Die Weihnachtsbotschaft der Vögel

„Die frohe Weihnachtsbotschaft der Vögel“ – Ensemble Kunterbunt, Loburg

Die Weihnachtsbotschaft der Vögel

Kurzvortrag anlässlich des El Cant d’Ocells-Konzerts „Lieb Nachtigall wach auf“ am 8. Dezember 2023

In zwei Wochen ist Wintersonnenwende, und dann feiern wir wieder mit Weihnachten die Geburt Jesu vor 2000 Jahren. Die Geburt Jesu in einem Land, das derzeit in Krieg, Elend und Blut versinkt, in dem so viele Kinder getötet worden sind und weiter getötet werden. Dennoch: Gerade jetzt, in dieser Zeit voller Unsicherheit, Angst und Gewalt sollten wir uns daran erinnern, dass Weihnachten eine Zeit des Wunders und der Hoffnung ist – oder zumindest sein sollte.
Wir feiern, wenn wir uns nicht vom Konsum ersticken lasssen, oder von Trauer, die Hoffnung darauf, dass es in dieser Welt Erlösung gibt. Wir feiern die Hoffnung auf das Ende der Dunkelheit und auf die Wiederkunft und Wiedererstarkung des Lichts. Mit anderen Worten: Wir feiern die Hoffnung auf ein Wunder.

Immer noch, auch in diesen zerstörerischen Zeiten, sind die Natur, und darin nicht zuletzt die Vögel im Grunde Wunder pur, wenn wir ihnen mit offenen Sinnen begegnen.
Vögel bewegen sich mit Leichtigkeit durch die Luft. Sie setzen sich auf irgendeinen Ast – manchmal punktgenau auf den, den sie ein halbes Jahr zuvor bei ihrem Start nach Afrika verlassen haben – und singen los, als wären sie in einem Konzertsaal. Sie sind frei und wild, wie es im Lied „Es saß ein klein wild Vögelein“ gerade besungen wurde, und sie brauchen keine mit Gold und Silber umwundenen Flügel, und Käfige schon gar nicht. Und die Menschen haben ihnen immer gern zugehört.

Eine Dorngrasmücke singt „on the top“ am Rande der Thaininger Kiesgrube

An Vögeln imponiert mir besonders, dass gerade die begabtesten unter ihnen, große Solosänger wie Amseln, Grasmücken, Rotkehlchen, Nachtigallen ihre Brutreviere kraft ihrer Gesänge abgrenzen. Auf diese Weise schaffen sie Klangreviere, die sie in der Regel gegenseitig respektieren, so dass sie darum gar nicht erst harte Auseinandersetzungen führen müssen.
Im Gegenteil: wenn zwei oder drei Sänger entspannt innerhalb ihrer jeweiligen Klangreviere singen, hören sie einander zu, regen sich gegenseitig an und konzertieren oft im Wechsel miteinander, gleichen ihre Motive sogar an.
Mit anderen Worte: Frieden schaffen ohne Waffen, dieser alte Slogan aus der Friedensbewegung, der heutzutage bei vielen Politikern gerdezu verpönt zu sein scheint – dieses Frieden schaffen ohne Waffen ist im Grunde ein Motto der Vögel und eine echte Weihnachtsbotschaft.

Vögel sind ja immer noch kleine, überaus flugfähige und hochmusikalische Dinos – Dinodiven sozusagen. Sie haben schon vor vielen Millionen von Jahren ihre Schnäbel gewetzt, lange vor unserer Zeit, und ihre Urmusik, ihre vielfältigen Laute und Weisen haben die Evolution der Menschheit von Anfang an begleitet.
Deshalb gehören Vögel, die Vielfalt ihrer Stimmen und die innere Stille, die sie verbreiten, unlösbar zu jenen grundlegenden Umweltbedingungen, die unser inneres Gleichgewicht stabilisieren.
Während Lärm und Kriegsgeschrei es nachhaltig zerstören. Dies, ebenso wie ein stummer Frühling, in dem sich kein Vogel mehr rührt, ist nicht nur für Vogelliebhaber eine erschreckende Vision!

Singendes Blaukehlchen, von Herbert Hendekes

Was hat Olivier Messiaen, der große Musiker und Vogelkenner des 20. Jahrhunderts, geschrieben: Was mich am meisten erneuert hat, ist, glaube ich, mein Umgang mit den Vögeln. Das hat viele Leute zum Lachen gebracht … Sie glauben, dass es „niedrige“ Tierarten sind … . Das ist vollkommen idiotisch. … Als ich mich mit den Vögeln befasste, habe ich begriffen, dass der Mensch so viele Dinge nicht erfunden hat, sondern dass so viele Dinge schon vorher um uns herum in der Natur existierten – nur hat man sie nie gehört.
Jeder Vogel ist ein lebendiges Leitmotiv, weil er seine eigene Ästhetik und sein eigenes Thema hat. … Ich habe den Eindruck, dass sie alles gefunden haben …, sogar die Mischungen von Klangfarben, die man heute sucht, und Nachhalleffekte.

Vögel haben ein absolutes Gehör. Sind fähig zu intonieren und zu transponieren. Sie können modifizieren, variieren und, wie unsere Amseln, in jeder Saison Neues erfinden und in ihr Repertoire einbauen. Das alles sind vokale Fähigkeiten, die hörbar weit über ihre Funktion, Brutreviere zu markieren und Weibchen anzulocken, hinausgehen. Ganz abgesehen davon, dass, wie man inzwischen weiß, viele Vogelweibchen singen, sogar zu den Jungen in ihren Eiern.
Für mich ganz persönlich ist gerade der Morgenchorus der Vögel im Frühling, der sogenannte Dawn Chorus, der lange vor Sonnenaufgang einsetzt, ein großartiger Schöpferlobgesang, der seine biologischen Funktionen weit übersteigt. Dies ist natürlich keine offizielle wissenschaftliche Verlautbarung!
Hören wir den Vögeln und ihren musikalischen Kunststücken doch einfach mal zu!

Nach einem Regenguss singt in unserem Dorf ein Star auf seinem Nistkasten
Helmeted Hornbill, der lachender Nashornvogel, fotografiert von Tim Laman , National Geographic 2018

Und zum Schluss noch mal das Rotkehlchen, das zu Anfang unseres Konzerts leise zum Lied vom bitteren Winter gesungen hat.
Vögel singen ja so schnell, dass wir das gar nicht alles erfassen können. Und das heißt, dass unsere einfallsreichen Vögel noch viel einfallsreicher, differenzierter und kunstvoller singen, als wir überhaupt im Stande sind zu hören.
Im letzten Jahr habe ich einen Musiker kennen gelernt, Johannes Quistorp aus Peißenberg, der auch ein großer Liebhaber der Vogelgesänge ist. Er arbeitet mit einer Software, einem Overtone Equalizer, der vor allem von Sängern und Sprachtherapeuten eingesetzt wird. Man kann damit durch Verlangsamung vor allem Obertöne analysieren.
Ich habe ihm die Rotkehlchenaufnahme geschickt, und er hat sie bis zu 16fach verlangsamt. Dabei werden die Klänge naturgemäß nach unten oktaviert.
Und nun hören Sie mal, was er bei der Verlangsamung von nur einer der Strophen entdeckt hat.

Weibchen oder Männchen? Die Frage muss, wie beim Star, offen bleiben, denn bei beiden Arten singen auch die Weibchen

siehe auch: https://youtu.be/ywxGWZ5jqq8

Melodie erkannt? Ja, die Natur ist ein Konzerthaus – wenn man so will: Gottes Konzerthaus!

Der Kuckuck und alle „Kehlchen“ sind zurück gekehrt

Der Kuckuck und alle „Kehlchen“ sind zurück gekehrt

20. April 2022

Im kleinen Feldgehölz, wo unter hohen Fichten, Eichen und Buchen schön blau gefärbte Eierschalen liegen, fast hühnereigroß, und wo unter der geschlossenen Decke der Baumwipfel eine eigenartig intime Atmosphäre herrscht, ist schon das seltsam klappernde Bettelgeschrei junger Graureiher zu hören. Es klingt ein wenig wie Storchengeklapper, besonders, wenn es an Lautstärke zunimmt, und wird doch nicht mechanisch, mit Schnäbeln, sondern vokal hervorgebracht.

♫ aus einem der Reiherhorste ertönt schon das klappernde Bettelgeschrei hungiger Graureiherküken ♫

Unter meinen Füßen welliges Gelände. Ich steige vorsichtig über Baumwurzeln und heruntergebrochene Äste, fahnde nach blauen Eierschalen, höre dem Sommergoldhähnchen zu, das verborgen da oben über mir singt. Ein leises Lied, ein hohes Lied, jedenfalls der Tonlage nach.

♫ leiser hochfrequenter Gesang eines Sommergoldhähnchens im „Graureiherwald“ ♫

Die kurzen Strophen beschleunigen sich zum Ende hin, steigen in der Tonhöhe leicht an und enden mit zwei, drei zarten Trillern. Im Hintergrund schackern am Anfang Wacholderdrosseln, sie haben hier eine kleine Brutkolonie. Ab 00:51 läutet eine Kohlmeise, ein Buntspecht klopft, ab 00:52 sind kurz die Flugrufe eines Graureihers zu hören

Er ist wieder zurück!

Ich nehme auf, versinke ins Hören – und fahre hoch. Da ist er, da ruft er zum ersten Mal, mischt seine Terz ins Frühlingsgeschehen: der Kuckuck ist wieder da!
Glücklich ist er über die Sahara gelangt, allein!, und jetzt, überpünktlich, zwei Tage vor dem traditionellen“Kuckuckstag“ – das ist nämlich der 15. April – in sein Sommerrevier zurück gekehrt. Aber er ruft nur einmal, ist offenbar weiter gestreunt.
Mit diesem Kuckucksruf, der den kommenden Hochfrühling ankündigt, geht die erste große Singestart- und Rückkehrwelle der Vögel zu Ende.
Denn auch alle „ … kehlchen“ haben sich singend zurück gemeldet. Ob blau, braun, rot oder schwarz, sie gehören sämtlich zur großen Familie der Fliegenschnäpper, diesen einfallsreichen Sängern und Insektenfängern, die den Drosseln nahe stehen.

Rotkehlchen

Als Erste hatten natürlich die Rotkehlchen ihren Auftritt. Vertraute Gestalten, die bei uns überwintern, meist verstärkt durch nordische Gäste, und als Herbst- und Wintersänger – und -sängerinnen! – bekannt sind.
Zur Zeit trällern sie aus voller Kehle.
Hier singt an einem frostigen Morgen vor Sonnenaufgang – ich habe minus 6°C notiert – ein Rotkehlchen seine besondere Liedversion. Diese Version gehört dem frühen Frühling an, mit langen Intervallen und ausgefallenen Motiven, bewegend und glasklar:

Rotkehlchemn, Dawn-Gesang
Glasklarer Gesang in der Morgendämmerung

ein Rotkehlchenlied in der Morgendämmerung, mit langen Intervallen und ausgefallenen Motiven

Und hier singt – obwohl ebenfalls an einem frostigen Morgen – eines im Vollgefühl des Frühlings, mit langen Trillern und triumphalen Kaskaden:

♫ ein Rotkehlchenlied mit langen Trillern und triumphalen Kaskaden ♫.

Schwarzkehlchen

Als Nächste setzten die Schwarzkehlchen ein. Sie sind keine Langstreckenzieher, sondern überwintern im Mittelmeerraum und kommen oft schon Mitte März zurück, um in ihre Brutreviere einzurücken.
Zum Beispiel in den Raistinger Wiesen.
Auch dies eine gezähmte Landschaft mit Weidezäunen und Pferdekoppeln und einem breiten Weg mittendurch. Doch mittendrin liegt ein kleines Wiesenbrüterschutzgebiet, in dem Schwarz- und Braunkehlchen, Wiesenpieper und Feldlerchen ihre Jungen großziehen.

Kurz nach Frühlingsbeginn, Ende März. Es ist sehr kühl, die Luft ist diesig, der Himmel trübe, als ich auf den kleinen Bach und die blattkahle Hecke zugehe, die das Schutzgebiet hier begrenzen.
Nichts los, denke ich. Aber dann, ein paar Schritte weiter, höre ich sie schon, und meine skeptische Anfangsenttäuschung schlägt in aufgeregte Freude um. Tatsächlich, sie sind nicht nur da, sondern trotz der Kälte in großer Singelaune: zwei Männchen sitzen in Busch und Baum, wechseln hierhin und dahin und scheinen einander zu antworten.

ein Schwarzkehlchen singt Ende März in den Raistinger Wiesen

Es kostet Zeit und viel Geduld, bis eines so günstig nahe kommt, dass ich den Gesang gut aufnehmen kann. Günstig heißt vor allem, dass ich das Mikro nicht in Richtung Straße richten muss – das Geräusch rollender Reifen ist trotz der Entfernung schon zu groß und würde alles verderben.
Ja, wie soll man dieses Lied beschreiben? Hoch angesetzt, etwas klirrend, nicht so einfallsreich wie das der Braunkehlchen, auf rührende Weise innig. Wie gut es in die halmenstarre, doch erwartungsvolle Dürre dieser Märzlandschaft passt!

Blaukehlchen

Ende März rückt auch die „nordische Nachtigall“ wieder in unsere Schilfgebiete ein. Einige haben im Mittelmeergebiet überwintert, andere in Afrika und dafür zweimal die Sahara überflogen.
Für mich – und für viele andere, wie ich bei meinen Vogelführungen erfahren habe – ist und bleibt der Anblick des Männchens mit seiner blitzblauen Brust ein spektakuläres Ereignis. Noch dazu, wenn es beim Singen seinen weißen „Stern“ demonstriert und ihn im Takt der Strophe kleiner und größer werden lässt!

ein langer Blaukehlchengesang von der Greunen Stee in Borkum

Blaukehlchen gelten zur Zeit als nicht gefährdet, denn als Anpassungskünstler haben sie sich neue Lebens- und Überlebensräume inmitten intensiver Landnutzung erschlossen: Baggerseen zum Beispiel, Schilfgräben, Raps- und Getreidefelder.
Dennoch sind sie nicht häufig zu sehen. Am Ammersee oder Zellsee, die zu ihren Brutarealen gehören, verlieren sich Gestalt und Gesang leicht in den Weiten der Schilfbestände.
Optimal ist dagegen ein Gang durchs Grabenstätter Moos, das dem Chiemsee vorgelagert ist. Hier sind die Blaubrüstchen Anfang April diesen Jahres vom Schnee überrascht worden. Und hier habe ich sie in den letzten Jahren Ende März/Anfang April oft mitten auf dem Weg gesehen und konnte mit Augen, Ohren und Mikro ganz aus der Nähe ihrem Fluggesang folgen:

ein Blaukehlchen-Fluggesang im Grabenstätter Moos am Chiemsee

Typisch ist der schleppende Beginn der Strophen, die allmählich beschleunigt werden, um in lange variable Passagen mit Imitationen, melodischen Klängen und scharfen Tönen einzumünden. Nachtigallenähnlich? Wohl kaum. Aber schön, auf Blaukehlchenart!

Braunkehlchen

Als Letzte sind nun die Braunkehlchen erschienen. Noch überwintern unsere Whinchats alle in Afrika und müssen Jahr für Jahr wie der Kuckuck die Sahara überqueren. Um in ein Brutgebiet zurück zu kommen, das ihnen mehr und mehr die Lebensgrundlage entzieht. Denn sie sind auf extensiv genutztes, mäßig feuchtes Grünland angewiesen. Und wo findet sich das noch? Folglich stehen sie, die ehemals so weit verbreiteten, bei uns auf der Roten Liste und sind vom Aussterben bedroht.

Aber noch lassen sie sich finden, die Hübschen mit dem langen Überaugenstreif. Sitzen in den Raistinger Wiesen wieder auf Weidezäunen oder an dünnen Halmen, singen und singen.
Ihr Lied ist sehr abwechslungsreich.
Vor Jahren hat sich ein Männchen zwei Wochen lang hier bei uns am Egelsee niedergelassen und täglich lang, intensiv und kunstvoll gesungen, auf einem Teppich von Feldgrillenzirpen – schöner, dachte ich, kann man nicht werben. Dennoch hat sich kein Weibchen eingestellt. Kein Braunkehlchenweibchen jedenfalls. Nur ich habe ihm zugehört, die Krähen vielleicht, die Lerchen, die Wiesen, der Wind. So ist es am Ende weiter gezogen.

♫ klangvolle, imitationsreiche Strophen eines einsamen Braunkehlchenmännchens am Egelsee ♫

Sehr deutlich sind zum Beispiel Hausrotschwanzimitationen (0:40.1:00, 1:27, 1:36, 1:53) und Zilpzalpimitationen (0:42, 0:47, 2:30) integriert. In 3:30 eine besonders klare Imitation des Buchfinkenschlags

Jetzt ruft zu all diesen Frühlingsliedern auch wieder der Kuckuck. Was ihm – denn die Weibchen können’s auch! – sogar ♫ im Duett ♫ gelingt.