Langsam beginnen die Vögel zu singen: Frühlingsklänge zum Hochwinterende
10./11. Februar 2022
Heute Nacht pladderte der Regen aufs Dachfenster, jetzt treibt der Wind draußen weißliche Graupel vor sich her, Hybridgebilde zwischen Schneeflocken und Regentropfen.
Aber Nässe, Gräue und Wind zum Trotz: was noch dräut ist der Winter in seinen vorletzten Züge. Was kommt, und zwar unaufhaltsam, ist das spürbar zunehmende Licht. Und zwischen Sonne am Tag, Nachtfrösten und wieder verstärkter Durchkreuzung des Himmels rückt langsam der Vorfrühling an.
Im Wald
Das war gestern besonders deutlich zu spüren. Da hat mich, nach einer nicht besonders strengen Frostnacht, die Unruhe gepackt. Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang, als es schon tagt und nur noch die Venus über den Feldern blinkt, gehe ich in den Wald, voller sehnsüchtiger Erinnerung an die Dämmerungs-, die Dawnkonzerte des Frühlings.
Es ist aber, wie zu erwarten, betrüblich vogelstill. Dann zetert eine Amsel. Wieder Stille. Wind. Eispfützen knirschen unter meinen Füßen. Jetzt – da im Fichtenschlag: ein dünnes, zages Liedchen, gesponnen von einem Wintergoldhähnchen. Es bleibt unsichtbar wie meistens hinter dem dunkelgrünen Behang der Zweige, und gleich hat der Wind die kleine Strophe wieder davongetragen. Am Rande des Hochwalds ein paar vereinzelte Gimpel-, Finken- und Meisenrufe – das ist alles.
Bei Birdern, die vorrangig auf Vielfalt und den Thrill des Aufspürens seltener Arten setzen, steht der Wald als Beobachtungsort in der Beliebtheitsskala weit hintenan: zu artenarm, zu wenig zu sehen.
Für mich ist er eine Urheimat. Allem voran natürlich der wild gelassene Wald, allem voran der tropische Regenwald, Gipfel der Seligkeit meiner Voglerinnenseele.
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Aus unsichtbaren grünen Tiefen dringend herrscht dort, Tag wie Nacht, die unentwegte Vielfalt der Stimmen und Gesänge, ein faszinierender Klangteppich, über den hinweg sich die Regenwaldgeschöpfe mit immer neuen Ruf- und Klangvariationen verständigen. Das übertrifft für mich selbst die aufregendste Limicolenansammlung an Fluss oder Binnensee, wie wir sie hier mit Lech und Ammersee ganz in der Nähe haben.
Immerhin ruft, als ich dem Wald schon den Rücken gekehrt habe, ein Sperber seine kurze Rufreihe. Die Sonne geht auf und glänzt hinter den Bäumen. Hoch darüber die Venus, und dazwischen ein schräges sternartiges Gebilde aus Kondensstreifen, das den Himmel durchkreuzt, Menetekel unserer Zeit, das meine Stimmung nicht gerade hebt.
Im Dorf: Gimpelgesänge und erste Starenpfiffe
Kaum habe ich mich jedoch dem Dorf genähert, wird mein Winterblues von Vogelstimmen davongeblasen. Grünfinken knätschen, Kohlmeisen läuten, und ein stimmfreudiges Gimpelpärchen singt und ruft unermüdlich im Duett, obwohl der Wind ihnen kräftig durch die Federn streicht.
Ihr ♫ schlichter Gesangsteil ♫ ist recht leise: charakteristisch sind die schrägen, nasal klingenden Laute, oft auf kleine Tonsprünge folgend, die viele Obertöne haben. Ob die ♫ anschließende Reihe der Rufe ♫, im Duett und zum Teil sogar synchron vorgetragen, auch zu ihrer Gesangssession gehört? Was Ruf ist, was Gesang, was ein Übergang zwischen beiden ist nicht immer genau zu unterscheiden.
Aber solche menschlichen Klassifizierungsfragen gehen die zwei nichts an. Sie befinden sich ganz offenbar in Harmonie miteinander und singen beide, Männchen wie Weibchen, animiert von der milden Witterung. Nicht nur stehen ihre leisen Laute, manchmal von Windböen weggefegt, im Kontrast zu den kräftigen Körpern – bullfinches heißen sie im Englischen! Sondern auch ihre vokalen Fähigkeiten gehen weit über das hinaus, was man gewöhnlich von ihnen zu hören bekommt. Denn seit langem ist bekannt, dass sie sogar in der Lage sind, Volkslieder nachzupfeifen, melodienfest und tongenau. Dies hat dazu geführt, dass sie sowohl ihrer bunten Schönheit als auch ihrer Imitationskunst wegen gekäfigt worden sind.
Wer ist der Lehrer, wer der Vogel? Ein von Hand aufgezogener Gimpel imitiert eine Volksmelodie
In einem Vogelstimmenvortag in Seewiesen hat Prof. Gahr einmal Tonaufnahmen zur Imitationskunst der Gimpel zu Gehör gebracht, und ich habe es an meinem Sitzplatz mitgeschnitten. Deutlich wird offenbar, wie groß die Stimmbegabung der Gimpel ist -nicht simpel, eher phänomenal! Letztlich bleibt die Frage offen, warum diese Vögel in Freiheit keinen – oder kaum – Gebrauch davon machen. Oder sollte man lieber umgekehrt fragen: warum singen viele Vögel so komplex?
Was mich jedoch am meisten elektrisiertd, als ich ins Dorf zurück komme, sind vier schwarze Vogelgestalten. Sie schaukeln in einer großen Birke auf dem Spielplatz am Ende der Straße, laut pfeifend und leise schwatzend: die ersten Stare sind wieder da! Stimm-, sing- und imitationsfreudig wie eh und je.
♫ Gruppengesang dreier Stare am 13. Februar, wieder auf dem Kirchturmkreuz ♫
Nachtrag: auch in den Dörfern ringsum sind wie auf Verabredung die ersten Stare am 10. Februar erschienen – der restliche große Schwung lässt noch auf sich warten. Am 13. Februar ist es mir gelungen, die komplexen Gesänge der Frühankömmlinge störungsfrei aufzunehmen.
Wintergoldhähnchen und erste Misteldrossel singen auf den Lechhängen
Wenig später hat sich die Sonne durchgesetzt. Ich fahre zum Lech und gehe in der Kalksteinschlucht hinter der „Teufelsküche“ zum Stauweiher hinauf. Die Steige weiter oben sind noch vereist, und die Wasseramseln, auf die ich gerechnet habe, lassen sich nicht blicken.
Wasserrauschen und Windsausen, wenn die Böen die Bäume packen. Oben auf dem Wanderweg tanzen Sonnenflecken und Schatten – soll ich weitergehen oder lieber zurück? Dann meldet sich kurz eine Misteldrossel, hört gleich wieder auf und lädt mich zum Horchen und Warten ein. Plötzlich ist die Vogelstille gebrochen. Zwei Wintergoldhähnchen fangen zu singen an, sehr hoch und sehr deutlich mit hübschen kleinen Schnörkeln am Ende.
Buntspechte keckern, Tannenmeisen singen, dazwischen verwehte Erlenzeisigrufe, Kohlmeisenläuten im Hintergrund. Dann:
♫ Die Misteldrossel setzt wieder ein ♫.
Ich bin erleichtert, weil sich Frühlingssimmen in die trübe Stimmung am Ende des Hochwinters mischen. Während ich vorsichtig den Eispfad am Stauweiher hinab trapse, klingen die Vogellieder mir nach. Die schnell verwehten Goldhähnchenstrophen, die den Ausgang des Winters besingen, der kräftige Drosselgesang, der den anrückenden Vorfrühling einlädt, zumindest in mein Gemüt.
Kaum bin ich wieder unten am Ufer des Lech, flitzt ein Eisvogel vorbei – besser zu hören als zu sehen. Eine Sumpfmeise singt ein paar Klapperstrophen. Kohl- und Blaumeisenlaute. Auf dem Wasser residieren die Höckerschwäne, wie so oft umwimmelt von ihrem „Hofstaat“, zu dem nach wie vor die schönen Pfeifenten gehören – Wintergäste aus dem Norden, die noch lange nicht abgezogen sind.