Kurzvortrag anlässlich des El Cant d’Ocells-Konzerts „Lieb Nachtigall wach auf“ am 8. Dezember 2023
In zwei Wochen ist Wintersonnenwende, und dann feiern wir wieder mit Weihnachten die Geburt Jesu vor 2000 Jahren. Die Geburt Jesu in einem Land, das derzeit in Krieg, Elend und Blut versinkt, in dem so viele Kinder getötet worden sind und weiter getötet werden. Dennoch: Gerade jetzt, in dieser Zeit voller Unsicherheit, Angst und Gewalt sollten wir uns daran erinnern, dass Weihnachten eine Zeit des Wunders und der Hoffnung ist – oder zumindest sein sollte. Wir feiern, wenn wir uns nicht vom Konsum ersticken lasssen, oder von Trauer, die Hoffnung darauf, dass es in dieser Welt Erlösung gibt. Wir feiern die Hoffnung auf das Ende der Dunkelheit und auf die Wiederkunft und Wiedererstarkung des Lichts. Mit anderen Worten: Wir feiern die Hoffnung auf ein Wunder.
Immer noch, auch in diesen zerstörerischen Zeiten, sind die Natur, und darin nicht zuletzt die Vögel im Grunde Wunder pur, wenn wir ihnen mit offenen Sinnen begegnen. Vögel bewegen sich mit Leichtigkeit durch die Luft. Sie setzen sich auf irgendeinen Ast – manchmal punktgenau auf den, den sie ein halbes Jahr zuvor bei ihrem Start nach Afrika verlassen haben – und singen los, als wären sie in einem Konzertsaal. Sie sind frei und wild, wie es im Lied „Es saß ein klein wild Vögelein“ gerade besungen wurde, und sie brauchen keine mit Gold und Silber umwundenen Flügel, und Käfige schon gar nicht. Und die Menschen haben ihnen immer gern zugehört.
An Vögeln imponiert mir besonders, dass gerade die begabtesten unter ihnen, große Solosänger wie Amseln, Grasmücken, Rotkehlchen, Nachtigallen ihre Brutreviere kraft ihrer Gesänge abgrenzen. Auf diese Weise schaffen sie Klangreviere, die sie in der Regel gegenseitig respektieren, so dass sie darum gar nicht erst harte Auseinandersetzungen führen müssen. Im Gegenteil: wenn zwei oder drei Sänger entspannt innerhalb ihrer jeweiligen Klangreviere singen, hören sie einander zu, regen sich gegenseitig an und konzertieren oft im Wechsel miteinander, gleichen ihre Motive sogar an. Mit anderen Worte: Frieden schaffen ohne Waffen, dieser alte Slogan aus der Friedensbewegung, der heutzutage bei vielen Politikern gerdezu verpönt zu sein scheint – dieses Frieden schaffen ohne Waffen ist im Grunde ein Motto der Vögel und eine echte Weihnachtsbotschaft.
Vögel sind ja immer noch kleine, überaus flugfähige und hochmusikalische Dinos – Dinodiven sozusagen. Sie haben schon vor vielen Millionen von Jahren ihre Schnäbel gewetzt, lange vor unserer Zeit, und ihre Urmusik, ihre vielfältigen Laute und Weisen haben die Evolution der Menschheit von Anfang an begleitet. Deshalb gehören Vögel, die Vielfalt ihrer Stimmen und die innere Stille, die sie verbreiten, unlösbar zu jenen grundlegenden Umweltbedingungen, die unser inneres Gleichgewicht stabilisieren. Während Lärm und Kriegsgeschrei es nachhaltig zerstören. Dies, ebenso wie ein stummer Frühling, in dem sich kein Vogel mehr rührt, ist nicht nur für Vogelliebhaber eine erschreckende Vision!
Was hat Olivier Messiaen, der große Musiker und Vogelkenner des 20. Jahrhunderts, geschrieben: Was mich am meisten erneuert hat, ist, glaube ich, mein Umgang mit den Vögeln. Das hat viele Leute zum Lachen gebracht … Sie glauben, dass es „niedrige“ Tierarten sind … . Das ist vollkommen idiotisch. … Als ich mich mit den Vögeln befasste, habe ich begriffen, dass der Mensch so viele Dinge nicht erfunden hat, sondern dass so viele Dinge schon vorher um uns herum in der Natur existierten – nur hat man sie nie gehört. Jeder Vogel ist ein lebendiges Leitmotiv, weil er seine eigene Ästhetik und sein eigenes Thema hat. … Ich habe den Eindruck, dass sie alles gefunden haben …, sogar die Mischungen von Klangfarben, die man heute sucht, und Nachhalleffekte.
Vögel haben ein absolutes Gehör. Sind fähig zu intonieren und zu transponieren. Sie können modifizieren, variieren und, wie unsere Amseln, in jeder Saison Neues erfinden und in ihr Repertoire einbauen. Das alles sind vokale Fähigkeiten, die hörbar weit über ihre Funktion, Brutreviere zu markieren und Weibchen anzulocken, hinausgehen. Ganz abgesehen davon, dass, wie man inzwischen weiß, viele Vogelweibchen singen, sogar zu den Jungen in ihren Eiern. Für mich ganz persönlich ist gerade der Morgenchorus der Vögel im Frühling, der sogenannte Dawn Chorus, der lange vor Sonnenaufgang einsetzt, ein großartiger Schöpferlobgesang, der seine biologischen Funktionen weit übersteigt. Dies ist natürlich keine offizielle wissenschaftliche Verlautbarung! Hören wir den Vögeln und ihren musikalischen Kunststücken doch einfach mal zu!
1 zum Beispiel den herrlichen Glissandopfiffen der Stare und ihren überraschenden Imitationen – hier imitieren sie den Turmfalken (00:05), den Rotmilan (00:20), das Huhngackern (00:40), den Pirol (ab 00:45)
2 einer Nachtigall mit ihren berühmten lang gedehnten Crescendo-Schluchzern, aufgenommen in Berlin, der Stadt der Nachtigallen, wo sie mir am Rande des dunklen Volksparks um Mitternacht direkt ins Mikrofon sang
3 einer Amsel mit ihrem (für unsere Ohren) witzigen Leitmotiv, das sie einen Frühling lang gleich bei uns um die Ecke herum unentwegt zum Besten gab – wir haben sie aus gutem Grund die Kikerikiamsel genannt
4 einem sehr seltenen Schildhornvogel, einem Helmeted Hornbill, mindestens so witzig wie die Kikerikiamsel. Wir sind ihm am allerletzten Tag unserer Streifzüge durch den malaysischen Regenwald mit Glück und Staunen begegnet
Und zum Schluss noch mal das Rotkehlchen, das zu Anfang unseres Konzerts leise zum Lied vom bitteren Winter gesungen hat. Vögel singen ja so schnell, dass wir das gar nicht alles erfassen können. Und das heißt, dass unsere einfallsreichen Vögel noch viel einfallsreicher, differenzierter und kunstvoller singen, als wir überhaupt im Stande sind zu hören. Im letzten Jahr habe ich einen Musiker kennen gelernt, Johannes Quistorp aus Peißenberg, der auch ein großer Liebhaber der Vogelgesänge ist. Er arbeitet mit einer Software, einem Overtone Equalizer, der vor allem von Sängern und Sprachtherapeuten eingesetzt wird. Man kann damit durch Verlangsamung vor allem Obertöne analysieren. Ich habe ihm die Rotkehlchenaufnahme geschickt, und er hat sie bis zu 16fach verlangsamt. Dabei werden die Klänge naturgemäß nach unten oktaviert. Und nun hören Sie mal, was er bei der Verlangsamung von nur einer der Strophen entdeckt hat.
5 ROTKEHLCHENSTROPHE vom 04.04.2022, kurz nach 6:00 Uhr morgens – 2 fach (00:10), 4fach (00:22), 8fach (00:39)), 16fach verlangsamt. Die entscheidende Sequenz am Strophenende 01:47, zur Verdeutlichung dreimal wiederholt.
revised lecture, held at LBV Landsberg in November 2017 and in Berlin-Zehlendorf 2019
Years ago I started my sound journey through the world of bird songs with the question: Why do birds sing? And why so differently? Difficult questions, hardly to be answered completely. In order to at least narrow them down, the first step was to investigate how birds sing. Today, the question of the musicality of birds, which has always run along with my lectures, is at the center. Is this really music that birds make, and how is this reflected in the music of our own species? And what actually is music?
Bird Calls
At the beginning there is the exact hearing! If you take a closer look at this depiction of Francesco of Assisi, you will realize that he not only preached to the birds, but also must have listened to them carefully – just notice his big ears!
The sounds that birds make when they are excited and with which they communicate about dangers do not exactly make one think of music. It is the same with us humans: If danger is approaching, even our best singers do not sing, but scream or remain silent (except in opera). Incidentally, the warning and alarm, the excitement and begging calls of birds, which primarily serve immediate survival, are so simply structured that they can also be understood by other bird species. And must. No bird lives for itself alone!
The warning calls of our songbirds, for example, are often heard – here I have cut different warning, excitation and contact calls one after the other:
The begging calls of young birds are also part of the repertoire of innate behaviors that serve immediate survival:
Many other bird calls, whose message is nevertheless not easy to decipher, are rather simply structured: for example contact calls and so-called „Stimmfühlungslaute“ – perhaps to translate with „vocal tactile sounds“. Even the embryo in the egg can produce such sounds and thus send signals to its environment. For nest fledglings, such as the Quail, these calls serve a communal coordination, which causes the synchronous hatching of all chicks! Contact calls are also important for the cohesion of bird flocks. For migrating Cranes and Greyleg Geese as well as for small bird flocks – Finches and Linnets, for example.
In addition, there are many spontaneous expressions of life that reflect sensations of the moment. Birds, more than other creatures, extend the boundaries of their bodies with their voices into the sound space which they strive to fill completely – and by the way: in the meantime it is known that the great solists among the songbirds mark and defend in particular the boundaries of their sound spaces, and not those of their feeding territories, with their songs. Thus they create peace without weapons – and the sermon of Francesco has fallen on fertile ground!
That sounds shrill or, as to the Bullfinch calls, only moderately melodic – although the calls of living birds never lack a wild brilliance.
Such duets are clearly coordinated sound events. In the case of the Cranes, a certain trumpet sound chord is repeatedly intoned in two voice. The Lapwings, starting at 00:22, also sing almost synchronously: this already fulfills more than one condition for music.
The calls of nine Rusty Geese, set up side by side on a gravel pit embankment one fine May day, are among my favorite choruses. They sound more original than melodious but are – spontaneously – organized and rhythmized together and thus also fulfill important conditions of music.
All three species do not belong to the songbirds – and yet they sing, not only in the ornithological sense!!!
The Great Reed Warbler, on the other hand, belongs to the sparrow- and songbirds. Its original song is harsh in sound, it must be, to drown out the rustle of large reed forests where it primarily breeds and sings. Its song is divided into strophes, varied in many ways, and clearly rhythmic.
The question whether these sound samples are music, I would answer unambiguously with yes. Of course, it is not jazz, not pop, not E-music. No human cultural, but an evolutionary high performance: just BirdMusic. According to my perception, music begins when rhythm, melody and composition are added to the mere utterance of sound. Simply said, music is sound organized in the time and tone sequence. And melody is first of all nothing else than a designed sequence of sounds. All this is abundantly offered to us by the birds.
And beyond that, to say it exaggeratedly, as in the human music so in the music of birds the sound itself is the first and actual message. Everything else is additional meaning, purpose, interpretation, sensation, feeling of the listeners. But there are certain listening habits and musical traditions, through which some sounds from the bird world are more distant or closer to us human beings. However, a certain strangeness always remains, if only because birds literally play in a higher league – many of their songs are on average around 4000 Hz and higher, even reaching up to 14 000 Hz with overtones, while the human voice is usually far below 4000 Hz. The brilliant tenor voice, the so-called singer formant, is around 3000 Hz and must be acquired in years of practice.
Cuckoo and Baroque
Everyone agrees on the Cuckoo call: it is considered a simple but effective vocal element and is a very popular motif in baroque music as a harmonic chord – usually consisting of a minor third, but sometimes also a major third or a fourth. The well-known folk and children’s song Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald (Cuckoo, cuckoo, calling from forest) is so memorable because the so-called Cuckoo’s third is intoned eight times in different pitches in it! To illustrate this, here is an example of the use of the Cuckoo’s third in baroque music: Dorothee Mields sings The Cuckoo by Thomas Arne (excerpt), followed by a typical Cuckoo song from our Hagenheim forest:
In this baroque piece, the focus is on the recognition value of the bird call, because this was and is a factor not to be underestimated in the favor of the audience. But even here it is not really only about imitating the voice of the bird exactly (as the old bird flutes could do much better) but here human infidelity is thematized by means of the Cuckoo and even accompanied by a clear song text. Two small historical notes: In the sacred music of the Middle Ages, the Cuckoo third was considered sexually charged and was therefore forbidden. And in baroque England, the flute was considered a purely male instrument, whose playing was frowned upon as being obscene for women.
In nature, by the way, the Cuckoo’s voices often roll over several times, and the female rises into a beautiful trill – both also like to sing in duet:
The trilling is a very popular motif in bird music and can be excellently imitated and colored with the flute. So it is no wonder that one of the most famous bird music pieces from the Baroque period is dedicated to the Goldfinch. It was one of the most popular birds in Italy with its splendid colors, and it was also the most frequently depicted bird in paintings. What he had to pay with painful captivity.
Vivaldi, too, paints the impression of a lively colorful bird with vivid high trills in his famous „Il Gardellino“ using flute trills, repeated notes and rapid passages. The following is a small excerpt from this which I have inserted into an original recording from our village for comparison and contrast. So Vivaldi’s baroque Goldfinch trill, played by the wonderful flutist Stefan Temmingh, versus Goldfinch live from Hagenheim on lead wire at the children’s playground:
SoiIt trills in the music of humans as well as in the music of birds everywhere! Here again in short the trill duet of a pair of Little Grebes in the flooded meadow area of a small toad pond near Thaining, in which the two have raised their young – a very special water music:
In the world of birds, many duets and concerts are sung in this and similar ways. Especially in the vastness of the rainforests duets serve the cohesion of the couples: In the following recording a pair of tropical Wrens that I encountered on a finca in Costa Rica are duetting. They regularly visited a coconut tree and feasted, along with other birds and squirrels, on a pecked or burst coconut.
Blackbird and Musician Wren
Among the very great singers and composers of the Central European bird world, which sound particularly pleasant to many people’s ears, are the Blackbirds as well-known solo singers. The only question is: Is it a miracle or rather logical that this once shy forest inhabitant has come so close to humans?
Here is the beginning of a beautiful early morning concert fom my hometown, where many gardens meet behind long rows of houses – which creates a special reverb:
Birds sing best and most imaginatively when, stimulated by the songs of other conspecifics around their sounding territory, they can sing in a relaxed atmosphere, without the excitement of territorial defense. In the following recording the same Blackbird as above, on a very early morning at the end of June, after having sung itself warmly for more than seven minutes suddenly goes over to a sub-song: this sounds, with its flourishes and kicks, like relaxation and pleasurable playful exercise, sung just for itself. And that’s probably what it was.
It is interesting that there are not many pieces of music dedicated to the Blackbird, such as Il Gardellino by Vivaldi, apart from Messiaen’s Le Merle noire. After all, the Blackbird motifs and songs, which our Blackbirds invent anew every year, have long been incorporated into classical music. So it is no wonder that people keep hearing classical motifs, especially from Mozart and Beethoven, in Blackbird songs and ask themselves the question: did these birds hear the classics or did the classics hear the birds? Knowing that birds have been developing their songs for 60 million years, the answer is probably obvious!
I was allowed to listen to a Blackbird developing and perfecting the following beautiful motif around our house for a whole spring – a very special experience:
And here a special masterpiece from Potsdam: a Blackbird sings notes of a scale – a bird-specific „black choked“ scale, as a friend called it:
What comes next is a thrush relative from the Brazilian rainforest, an Orpheus Wren. With its pure flute notes and ingenious leaps of tone, this little bird is one of the great classical solists in the bird world – even if it does snare in a wren-like manner between its arias.
Hearing such singers, one can only say: if it were solely about the function of territorial defense and attracting females, then birds with such abilities would simply be overqualified. And basically it is beyond doubt that certain biological functions of bird songs do not preclude birds from singing with pleasure. To say it with the musician David Rothenberg: Why do birds sing? For the same reasons as we do – because we can. Because we like to immerse ourselves in the realm of sound … Form is much more enduring than function. No explanation will ever erase the infinite need to sing.
Nightingale
A bird that has often inspired musicians in Europe and continues to inspire into modern times is and remains the Nightingale. It is considered a songbird par excellence and in our culture it embodies not only beauty but also the purity of love. The Nightingale not only has many motifs, but is also one of the few birds that can sing pure tones (that is, tones without overtones). Above all, it is a great performer.
And here is a small part of an original night recording from Wannsee, Berlin. Natural the Nightingale is a bird of the floodplain forests, but now it is present in Berlin in large numbers! In the Bavarian alpine foothills it is unfortunately mostly absent.
Older Nightingales master up to 200 different types of strophes – fluting and trilling, blare, gurgling, sobbing (dark: tuk tuk tuk tuk) – characteristic is a sequence of stretched pure-toned flute-elemts (dü dü dü dü …), which rises crescendo-like.
Young Nightingales begin to rehearse sounds they heard as chicks in the nest already during their first trip to Africa around November. They then sing many small elements – subsongs – which they assemble and structure piece by piece during the winter. (Research by ornithologist Prof. Silke Kipper, FU Berlin, since 2015 TU Munich).
As an example for the integration of Nightingale songs into modern music, I now bring a short recording from „Nighthingale“ by the Italian David Monacchi, which uses all technical means. He is a professor of electronic music in Foggia, Italy, records himself the bird songs that inspire him and incorporates them into his own music. Often he performs together with Bernie Krause. He calls his music Eco-acoustic compositions.
Monacchi has here first only integrated his Nightingale recording into his music piece, but then slowed it down, whereby it slips into a lower frequency, and swirled the whole with noises and instrumental music, mostly electronically generated. When bird song recordings are slowed down, a lot of details can be heard that otherwise escape the attention of the human ear – and thus usually remain hidden from us. Birds can not only sing faster than humans, emitting more distinguishable tones and sounds per unit of time, they correspondingly can also hear in a more differentiated manner. In other words, birds are, not only with their wings and beaks, but also with their ears much more quick than we are.
Here again an excerpt of the Wannsee recording with triple reduced tempo: the frequencies automatically slip into lower pitches – and there we have the Monacchi effect!
Of course, modern ornithology also takes advantage of this to explore the details of birdsong. Birdsongs are no longer represented only by notes or word transcriptions, but mainly by sonagrams, making details not only audible, but also visible.
Sonograms (spectrograms) are diagrams from which one can read the pitch (left bar, kHz), the temporal sequence (upper bar, sec) and the relative loudness (degree of blackening or, as above, reddening) of a sound event
Rautavaara and the Music of Nordic Birds
A musician largely unknown in our country, but one of the most famous in his native Finland, is Einojuhani Rautavaara (1928-2016), whose work included twelve-tone music. He was a great experimental musician and an equally great bird lover and connoisseur, and also made sound recordings on his own in the far north. His famous concerto for orchestra and tape recordings is called „Cantus arcticus“. An integral part of the composition is a tape of Rautavaara’s sound recordings of Arctic birds, which must be played whenever an orchestra plays this piece. Here is an excerpt:
Rautavaara has not only underlaid his composition with tape recordings of birdcalls, but his entire composition revolves around the sound character of the Nordic birdcalls and is completely attuned to it and to the surrounding landscape – you can just hear, this could not have been at Lake Garda. An assimilation at its best!
By the way, he has down-octavated the singing swan voices (at the end of the excerpt) twice and thus alienated them. For comparison, original recordings of Whooper Swans wintering with us at the Lech:
The Starling – a Musician of the Modern Age – Birds as Modern Musicians
I remind you once again that music consists of organized sounds and that since the modern age (including jazz) these are not only harmonic sounds and chords, as they have determined the development of Western European music, but that harmonic sounds are mixed many times with sounds and noises that are unusual or disharmonic for our ears.
In this, the Starling, who also inspired Mozart to unusual sounds, is a star among modern musicians as among virtuoso singing birds – he mixes sounds and noises so masterfully and sings in such a complex way that the structures of his singing have not yet been deciphered even by research (despite all the technical means available). His mostly four-part singing consists of changing imitations, variations, noises, whistles and sounds and apparently follows its own star grammar. And of course he can sing in two voices, two voices at the same time from one and the same „throat“, the syrinx. I have dedicated an extra page to him in the booklet to my second CD.
In 2018, the Starling has become Bird of the Year. Because, unfortunately, its numbers are also in decline, although there are still between 0.5 and 1.2 million breeding pairs in Bavaria. Our small village Hagenheim is currently still a real Starling village, where the starling boxes are occupied every year with more than 50 breeding pairs.
So birds here and there are classical, but first of all very modern musicians, and have been for thousands of years. Which is quite an understatement! The beginning of the development of bird songs is dated back by science to about 60 million years – for sure they have been singing a long time before the appearance of humans on this globe! And they have mastered all the musical „tricks“! First of all, sounds and instrumental sounds, which they mix with their vocal sounds:
Zunächst einmal Geräusche und Instrumentallaute, die sie mit ihren Stimmlautenen mischen:
In addition, there is the high art of quarter and third notes, glissandi, coloratura, collective and individual improvisations, mixtures of timbres and reverberation effects, intonation and transposition, and, thanks to her special double vocal organ, the syrinx, two-part harmony. And imitation and assimilation of birds‘ voices foreign to the species. In this context, one of my favorite birds from our landscape, the virtuoso Marsh Warbler:
And here sings an exotic soprano singer from the Malaysian rainforest, who surprised us one early morning shortly after setting off on a long excursion with a masterly coloratura (total recording at x.-c.):
Olivier Messiaen and the Freedom of the Bird Song
Olivier Messiaen (1908 – 1992), the great French musician, did not yet have sophisticated technical possibilities for recording bird calls. He had an absolute ear with a quite extraordinary resolving power and could distinguish about 700 bird calls and songs according to their species. When he roamed the French countryside (Camargue, Brittany, Alps, Pyrenees, Champagne, Auvergne, Charente), he transcribed the bird songs very accurately with the help of a special musical notation enhanced by signs. It was not until his later years that sound recording equipment became available to him.
He was a pioneer of the contemporary avant-garde (twelve-tone music, serial music) – and by his own statement, nothing seemed more avant-garde to him than the song of birds and nothing more admirable than the sovereign freedom of the bird song. If one listens to his famous piano composition Catalogue d’Oiseau, in which he portrayed birds of the French landscapes, it is difficult at first, even for ornithologists, to recognize species-typical bird calls or songs. For there is nothing simply and obviously copied, imitated or assimilated. Messiaen was concerned to represent the bird calls in his music more precisely than science is able to do, because he understood them as the true, lost face of music, which must be saved for later times. Along with the particular voice of a bird, he also transcribed its surroundings – the sounds of the other birds, the whole space of sound and light in which he experienced it, the whole habitat with its manifold interweavings of voices and colors.
In the following, I have cut the individual bird depictions of Messiaen from his oriole portrait Le Loriot in the Catalogue d‘ Oiseaux one after the other:
Of course, it is much easier to play the hammering of the Chiffchaff on the piano than the flute notes of an Oriole and to adapt them to the possibilities of this instrument. So Messiaen had to octave down and slow down the bright and fast voices of the birds for his piano composition. Now it may be easier to follow the small excerpt of Le Loriot from the Catalogue, which I have combined with an original Oriole recording from Ammersee South. It’s amazing how well this fits together!
At the beginning, briefly, in the upbeat, the heavy earthiness of the trees is to be heard, and immediately in contrast to it the gold-yellow of the Oriole, which shines between the leaves and tints the sound of its voice and that of the birds singing all around …
Messiaen, listening to the birds, apparently developed much of his own music from them: Melodies, rhythms, harmonies, timbres and structural forms, tempi and dynamics … thus expanding the compositional rules of music! When composers are inspired by bird songs, they have two main possibilities: either they adapt the bird songs, especially their melodies, into the musical language of their time – see Baroque – or they expand the rules and possibilities of their music by listening carefully to the sounds of nature.
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David Rothenberg, Berlin Nightingales and Lyrebirds
What you should never lose from your eyes or ears: Birds do not address their songs to us, but to other birds, to the bird community in which they live, so different for us. This is what makes bird music so fascinating and enticingly exotic for us at the same time. Which brings me to a particularly fascinating musician, David Rothenberg from the USA, jazz musician, composer, philosophy professor, bird lover …, who crosses this boundary by making music together with wild birds. Both with Nightingales in Berlin („now this nightingale is spoiled for science,“ said a scientist who was present at such a crossover concert) and with wild Lyrebirds in Australia. Where also the 80-year-old Messiaen, guided by the same Australian ornithologist as Rothenberg, Syd Curtis, had heard a Lyrebird in 1988 and transcribed it with the help of his musical notation.
Lyrebirds need 5 years until they are sexually mature and have perfected their songs – clear compositions with many imitations of the surrounding birds. For this purpose, they perform regular dance rituals on their natural stages. They were assigned to songbirds by scientists only after long discussions.
David Rothenberg writes: „You still make music with birds in all seriousness? people ask me. And I answer them that this is the most serious, most deeply rooted … music that I can imagine, and that I make music with birds primarily in order to get closer to the most significant, timeless sounds of life. … No response can erase the gift of song, the simple gift of human to animal and vice versa.“
Bücher, Musikquellen (kleine Auswahl)
lesen
H.-H. Bergmann, H.-W. Helb, Sabine Baumann: Die Stimmen der Vögel Europas. Mit CD. AULA-Verlag 2008
Csaba Bornemisca: Musik der Vögel. Braumüller Wien 1999
Silke Kipper: Die Nachtigall. Ein legendärer Vogel und sein Gesang. Insel Verlag 2022
Ambrose G.H. Pratt: Menura. Prächtiger Vogel Leierschwanz. Mit CD. Friedenauer Presse Berlin (dtsch. Übers.) 2011
Walter Streffer: Klangsphären. Motive der Autonomie im Gesang der Vögel. Verlag Freies Geistesleben 2009
Heinz Thiessen: Musik der Natur. Über den Gesang der Vögel. Angora Verlag 1978
David Rothenberg: Why Birds Sing – a Journey into the Mystery of Bird Song. BASIC Books 2005
David Geoge Haskell: Sounds Wild and Broken. Sonic Marvels, Evolution’s Creativity, and the Crisis of Sensory Extinction. VIKING 2022
hören
Olivier Messiaen: Catalogue d’Oiseaux. Robert Muraro (CD Accord 1999) – und zahllose andere Einspielungen
Dorothee Mields, Stefan Temmingh: Birds. Vögel in der Barockmusik (CD dhm – deutsche harmonia mundi 2015)
David Monacchi: eco-compositions (EMF CD 074 2008)
Einojuhavi Rautavaara:Cantus Arcticus – Angel of Dusk – String Quartet No.2 (CD apex Finlandia Records 2564 69890-8)
David Rothenberg: why birds sing (CD Terra Nova Music USA)
David Rothenberg, Korhan Erel: BERLIN BÜLBÜL (CD Terra Nova Music USA TN511 u. Gruenrekorder Hanau Gruen 158/LC 0948)
überarbeiteter Vortrag, gehalten beim LBV Landsberg im November 2017 und in Berlin-Zehlendorf 2019
Vor Jahren habe ich meine Klangreise durch die Welt der Vogelstimmen mit der Frage begonnen: Warum singen Vögel? Und warum so unterschiedlich? Schwierige Fragen, kaum zur Gänze zu beanworten. Um sie wenigstens einzukreisen, ging es lange darum, zunächst einmal zu untersuchen, wie Vögel singen. Heute steht die Frage nach der Musikalitätder Vögel, die bei meinen Vorträgen schon immer mitgelaufen ist, im Mittelpunkt. Ist das wirklich Musik, was die Vögel so von sich geben, und wie spiegelt sich dies in der Musik unserer eigenen Gattung wider? Und was eigentlich ist Musik?
Vogelrufe
Am Anfang steht das genaue Hören! Wenn man sich diese Darstellung des Francesco von Assisi genauer ansieht, so wird einem klar, dass er nicht nur den Vögeln gepredigt, sondern ihnen auch – man beachte nur seine großen Ohren! – genau zugehört haben muss!
Bei den Lauten, die Vögel bei Erregung äußern und mit denen sie sich über Gefahren verständigen, denkt man nicht gerade an Musik. So ist es auch bei uns Menschen: Ist Gefahr im Anzuge, singen selbst unsere besten Sänger nicht, sondern schreien oder schweigen (außer in der Oper). Im Übrigen sind die Warn- und Alarm-, die Erregungs- und Bettelrufe der Vögel, die vor allem dem unmittelbaren Überleben dienen, so einfach strukturiert, dass sie auch von anderen Vogelarten verstanden werden können. Und müssen. Kein Vogel lebt für sich allein!
Oft zu hören sind zum Beispiel die Warnrufe unserer Singvögel – hier habe ich unterschiedliche Warn-, Erregungs- und Kontaktrufe hintereinander geschnitten:
Die Bettelrufe von Jungvögeln gehören ebenfalls ins Repertoire angeborener Verhaltensweisen, die dem unmittelbaren Überleben dienen:
Auch viele andere Vogelrufe, deren Botschaft dennoch nicht leicht zu entschlüsseln ist, sind eher einfach strukturiert: z.B. Kontaktrufe und sog. Stimmfühlungslaute. Schon der Embryo im Ei kann solche Laute erzeugen und damit Signale an seine Umwelt abgeben. Bei Nestflüchtern, wie z.B. der Wachtel, dienen diese Rufe einer gemeinschaftlichen Abstimmung, die den synchronen Schlupf aller Küken bewirkt! Auch für den Zusammenhalt von Vogelschwärmen sind solche Kontaktrufe wichtig. Für ziehende Kraniche und Graugänse ebenso wie für Kleinvogeltrupps – Finken und Bluthänflinge zum Beispiel.
Darüber hinaus gibt es viele spontane Lebensäußerungen, die Empfindungen des Augenblicks widerspiegeln. Denn mehr als andere Lebewesen erweitern Vögel mit ihren Stimmen die Grenzen ihres Körper sozusagen in den Klangraum hinein, den sie ganz auszufüllen trachten – und nebenbei bemerkt: inzwischen weiß man, dass die großen Solisten unter den Singvögeln insbesondere die Grenzen ihrer Klangräume, und nicht die ihrer Nahrungsreviere, mit ihren Gesängen markieren und verteidigen. Dass sie also Frieden schaffen ohne Waffen und so die Predigt des Francesco auf fruchtbaren Boden gefallen ist!
Das klingt nun schrill oder, was die Gimpelrufe betrifft, nur mäßig melodisch – wenn auch die Rufe lebendiger Vögel nie einer wilden Brillanz entbehren.
Solche Duette sind deutlich aufeinander abgestimmte Klangereignisse. Bei den Kranichen wird ein bestimmter Trompetenklang-Akkord immer wieder zweistimmig intoniert; auch die Kiebitze singen, ab 00:22, fast synchron: das erfüllt schon mehr als eine Bedingung für Musik.
Die Rufe von neun Rostgänsen, die sich eines schönen Maientages nebeneinander auf einem Kiesgrubendamm aufbauten, gehören zu meinen Lieblingschören. Sie klingen eher originell als melodiös und werden – spontan – gemeinsam organisiert und rhythmisiert und erfüllen damit ebenfalls wichtige Voraussetzungen von Musik.
Alle drei Arten gehören nicht zu den Singvögeln – und sie singen doch, nicht nur im ornithologischen Sinn!!
Der Drosselrohrsänger gehört hingegen zu den Sperlings- und Singvögeln. Sein originelles Lied ist hart im Klang, muss es sein, um das Rauschen großer Schilfwälder zu übertönen, in denen er vorrangig brütet und singt. Sein Gesang ist in Strophen gegliedert, die vielfältig variiert werden, und deutlich rhythmisiert.
Die Frage, ob es sich bei diesen Tonbeispielen um Musik handelt, würde ich eindeutig mit ja beantworten. Natürlich ist es kein Jazz, kein Pop, keine E-Musik. Keine kulturelle, wohl aber eine evolutionäre Hochleistung: VogelMusik eben. Nach meiner Wahrnehmung beginnt Musik, wenn zu der bloßen Lautäußerung Rhythmus, Melodie und Komposition hinzukommen. Schlicht gesagt ist Musik also in der Zeit- und Tonfolge organisierter Klang. Und Melodie ist ja erst einmal nichts anderes als eine gestaltete Folge von Klängen. Das alles wird uns von den Vögeln reichlich geboten.
Und darüber hinaus, um es mal überspitzt zu sagen, ist wie in der Menschenmusik so auch in der Musik der Vögel der Klang an sich die erste und eigentliche Botschaft. Alles andere ist zusätzliche Sinngebung, Zwecksetzung, Interpretation, Empfindung, Gefühl der Zuhörenden. Aber es gibt bestimmte Hörgewohnheiten und Musiktraditionen, durch die manche Klänge aus der Vogelwelt den Menschen ferner oder näher rücken. Eine gewisse Fremdartigkeit bleib jedoch immer bestehen, schon deshalb, weil Vögel buchstäblich in einer höheren Liga spielen – viele ihrer Gesänge liegen im Schnitt um 4000 Hz und höher, reichen mit Obertönen sogar bis 14 000 Hz, während die menschliche Stimme in der Regel weit unter 4000 Hz liegt. Die strahlende Tenorstimme, der sog.Sängerformant, liegt um 3000 Hz und muss in jahrelangen Übungen erworben werden.
Kuckuck und Barock
Beim Kuckucksruf sind sich alle einig: er gilt als einfaches, aber wirksames Gesangselement und ist als harmonischer Akkord – meist aus einer kleinen, manchmal aber auch einer großen Terz oder einer Quarte bestehend – in der Barockmusikein sehr beliebtes Motiv. Das bekannte Volks- und Kinderlied Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald ist so einprägsam, weil die sog. Kuckucksterz darin achtmal in verschiedenen Tonlagen angestimmt wird! Zur Veranschaulichung hier ein Beispiel für die Verwendung der Kuckucksterz in der Barockmusik: DorotheeMields singt The Cuckoo von Thomas Arne (Ausschnitt), gefolgt von einem typischen Kuckucksgesang aus unserem Hagenheimer Wald:
Bei diesem Barockstück steht der Wiedererkennungswert des Vogelrufs im Mittelpunkt, denn der war und ist ja in der Gunst des Publikums ein nicht zu unterschätzender Faktor. Aber selbst hier geht es nicht eigentlich nur darum, die Stimme des Vogels genau nachzuahmen, wie das die alten Vogelflöten viel besser konnten, sondern hier wird die menschliche Untreue an Hand des Kuckucks thematisiert und sogar mit einem eindeutigen Liedtext begleitet. Hierzu zwei kleine historische Anmerkungen: In der geistlichen Musik des Mittelalters galt die Kuckucksterz als sexuell aufgeladen und war deshalb verboten. Und im barocken England galt die Flöte als rein männliches Instrument, deren Spiel für Frauen als obszön verpönt war.
In der Natur übrigens überschlagen sich die Kuckucksstimmen oft mehrfach, und das Weibchen steigert sich in einen schönen Triller hinein – beide singen auch gern im Duett:
DasTrillernist ein sehr beliebtes Motiv in der Vogelmusik und kann vorzüglich mit der Flöte nachgeahmt und ausgemalt werden So ist es kein Wunder, dass eins der bekanntesten Vogelmusikstücke aus dem Barock dem Stieglitz bzw. Distelfink gewidmet ist. Er war ja in Italien mit seinen prachtvoll bunten Farben einer der populärsten Vögel, und er war auch in Gemälden der am häufigsten abgebildete Vogel. Was er mit qualvoller Gefangenschaft bezahlen musste.
Auch Vivaldimalt in seinem berühmten „Il Gardellino“ mit Flötentrillern, Tonwiederholungen und rasanten Passagen den Eindruck eines quirligen bunten Vogels mit lebhaftem hohem Trillergesang. Im Folgenden daraus ein kleiner Ausschnitt, den ich zum Vergleich und als Kontrast in eine Originalaufnahme aus unserem Dorf eingefügt habe. Also Vivaldis barocker Distelfinktriller, gespielt von dem wunderbaren Flötisten Stefan Temmingh, versusStieglitz live aus Hagenheim auf Leitungsdraht beim Dorfspielplatz:
Es trillert in der Menschen- wie in der Vogelmusik also allenthalben! Hier noch einmal kurz das Trillerduett eines Zwergtaucherpärchens in dem überfluteten Wiesenareal eines kleinen Krötenweihers bei Thaining, in dem die beiden ihre Jungen großgezogen haben – eine ganz besondere Wassermusik:
In der Vogelwelt werden auf diese und ähnliche Weise viele Duette und Konzerte gesungen. Ganz speziell in den Weiten der Regenwälder dienen Duette dem Zusammenhalt der Pärchen: In der folgenden Tonaufname duettiert ein tropisches Zaunkönigspaar, das ich auf einer Finca in Costa Rica angetroffen habe. Sie besuchten dort regelmäßig eine Kokospalme und labten sich zusammen mit anderen Vögeln und Eichhörnchen an einer aufgepickten oder aufgeplatzten Kokosnuss.
Amsel und Orpheuszaunkönig
Zu den ganz großen Sängern und Komponisten der mitteleuropäischen Vogelwelt, die vielen Menschen besonders angenehm in den Ohren klingen, gehören als allbekannte Solosänger die Amseln. Zu fragen ist nur: Ist es ein Wunder oder eher folgerichtig, dass dieser einst so scheue Waldbewohner so nahe an den Menschen heranrücken konnte?
Hier der Beginn eines mit seinem Hall besonders schönen Frühkonzerts aus meiner Heimatstadt, wo hinter langen Häuserreihen viele Gärten zusammen stoßen.
Vögel singen am Besten und Einfallsfallsreichsten, wenn sie, angeregt durch die Lieder anderer Artgenossen um ihr Klangrevier herum, in entspannter Atmosphäre singen können, ohne die Aufregungen der Revierverteidigung. In der folgenden Aufnahme geht derselbe Amselhahn wie oben an einem ganz frühen Morgen Ende Juni, nachdem er sich länger als sieben Minuten lang warm gesungen hat, plötzlich zu einem Subsong über: das klingt mit seinen Schnörkeln und Kicksern nach Entspannung und lustvoll-spielerischer Übung, gesungen nur für sich allein. Und das war es wohl auch.
Interessant ist, dass sich gar nicht besonders viele, extra der Amsel gewidmeten Musikstücke wie Il Gardellino von Vivaldi finden lassen, abgesehen von Messiaens Le Merle noire. Denn die Amselmotive und -lieder, die unsere Schwarzdrosseln jedes Jahr neu erfinden, sind ja längst eingegangen in die klassiche Musik. So ist es kein Wunder, wenn Menschen immer wieder aus Amselgesängen klassische Motive, insbesondere von Mozart und Beethoven, heraushören und sich die die Frage stellen: haben diese Vögel die Klassiker gehört oder die Klassiker die Vögel? Wenn man weiß, dass Vögel ihre Gesänge schon seit mindestens 60 Millionen Jahren entwickelt haben, liegt die Antwort wohl klar auf der Hand!
Bei der Verfertigung und Vervollkommnung des folgenden schönen Amsel-Motivs durfte ich einer Amsel um unser Haus herum ein ganzes Frühjahr lang zuhören – ein ganz besonderes Erlebnis.
Und hier noch ein besonderes Amselkunststückchen aus Potsdam: eine Amsel singt Töne einer Tonleiter – einer vogelspezifischen „schwarzgedrosselten“ Tonleiter, wie ein Freund das genannt hat:
Bei solchen Sängern kann man nur sagen: wenn es allein um die Funktion der Revierverteidigung und Weibchenanlockung ginge, dann wären Vögel mit solchen Fähigkeiten schlicht überqualifiziert. Und im Grunde steht es inzwischen außer Zweifel, dass bestimmte biologische Funktionen der Vogelgesänge nicht ausschließen, dass Vögel darüber hinaus gern und lustvoll singen. Um es mit dem Musiker David Rothenberg zu sagen: Warum singen Vögel? Aus den gleichen Gründen wie wir – weil wir es können. Weil wir gern ins Reich der Töne eintauchen … Die Form ist viel bleibender als die Funktion. Keine Erklärung wird je das unendliche Bedürfnis zu singen auslöschen.
Nachtigall
Ein Vogel, der in Europa die Musiker oft inspiriert hat und bis in die Moderne hinein inspiriert, ist und bleibt die Nachtigall. Sie gilt als Singvogel par excellence und verkörpert in unserer Kultur neben der Schönheit auch die Reinheit der Liebe. Die Nachtigall verfügt nicht nur über viele Motive, sondern gehört auch zu den wenigen Vögeln, die reine Töne (also Töne ohne Obertöne) singen können. Vor allem ist sie aber ein ein großer Vortragskünstler. Hier eine ganz kurze Barockeinspielung:
Und hier ein kleiner Ausschnitt aus einer nächtlichen Originalaufnahme vom Wannsee, Berlin. Ursprünglich ist die Nachtigall ein Vogel der Auwälder, inzwischen aber in Berlin in großer Zahl präsent. Im Bayrischen Voralpenland glänzt sie leider zumeist durch Abwesenheit.
Ältere Nachtigallen beherrschen bis zu 200 verschiedeneStrophentypen – flötend und trillernd, schmetternd, gurgelnd, schluchzend (dunkel: tuk tuk tuk tuk) – charakteristisch ist eine Reihung aus gedehnten reintonigen Flötenenelemten (dü dü dü dü …), die crescendoartig ansteigt.
Junge Nachtigallen beginnen schon während ihrer ersten Afrikareise etwa ab November sich in Klänge einzuüben, die sie als Küken im Nest gehört haben. Sie singen dann viele kleine Elemente – Subsongs – die sie im Laufe des Winters Stück für Stück zusammensetzen und strukturieren. (Untersuchungen der Ornithologin Prof. Silke Kipper, FU Berlin, seit 2015 TU München).
Als Beispiel für die Integration der Nachtigallengesänge in die moderne Musik bringe ich hier eine alle technischen Mittel nutzende kurze Einspielung aus „Nighthingale“ des Italieners David Monacchi. Er ist Professor für Elektronikmusik in Foggia, Italien, nimmt die Vogelstimmen, die ihn inspirieren und die er in seine Musik einfügt, selber auf und konzertiert öfter auch zusammen mit Bernie Krause. Er nennt seine Musik Eco-acoustic compositions.
Monacchi hat hier seine Nachtigallenaufnahme zunächst nur in sein Musikstück gleichen Namens integriert, dann jedoch verlangsamt, wodurch sie gleichzeitig in in eine tiefere Frequenz rutscht, und das Ganze mit Geräuschen und Instrumentalmusik, zumeist elektronisch erzeugt, sozusagen verwirbelt. Wenn man Vogelstimmenaufnahmen verlangsamt, hört man sehr viele Einzelheiten heraus, die dem Auflösungsvermögen des menschlichen Ohrs sonst entgehen, uns also gewöhnlich verborgen bleiben – denn Vögel können nicht nur schneller singen als Menschen, also mehr unterscheidbare Töne und Klänge pro Zeiteinheit von sich geben, sondern dementsprechend auch differenzierter hören. Mit anderen Worten: Vögel sind nicht nur mit Flügeln und Schnabel, sondern auch mit ihren Ohren sehr viel flinker als wir.
Hier noch einmal ein Ausschnitt der Wannsee-Aufnahme mit dreifach vermindertem Tempo: dadbei rutschen die Frequenzen automatisch in tiefere Tonlagen – und da haben wir den Monacchi-Effekt!
Das nutzt natürlich auch die moderne Ornithologie, um Einzelheiten des Vogelgesangs zu erforschen. Sie stellt Vogelgesänge längst nicht mehr mit Noten oder Wortumschreibungen, sondern mit Sonagrammen dar und macht so Einzelheiten nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar.
Sonagramme (Spektrogramme) sind Diagramme, aus denen man die Tonhöhe (linke Leiste, kHz), den zeitlichen Ablauf (obere Leiste, sec) und die relative Lautstärke (Schwärzungs- bzw. Rötungsgrad) eines Schallereignisses ablesen kann..
Rautavaara und die Musik der nordischen Vögel
Ein bei uns weitgehend unbekannter Musiker, der aber in seiner Heimat Finnland zu den berühmtesten gehört, ist Einojuhani Rautavaara (1928-2016), der sich u.a. mit Zwölftonmusik beschäftigt hat. Er war ein großer experimenteller Musiker und ein ebenso großer Vogelliebhaber und -kenner und hat im hohen Norden ebenfalls eigenhändig Tonaufnahmen gemacht. Sein berühmtes Konzert für Orchester und Bandaufnahmen heißt „Cantus arcticus“. Fester Bestandteil der Komposition ist ein Tonträger mit Rautavaaras Tonaufnahmem von arktischen Vögeln, das immer mitlaufen muss, wenn ein Orchester dieses Stück spielt. Hier ein Ausschnitt:
Rautavaara hat seine Komposition nicht nur mit Tonbandaufnahmen von Vogelstimmen unterlegt, sondern seine gesamte Komposition rankt sich um den Klangcharakter der nordischen Vogelstimmen und ist ganz darauf und auf die umgebende Landschaft abgestimmt – man hört einfach, das kann nicht am Gardasee gewesen sein. Eine Assimilierung vom Feinsten!
Der Star – ein Musiker der Moderne – Vögel als moderne Musiker
Ich erinnere noch einmal daran, dass Musik aus organisierten Klängen besteht und dass es sich seit der Moderne (einschließlich des Jazz) dabei nicht nur um harmonische Klänge und Akkorde handelt, wie sie die Entwicklung der abendländisch-europäischen Musik bestimmt haben, sondern dass harmonische Klänge mit für unsere Ohren ungewohnten oder disharmonischen Klänge und Geräuschen vielfach gemischt werden.
Hierin ist der Star, der auch schon Mozart zu ungewöhnlichen Klängen inspirierte, ein Star unter den modernen Musikern wie unter den virtuos singenden Vögeln – er mixt Klänge und Geräusche so souverän und singt so komplex, dass die Strukturen seines Gesanges auch von der Forschung (trotz all der zur Verfügung stehenden technischen Mittel) noch nicht entschlüsselt werden konnten. Sein meist vierteiliger Gesang besteht aus wechselnden Imitationen, Variationen, Geräuschen, Pfiffen und Klängen und folgt offenbar einer eigenen Starengrammatik. Und natürlich kann er auch zweistimmig singen, zweistimmig zugleich aus ein- und derselben „Kehle“, der Syrinx, heraus. Ich habe ihm im Booklet zu meiner zweiten CD eine extra Seite gewidmet.
2018 ist der Star Vogel des Jahres geworden. Denn leider sind auch seine Zahlen im Sinkflug begriffen, obwohl es in Bayern noch zwischen 0,5 und. 1,2 Millionen Brutpaare gibt. Unser kleines Dorf Hagenheim ist derzeit noch ein regelrechtes Starendorf, wo die Starenkästen jedes Jahr mit mehr als 50 Brutpaaren besetzt sind.
Vögel sind also hier und da wohl klassische,in erster Linie aber sehr moderne Musiker, und zwar seit Tausenden von Jahren. Was eine ziemliche Untertreibung ist! Der Beginn der Entwicklung der Vogelgesänge wird von der Wissenschaft auf mindestens 60 Millionen Jahre zurückdatiert – mit Sicherheit haben sie schon lange vor dem Auftritt des Menschen auf diesem Globus gesungen! Und sie beherrschen alle musikalischen „Tricks“! Zunächst einmal Geräusche und Instrumentallaute, die sie mit ihren Stimmlautenen mischen:
Hinzu kommt die hohe Kunst der Viertel- und Dritteltöne, Glissandi, Koloraturen, kollektiven und individuellen Improvisationen, Mischungen von Klangfarben und Nachhalleffekte, Intonation und Transposition, und, dank ihres besonderen doppelten Stimmorgans, der Syrinx, Zweistimmigkeit. Und Imitation und Assimilation artfremder Vogelstimmen. Dazu einer meiner Lieblingsvögel aus unserer Landschaft, der virtuose Sumpfrohrsänger:
Und hier eine exotischer Sopransänger aus dem malaysischen Regenwald, der uns eines frühen Morgens kurz nach Aufbruch zu einer langen Exkursion mit einer meisterhaften Koloratur überraschte (Gesamtaufname bei x.-c.):
Olivier Messiaen und die Freiheit des Vogelliedes
Raffinierte technische Möglichkeiten zum Festhalten der Vogelstimmen hatte Olivier Messiaen (1908 – 1992), der große französische Musiker, noch nicht. Er hatte ein absolutes Gehör mit einem ganz außerordentlichen Auflösungsvermögen und konnte ca. 700 Vogelrufe und -gesänge nach ihrer Artzugehörigkeit unterscheiden. Wenn er die französischen Landstriche durchstreifte (Camargue, Bretagne, Alpen, Pyrenäen, Champagne, Auvergne, Charente), transkribierte er die Vogellieder mit Hilfe einer speziellen, durch Zeichen erweiterten Notenschrift sehr genau. Erst in seinen späten Jahren standen ihm Tonaufnahmegeräte zur Verfügung.
Er war ein Pionier der zeitgenössischen Avantgarde (Zwölftonmusik, serielle Musik) – und nach eigener Aussage erschien ihm nichts avantgardistischer als der Gesang der Vögel und nichts bewunderswerter als die souveräne Freiheit des Vogelliedes.
Wenn man seine berühmte Klavierkomposition Catalogue d’Oiseau anhört, in der er Vögel der französischen Landschaften porträtiert hat, so ist es auch für Ornithologen erst einmal schwer, arttypische Vogelrufe oder -gesänge zu erkennen. Denn da wird nichts einfach und offenkundig kopiert, imitiert oder assimiliert. Messiaen war nämlich darum bemüht, in seiner Musik die Vogelstimmen genauer, als es die Wissenschaft kann, darzustellen, weil er sie als das wahre, verlorene Gesicht der Musik verstand, das es für spätere Zeiten zu retten gilt. Er transkribierte mit der jeweiligen Stimme eines Vogels auch das Umfeld – die Laute der anderen Vögel, den gesamten Klang- und Lichtraum, in dem er ihn erlebte, das ganze Habitat mit seinen vielfältigen Stimm- und Farbverflechtungen.
Ich habe im Folgenden die einzelnen Vogeldarstellungen Messiaens aus seinem Pirolporträt Le Loriot im Catalogue d‘ Oiseaux hintereinander geschnitten:
Natürlich ist es viel leichter, am Klavier das Hämmern des Zilpzalps als die Flötentöne eines Pirols nachzuspielen und an die Möglichkeiten dieses Instruments anzupassen. So musste Messiaen die hellen und schnellen Stimmen der Vögel für seine Klavierkomposition hinunteroktavieren und verlangsamen. Jetzt ist es vielleicht leichter, dem kleinen Ausschnitt von Le Loriot aus dem Catalogue zu folgen, den ich mit einer originalen Pirolaufnahme vom Ammersee Süd verbunden habe. Es ist erstaunlich, wie gut das zusammenpasst!
Am Anfang ist kurz, gleich im Auftakt, die schwere Erdgebundenheit der Bäume zu hören und im Kontrast dazu das Goldgelb des Pirols, das zwischen den Blättern leuchtet und den Klang seiner Stimme und die der ringsum singenden Vögel färbt …
Messiaen hat offenbar, indem er den Vögeln zuhörte, daraus einen Großteil seiner eigenen Musik entwickelt: Melodien, Rhythmen, Harmonien, Klangfarben und Bauformen, Tempi und Dynamik … und so die Kompositionsregeln der Musik erweitert! Denn wenn Komponisten sich von Vogelstimmen inspirieren lasssen, haben sie im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: entweder sie passen die Vogellieder, insbesonde ihre Melodien, in die musikalische Sprache ihrer Zeit ein – sh. Barock – oder sie erweitern durch genaues Anhören der Naturklänge die Regeln und Möglichkeiten ihrer Musik.
David Rothenberg, Berliner Nachtigallen und Leierschwänze
Was man nie aus den Augen bzw. Ohren verlieren sollte: Vögel richten ihre Gesänge nicht an uns, sondern an andere Vögel, an die für uns so andersartige Vogelgemeinschaft, in der sie leben. Das macht ja die Vogelmusik für uns so faszinierend und verlockend exotisch zugleich. Womit ich zu einem besonders faszinierenden Musiker komme, David Rothenberg aus den USA, Jazzmusiker, Komponist, Philosophieprofessor, Vogelliebhaber …, der diese Grenze überschreitet, indem er mit wild lebenden Vögeln zusammen musiziert. Sowohl mit Nachtigallen in Berlin („jetzt ist diese Nachtigall für die Wissenschaft verdorben“, sagte eine Wissenschaftlerin, die bei solch einem crossover-Konzert dabei war) als auch mit wild lebenden Leierschwänzen in Australien. Wo auch der 80jährige Messiaen, geführt von demselben australischen Ornithologen wie später Rothenberg, Syd Curtis, 1988 einen Leierschwanz gehört und mit Hilfe seiner Notenschrift transkribiert hatte.
Leierschwänze brauchen fünf Jahre, bis sie geschlechtsreif sind und ihre Gesänge – klare Kompositionen mit vielen Imitationen der umgebenden Vögel – vervollkommnet haben. Dazu führen sie auf ihren Naturbühnen regelrechte Tanzrituale auf. Sie wurden erst nach langen Diskussionen von den Wissenschaftlern den Singvögeln zugeordnet.
David Rothenberg schreibt: „Sie musizieren immer noch allen Ernstes mit Vögeln? fragen mich die Menschen. Und ich antworte ihnen, dass dies dies ernsthafteste, tiefstgehendste … Musik ist, die ich mir vorstellen kann, und dass ich vor allem deshalb mit Vögeln musiziere, um den bedeutendsten, zeitlosen Klängen des Lebens näher zu kommen. … Keine Antwort kann das Geschenk des Gesangs auslöschen, die schlichte Gabe von Mensch zu Tier und umgekehrt.“
Bücher, Musikquellen (kleine Auswahl)
lesen
H.-H. Bergmann, H.-W. Helb, Sabine Baumann: Die Stimmen der Vögel Europas. Mit CD. AULA-Verlag 2008
Csaba Bornemisca: Musik der Vögel. Braumüller Wien 1999
Silke Kipper:Die Nachtigall. Ein legendärer Vogel und sein Gesang. Insel Verlag 2022
Ambrose G.H. Pratt:Menura. Prächtiger Vogel Leierschwanz. Mit CD. Friedenauer Presse Berlin (dtsch. Übers.) 2011
Walter Streffer: Klangsphären. Motive der Autonomie im Gesang der Vögel. Verlag Freies Geistesleben 2009
Heinz Thiessen: Musik der Natur. Über den Gesang der Vögel. Angora Verlag 1978
Für viele Menschen ist das, was die Vögel von sich geben, Hintergrundgeräusch, im besten Fall Piepsen oder Zwitschern. Für die Vogelkundler rufen oder singen die Vögel, und ihr Gesang dient allein der Revierbehauptung und Weibchenanlockung.
Durch mein eigenes jahrelanges intensives Lauschen bin ich davon überzeugt, dass Vogelgesänge zwar a u c h diese Funktion haben – aber dafür allein würden schon ein paar Schreie, Krächzer, Piepser ausreichen – unterschieden durch Tonhöhe, Klangfarbe, Lautstärke, Länge. Und was immer wieder vergessen wird: auch viele Vogelweibchen können singen!
Schon Alwin Voigt schrieb in seinem Exkursionsbuch zum Studium der Vogelstimmen, einem Klassiker, 1894 zum ersten Mal erschienen und seitdem immer wieder neu aufgelegt (auch ich habe es noch als Schülerin mit mir herumgeschleppt): Der Vogel singt infolge geschlechtlicher Erregung, also am fleißigsten, wenn diese ihren höchsten Stand erreicht, zur Zeit der Fortpflanzung – das ist altbekannt. Indessen, wer genauer nachforscht erhält bald Belege genug, dass auch andere Anlässe einen Vogel zum Singen anregen können. … Paarungsrufe von Meisen und Kleibern kann man an jedem schönen Morgen mitten im Winter zu hören bekommen. Oder wer wollte von einer Sangesperiode der Sperlinge reden? Zwar macht sie die Härte des Winters etwas ruhiger, aber sobald ein milder Tag kommt, setzt das Schwatzen in den Morgen- und Abendstunden wieder kräftig ein, und wenn’s einem in der wärmenden Sonne recht behaglich wird, stammelt er auch ein Liedchen. …
Tatsache ist, dass große Sänger wie Drosselvögel, Stare, Grasmücken, Spötter Frühjahr für Frühjahr neue Motive entwickeln und weiter variieren, dass sie modifizieren, imitieren, komponieren. Dafür wachsen ihnen sogar neue graue Hirnzellen – für Zebrafinken ist das belegt.
Olivier Messiaen, ein exquisiter Vogelkenner, hat immer wieder betont, dass Vögel im Laufe der Evolution – seit etwa 30 Millionen Jahren, also lange bevor der Mensch die Weltbühne betrat – alle Kunstgriffe und -kniffe entwickelt haben, die auch unsere menschliche Musik kennzeichen: Phrasen, Vorschlag, Takt, Rhythmen, Tonarten, Modi, Viertel- und Dritteltöne, Accelerando, Ritardando, Crescendo, Glissandi, Triller, Koloraturen, Intonieren, Transponieren … Messiaen: Ich habe den Eindruck, dass die Vögel alles gefunden haben, sogar die Mischungen von Klangfarben, die man heute sucht, und Nachhalleffekte.
Dass Vögel so kunstvoll singen, mit diesem Drang, immer wieder Neues auszuprobieren und sich ins Vielfältige zu verzweigen, ist etwas, was die Wissenschaft nicht erklären kann. Ich bin davon überzeugt, dass Vogelgesänge in ihrer wilden Vielfalt und Ursprünglichkeit große Lobgesänge auf die Schöpfung sind. Schöpfungsklänge, könnte man sagen, die sich in jedem Moment neu erfinden. Wenn man ihnen wirklich zuhört, begreift man das schnell und wird davon ergriffen und fühlt sich zurück geführt zum Ursprung der Schöpfung. Am Anfang war das Wort, heißt es in der Bibel. Und das Wort war Klang, lässt sich nahtlos anschließen.
Jeder Vogel ist sein eigenes Leitmotiv, sagt Messiaen. Ein Vogel, und sei sein Laut noch so einfach, wiederholt sich nie. Genau das macht die Lebendigkeit und Faszination von Vogelgesängen aus.
Amsel & Co. im Innenohr
Wer Ohren hat zu hören, der höre! Ein Ratschlag, eine Weisheit, die längst ungehört verhallt ist. Obwohl Vögel nicht so sprechen, wie wir es verstehen, sind sie in der Lage, in komplexer Weise zu rufen, zu singen und zu musizieren und sich dabei sehr erfolgreich miteinander zu verständigen. Was wir davon mitbekommen, sind leider nur Bruchstücke – Getwitter eben in unseren menschlichen Ohren.
Zum Beispiel Amseln, die uns immer noch sehr nahe sind – diese schwarzen Drosseln, die aus der Schwärze der Wälder zu uns gekommen und in unseren Dörfern und Vorstädten, Park- und Gartenlandschaften heimisch geworden sind. Wo sie, seit 150 Jahren, ganz nahebei auf Dächern und Baumspitzen singen und konzertieren.
Eine Amsel singt morgens um 6:00 Uhr in den Weinbergen von Eppan
Weil sie scheinbar so alltäglich sind, wird meistens verkannt, dass sie noch viel kunstvoller und differenzierter singen, als ein aufmerksames menschliches Ohr es wahrzunehmen vermag. Denn obwohl unser Hörvermögen feiner gestuft und gestimmt ist als unser Sehvermögen, reicht es nicht an das Auflösungsvermögen der Vogelohren heran. Das Auge tastet Oberflächen ab, springt von Blatt zu Blatt und folgt der Bewegung des Vogelschnabels. Während das Ohr den Raum in sich einlässt, der von Klängen geformt und gestaltet wird. Das Auge fügt Licht und Schatten zu einem bewegten Bild zusammen – das Ohr holt Wind und Lied herein, so dass sie im Innenohr singen.
Vögel singen für andere Vögel! Dennoch können ihre Gesänge auch den Menschen „Ohrenlichter“aufstecken und belebend und beglückend sein. Wenn der Raumklang der Vogellaute erst einmal eingedrungen ist ins Ohr – und damit zwangsläufig auch unter die Haut – öffnet sich eine neue Welt. Eine Welt, die uns immer schon umgab, die wir nur vergessen haben, eine freigiebige Welt, die keinerlei Absichten verfolgt. Musik frei Haus, Garten, Spaziergang in unendlichen Klangvariationen, in denen das Leben vibriert, nicht das Rattern von Maschinen.
Der Nachtigall lauschen
Viele Vögel haben es in der Kunst der Komposition, Variation und Improvisation zu großer Meisterschaft gebracht, unsere heimischen Allerwelts-Amseln allen voran. Obwohl auch die Kohlmeise sich als ein großer Variationskünstler entpuppt. Wenn man ihr und ihren Vogelgenosssen nur lange genug zuhört und ihre Themenwechsel verfolgt, versteht man schnell, dass jeder Vogel sein eigenes Leitmotiv ist. Das gilt für die heimischen Nachtigallen, Sperlinge, Rotkehlchen und Rabenkrähen ebenso wie für die Schamadrosseln und Orpheuszaunkönige des tropischen Regenwaldes. Gar nicht zu reden von Spöttern wie dem Sumpfrohrsänger oder Staren, diesen Flötenmeistern und Bauchrednern, die im Frühjahr wahre Jamsessions zum Besten geben.
Fünf Stare konzertieren auf dem Dorfspielplatz um ihre Nistkästen herum. Ab 01:20 mischt eine Elster ihr raues Schackern dazwischen
Obwohl die Töne und Klänge, die Vögel hervorbringen können, an ein arteigenes Grundprogramm gebunden sind, kennzeichnet auch den scheinbar einfachsten Vogellaut stets das vibrierende Neuerfinden von Nuancen: das ist ja schon Thema und Leitmotiv in Hans Christian Andersens Kunstmärchen von der Nachtigall und dem Kaiser von China, der mit einem aufziehbaren mechanischen Vogel die lebendige Nachtigall vergrämt: … Aber die armen Fischer, welche die wirkliche Nachtigall gehört hatten, meinten: „Das klingt wohl ganz hübsch, es läßt sich auch eine Ähnlichkeit der Melodie nicht ableugnen, aber es fehlt doch etwas. Was es nur sein mag?“
Eine Nachtigall singt in einer Mittsommernacht am Berliner Wannsee (kleiner Ausschnitt)
Ja, was mag es sein, das Lebendige, das immer wieder neu klingt, trotz tausendfacher Wiederholungen, die, wenn man genauer lauscht, tausendfache Modifikationen sind? Niemand kann da eine eindeutige Antwort geben. Wer aber Ohren hat zu hören, der höre! Das Ergebnis wird erstaunlich sein.
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