch immer die Handlung spielt, das Gefühl von Wildnis beim Betrachter hervorzukitzeln.
Ich höre den Balzruf – von einem kanadischen Kollegen aus Xeno-Canto geborgt – nicht ohne dieses gewisse Schuddern auf meiner Haut, das mich in Wildnisse zurückbeamt, die ich einmal gekannt haben muss.

♫ Eistaucher, „Gesang“, Kenai Peninsula Borough, Alaska ♫

Ende Dezember hat sich der Sturm gelegt. Auf dem Lech bei Apfeldorf, Stauwurzel Ost, geht es gemächlicher, aber nicht weniger spektakulär zu. Zu den Singschwänen, jetzt über 100, hat sich ein bei uns so seltener Zwergschwan gesellt. Ich erwische ihn am Silvestermorgen sogar mit der Kamera, als er endlich seinen Kopf aus den Federn zieht: kleiner als die Singschwäne, aber ebenso schön, mit etwas weniger Gelb am Schnabel. Gewöhnlich überwintern Zwergschwäne in Nordwesteuropa zu Hunderten!

Zwischen den Schwänen tummelt sich, und das ist hier tief im südlichen Binnenland besonders sensationell, ein Säbelschnäbler. Einer dieser langbeinigen schwarz-weißen Watvögel, der von wer weiß wodurch und woher an den Lech verdriftet worden ist.

Ein Säbelschnäbler in Borkum am Rande des Watts, wo er in kleinen Kolonien brütet und seine ♫ Stimme hören lässt ♫

Wir haben diese Art vor allem in Borkum kennen gelernt. Wo er, oft im Gleichtakt mit anderen Artgenossen, seinen langen, dünnen Schnabel, leicht geöffnet, durch Schlick oder Niedrigwasser hin und her pendelt, um kleine Krebstiere und Insektenlarven zu fangen. Ein ganz unwahrscheinlicher Anblick. Vor dem Schilfgürtel ist das Wasser jedoch nicht seicht genug. Also hat sich der seltsame Vogel auf eine andere Fangmethode verlegt: er gründelt wie eine Ente, den Steiß steil in die Höhe gereckt! Deshalb ist er von Weitem lange Zeit nur als schwarz-weißes Federbündel auszumachen. Als er endlich einmal pausiert und auf dem Wasser herumschwimmt, kann ich seinen so kühn gebogenen Schnabel sehen … sh. auch ornitho vom 1. Januar.

Dann kommt Wind auf. Langsam sickert schon wieder die Dunkelheit in den Tag. Das Jahr geht unweigerlich zu Ende. Ich habe hin und her geschwankt, ob ich hier zum Schluss den Eistaucher heulen oder die Singschwäne noch einmal posaunen lasse und mich für die Singschwäne entschieden.

♫ Singschwäne auf dem Eis bei Dornstetten, Duette und Chorgesang, Neujahr 2017 ♫

Der große Neujahrsposaunenchor, vor Jahren am Lech bei Dornstetten aufgezeichnet, gehört für mich nach wie vor zu meinen schönsten Schwanenaufnahmen. Seine wild lebendige Kraft eignet sich ganz besonders, um das alte Jahr zu verabschieden und gebührend zu begrüßen, was da kommt: das ganz und gar unbekannte Neue Jahr.