Zwischen Blühfeld und Eistaucher – Impressionen im Frühwinter

Zwischen Blühfeld und Eistaucher – Impressionen im Frühwinter

Spot- und Hotlights im November

Anfang November. Die Kraniche ziehen wieder, hauptsächlich über und entlang unserer großer Wasseradern und Landmarken wie Lech und Ammersee. Unsere Dorfecke scheint der Kranichzug dieses Jahr leider nicht zu berühren. Obwohl ich nicht aufhöre, nach ihren trillernden Trompetenrufen zu horchen, mit denen sie Kontakt untereinander halten und auf die ich meine herbstliche Sehnsuchtsmelancholie projiziere.
Am Ammersee Südende, diesem Hotspot für Seltenheiten, tummeln sich derweil ein Seeadler, Zwergscharben – kleine Kormorane aus Südosteuropa – und, schon seit Juli, eine Pünktchenente.
Diese Ente, Anas hottentotta, in Afrika heimisch, ist offenbar ein Gefangenschaftsflüchtling. Hottentottenente hieß sie bei uns bis 2020. Inzwischen sind schon weit über 1000 deutsche Vogelnamen geändert worden, weil sie als diskriminierend, kolonial oder rassistisch empfunden wurden, darunter eben auch Pünktchenente oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, die Schwarzsteppenlerche, ehemals Mohrenlerche.

In unserer Feldmark geht es nicht ganz so spektakulär zu wie am Ammersee. Schon früh sind die Schwarzmilane zu ihrer weiten Reise nach Afrika aufgebrochen. Auch die Rotmilane haben sich weitgehend aus der Feldmark zurückgezogen, aber weit weg sind sie nicht, denn und hin und wieder lässt einer sich blicken. Auch die ♫ rollenden Rufe ziehender Feldlerchen ♫ sind noch zu hören, die liebe ich sehr. Wenn sie rasten, verbergen sie sich gern zwischen Furchen, Stoppeln und niedrigem Bewuchs.

Hochstiebender Stieglitzschwarm überm Blühfeld

Hoch aufragend dagegen erstreckt sich, zwischen Landstraße und Feldweg, ein großer Acker mit gemischter Zwischensaat, die noch blüht und fruchtet. Sie bildet einen Magnet für viele Kleinvögel, die darin untertauchen. Neben ein paar Buchfinken und einer kleinen Schar Goldammern sammeln sich hier vor allem an die hundert Stieglitze. In einer lockeren Vogelwolke, die unruhig über dem Blühfeld hin und her schwenkt, stieben sie ab und zu hoch, um schnell wieder darin zu verschwinden oder sich vorübergehend in einem kleinen Baum am Rande zu einem Gruppenchwatz zu sammeln.

♫ Stieglitze: lebhafte Gruppenkommunikation im November ♫

Über dem Blühfeld flügeln, wie ich überrascht feststelle, langsam und in niedrigem Suchflug zwei Kornweihen. Jedes Jahr kommen hier ein paar durch und halten nach vielversprechendenen Ackerstrukturen Ausschau …

Saatkrähen als jährliche Wintergäste in der Stoffener Feldmark

Vögel sind, wie ich immer wieder vom Neuem feststelle, ebenso findig wie ortstreu. Nicht nur kehren Zugvögel Jahr für Jahr an ihre alten Brutstätten zurück, sondern auch unsere Durchzugs- und Wintergäste suchen zuverlässig ihre gewohnten Rast- und Überwinterungsorte auf.
Das gilt für die Kornweihen ebenso wie für die Saatkrähen, die jährlich im Spätherbst in der Feldmark um Stoffen herum in großem Trupp erscheinen und sie mit ihren ♫ rauen Stimmen, tiefer als die der Rabenkrähen , erfüllen.
Das gilt für die nordischen Pfeifenten, die sich ab Frühwinter in zunehmender Zahl auf den Lechstauseen sammeln.
Und das gilt für die skurril-schönen Spießenten genauso wie für die Singschwäne, die sich, samt diesjährigen Jungen, pünktlich auf dem Lech bei Apfeldorf eingefunden haben. Was Überraschungen nicht ausschließt!

Singschwäne kommunizieren auch im Winter 2023/24 wieder lautstark auf dem Lech bei Apfeldorf

Ende November beginnt es zu schneien. Es schneit und schneit, bis Anfang Dezember Büsche und Bäume sich unter der Last dicker Schneeschichten biegen und der Verkehr auf Straßen, Schienen und Flugplätzen zuammenbricht. Nichts geht mehr. Ringsum wird es still.
Die Doppellinde gegenüber unserem Haus ist nun über und über mit Schnee bepackt und bis in die letzten dünnen Zweigspitzen von weißen Kristallen ummantelt. Dazwischen hier und da dickere Äste in kontrastierender Schwärze. Im Garten Spatzen, Amseln und Elstern – eine Welt in schwarz und weiß. Auch der heftige Wind klingt dunkel und bar jeder Farbe.
Beim Kolkrabenpaar, das vorüberfliegt, verliert sich jeder Schiller im Schneegestöber, und nur ihre Rufe machen sie uns kenntlich.

♫ Kolkrabenpaar, überfliegend ♫

Wenn der Futterplatz ungewöhlich lange leer bleibt, halten wir Ausschau nach dem Sperber. Meist ist es uns nicht möglich, ihn zu erspähen. Manchmal sehen wir ihn als geschwinden Schatten um die Ecke jagen. Manchmal erhaschen wir für Augenblicke das Männchen oder das Weibchen. Aber dann …
Dann sitzt er in der Quitte vor unserem Küchenfenster, lange, und wir können seine gluhen Augen bewundern.

Ein Sperber in der Apfelquitte

Die Raunächte nahen – die Dunkelheit nimmt zu

Im Dezember geht’s weiter mit Schneemassen, Tauwetter, Glatteis, Regen. Mit Hochwasser und Sturmböen, die mich fast vom Rad fegen, so dass ich das Umherfahren aufgebe. Aber: das Grundwasser ist endlich wieder aufgefüllt, wir hoffen auf eine Amphibienwanderzeit, in der kein Laichgewässer trocken gefallen ist – wie in den letzen Jahren oft passiert.

Zur Wintersonnenwende blakert und jault der Sturm ums Haus. Die Dunkelheit ist groß. Schluckt das Licht, kaum dass es in den Tag gesickert ist. Und die Kriege hören nicht auf, das unerbittliche Morden.
Die Zweige der Doppellinde schwanken pechschwarz im Gegenlicht. Jetzt sind die meisten Flügelblättchen, die zitternd bei jedem Luftzug bis zum Schneeeinbruch durchgehalten hatten, davongeflogen. Der Himmel hängt nicht wie sonst zwischen den Zweigen, in plastische Pastellfarben getaucht, sondern steht wie eine Wand dahinter, in kränklichem Weißlichgrau, das den Tag nicht erhellen kann.

Die Vögel verbergen sich. Das Rotkehlchen, über dessen Erscheinen wir uns so gefreut hatten, ist wieder verschwunden. Selbst unsere Sperlingsschar ist nicht mehr recht munter. Vor kurzem tauchten sie stundenlang gar nicht mehr auf, da muss der Sperber wieder zugeschlagen haben.
Die Natur – was genau ist das? – ist weder grausam, noch moralisch, noch romantisch. Sie i s t einfach. Geht ihren geheimnisvollen Gang. Mitleid ist eine menschliche Privatangelegenheit und spielt keine Rolle im Naturgeschehen. Grausamkeit dito. Licht und Dunkelheit durchdringen sich auf undurchschaubare Weise im Wurzelgrund unseres Daseins. In den sich das Leben unserer Bäume ganz konkret im Winter zurück zieht. Es bleibt der Sturm, das Aufgewühlte. Rüttelt an den Häusern. Heult.

Eistaucher und andere Dezemberüberraschungen

Am Ammersee ist mitten in Eis und Schnee, am 1. Dezember, ein seltener hochnordischer Vogel aufgetaucht, ein Eistaucher – heimisch in Taiga und Tundra von in Grönland, Island undNordamerika bis hoch hinauf in die Arktis. Er ist geblieben, wird mal hier, mal dort am Ammersee gesichtet, sogar am Dampfersteg Dießen.
Spektakulär ist seine Stimme, die allerdings nur zur Balzzeit einsame nordische Seen beschallt. Oder Kino- und Fernsehfilmen unterlegt wird, um, wo auch immer die Handlung spielt, das Gefühl von Wildnis beim Betrachter hervorzukitzeln.
Ich höre den Balzruf – von einem kanadischen Kollegen aus Xeno-Canto geborgt – nicht ohne dieses gewisse Schuddern auf meiner Haut, das mich in Wildnisse zurückbeamt, die ich einmal gekannt haben muss.

♫ Eistaucher, „Gesang“, Kenai Peninsula Borough, Alaska ♫

Ende Dezember hat sich der Sturm gelegt. Auf dem Lech bei Apfeldorf, Stauwurzel Ost, geht es gemächlicher, aber nicht weniger spektakulär zu. Zu den Singschwänen, jetzt über 100, hat sich ein bei uns so seltener Zwergschwan gesellt. Ich erwische ihn am Silvestermorgen sogar mit der Kamera, als er endlich seinen Kopf aus den Federn zieht: kleiner als die Singschwäne, aber ebenso schön, mit etwas weniger Gelb am Schnabel. Gewöhnlich überwintern Zwergschwäne in Nordwesteuropa zu Hunderten!

Zwischen den Schwänen tummelt sich, und das ist hier tief im südlichen Binnenland besonders sensationell, ein Säbelschnäbler. Einer dieser langbeinigen schwarz-weißen Watvögel, der von wer weiß wodurch und woher an den Lech verdriftet worden ist.

Ein Säbelschnäbler in Borkum am Rande des Watts, wo er in kleinen Kolonien brütet und seine ♫ Stimme hören lässt ♫

Wir haben diese Art vor allem in Borkum kennen gelernt. Wo er, oft im Gleichtakt mit anderen Artgenossen, seinen langen, dünnen Schnabel, leicht geöffnet, durch Schlick oder Niedrigwasser hin und her pendelt, um kleine Krebstiere und Insektenlarven zu fangen. Ein ganz unwahrscheinlicher Anblick. Vor dem Schilfgürtel ist das Wasser jedoch nicht seicht genug. Also hat sich der seltsame Vogel auf eine andere Fangmethode verlegt: er gründelt wie eine Ente, den Steiß steil in die Höhe gereckt! Deshalb ist er von Weitem lange Zeit nur als schwarz-weißes Federbündel auszumachen. Als er endlich einmal pausiert und auf dem Wasser herumschwimmt, kann ich seinen so kühn gebogenen Schnabel sehen … sh. auch ornitho vom 1. Januar.

Dann kommt Wind auf. Langsam sickert schon wieder die Dunkelheit in den Tag. Das Jahr geht unweigerlich zu Ende. Ich habe hin und her geschwankt, ob ich hier zum Schluss den Eistaucher heulen oder die Singschwäne noch einmal posaunen lasse und mich für die Singschwäne entschieden.

♫ Singschwäne auf dem Eis bei Dornstetten, Duette und Chorgesang, Neujahr 2017 ♫

Der große Neujahrsposaunenchor, vor Jahren am Lech bei Dornstetten aufgezeichnet, gehört für mich nach wie vor zu meinen schönsten Schwanenaufnahmen. Seine wild lebendige Kraft eignet sich ganz besonders, um das alte Jahr zu verabschieden und gebührend zu begrüßen, was da kommt: das ganz und gar unbekannte Neue Jahr.

Kiebitze auf Durchzug: ruhen, rasten, weiterziehen

Kiebitze auf Durchzug: ruhen, rasten, weiterziehen

ziehende Kiebitze über der Feldmark Schwifting

24. September 2022

Gestern war kalendarischer Herbstanfang, Tag- und Nachtgleiche, Äquinoktien. Langsam neigt sich das Jahr der Dunkelheit zu, obwohl noch Sommerzeit herrscht.
Noch ganz in den Sommer eingesunken, habe ich erst kürzlich erstaunt festgestellt, dass sich das Laub mancher Bäume zu verfärben beginnt: Wie stumpf nun das Blattgrün wird, von graubraunen Farbschlieren überkrochen, einzelne Blätter gilben schon. Erste Anzeichen, dass die Hexenküche der Sonne im Blattinnern eingestellt wird – die Sollbruchstellen, an denen die Blätter sich lösen werden, sind ja lange schon angelegt – und wie ein Reflex erwacht in mir die Sehnsucht nach dem fröhlich flatternden Hellgrün des Frühlingsaustriebs …

Aber nichts da. Als ich gestern früh aufs Rad stieg, um mich in der Schwiftinger Feldflur umzusehen, war ich ausgestattet mit warmem Anorak und Handschuhen (!) und der vagen Hoffnung, auf Kiebitze zu treffen, die hier jedes Jahr durchziehen.
Und ob ich sie nun finden werde oder nicht, und obwohl es vielerorts schon betrüblich vogelstill ist – schön ist es, durch die „Pampa“ zu fahren, die ganz gewöhnliche Feldflur, die in unserer Region noch recht kleinteilig strukturiert ist. Schön ist es, zu lauschen und zu spähen, während die Sonne langsam den Nebel wegleckt.

Immerhin jagen über den den Feldern noch Rauchschwalben, hier und da. Immerhin flügelt ein Rotmilan im Suchflug vorbei und singt eine Goldammer, von Licht umflossen.
Vor einem Stadel präsentiert sich – stumm – ein Hausrotschwanzpaar, von der Septembersonne so behutsam in seinen Farben gezeichnet, dass ich es fotografieren muss.
Die ♫ sonoren Rufe von Saatkrähen ♫ dringen herüber: die rücken hier jedes Jahr als Wintergäste ein. Nie allein. Immer in Gruppe. Ein Starenschwarm schwatzt im größten Straßenbaum am Platze, und zwei Kohlmeisen am Ortseingang wechseln ihre herbstlich unruhigen Rufe und Gesänge zwischen Maisfeld und Garten hin und her.

♫ Auf ungewöhliche Weise wechseln in der herbstlichen Sonne zwei Kohlmeisen kleine Gesangsstrophen und Rufe. Die Strophen am Ende überlappen sich ♫

Es wird warm. Längst habe ich Anorak und Handschuhe ausgezogen und umkreise mehrfach die Felder diesseits und jenseits der Straße. Dehne mich in der Sonne. Nichts Schöneres unter der Sonne … Unvermittelt stelle ich fest, dass mein Spektiv fehlt. Panik überflutet mich – was nun, wenn es nicht mehr zu finden ist? Ich sause die letzten Wege zurück – von Weitem sehe ich, da, wo ich Bachstelzen beobachtet habe, etwas einsam und verlassen in die Landschaft ragen. Tatsächlich, es ist das Spektiv! Erleichterte kehre ich zum zweiten Mal um fahre noch einmal die Straße längs: zum letzten Mal für heute, nehme ich mir vor.

Kaum steige ich vom Fahrrad, heben sie ab …
… und kommen zurück mit weichen Flügelschlägen ..

Und plötzlich sind sie da, die schönen Regenpfeifer mit Federholle. Hocken dicht hinter dem Traktor auf einem Feld, das gerade gepflügt wird, und lassen sich nicht stören. Aber kaum steige ich vom Fahrrad, heben sie ab. Kurven hin und her, rücken mit ihren runden Flügelschlägen mal näher heran, mal ferner, so gemächlich, dass ich ihnen mit der Kamera folgen kann. Verschwinden hinter einer Bodenwelle.

Wie schade! Ich bin erfreut und resigniert zugleich. Baue dennoch das Stativ für meinen Fotoapparat auf. Und während ich den Bussard drüben auf dem Leitungsmast, eine sehr dunkle Morphe, fotografiere, kommen sie zurück mit lautlos weichen Flügelschlägen zurück.
Der Bauer lärmt mit seinem Traktor auf dem Feld und ich stehe mitten auf dem Fahrradweg mit meinem Spektiv, weithin sichtbar. Aber sie beachten uns nicht.
Gehen geruhsam auf dem Grünland etwas weiter vorn nieder – und lassen sich von nun an nicht mehr stören. Rasten und putzen sich, picken nach Nahrung. Grün schillert ihr Gefieder in der Sonne, von warmen rotvioletten Farbreflexen überlaufen. Wie auf dem Zug üblich, plaudern sie leise miteinander in ihrer Vogelsprache, so leise, dass es vom Traktorlärm fast übertönt wird.
Das Glück der Geduld! Es sind genau dreißig Kiebitze, und jetzt kann ich sehen, vor allem an den kurzen Federhollen, wie viele Diesjährige darunter sind.
Wo kommen sie her? Wo fliegen sie hin?
Alte, uralte Fragen, die ohne Beringung oder Besenderung nicht zu beantworten sind. Auch wenn einige beringt sein sollten, auszuspähen ist das nicht, dafür versinken sie zu tief im grünen Krusch, die meisten sogar bis zum Bauchgefieder.

Vermutlich werden sie nicht besonders weit reisen. Je nach Wetterlage sind sie Stand- Strich- oder Zugvögel. Ihre Winterquartiere liegen in Frankreich, Spanien, Großbritannien, im März kommen sie in ihre Brutreviere zurück.
Wenn sie kommen! In unsere unmittelbare Umgebung, wo ich sie viele Jahre lang bei Balz und Brut beobachten konnte, kehren sie seit einigen Jahren nicht mehr zurück, und wir vermissen sie sehr.
Jedes Frühjahr zur Zeit der Amphibienwanderung schaukelten und gaukelten sie über den Feldern, vollführten akrobatische Flugmanöver, Sturzflüge inbegriffen, „sangen“ sogar im Duett.

♫ Kiebitzduett im März ♫

Kamen jedem Reviereindringling ganz nah, indem sie ihn von hinten angeflogen, um dicht an ihm vorbeizurauschen – kiebitzen heißt es deshalb, wenn man jemandem von hinten über die Schulter guckt, insbesondere beim Skat.

♫ Kiebitze, Alarmrufe ♫

Und während ich den schönen Durchzüglern zusehe, kitzelt die Sonne, die jetzt sommerlich wärmt, ihre unnachahmlichen Frühlingsstimmen und das Wummern und Wuchteln ihrer Flügel, mit dem die Männchen zur Balzzeit imponieren, wieder in mein Ohr.

Weitere Infos zu Kiebitzen und Kiebitzschutz:
LBV- Ratgeber Kiebitz und LBV Starnberg – Kiebitzporträt

Zwischen Frühlingsakkorden und Entenpiffen: ein Januartag

Zwischen Frühlingsakkorden und Entenpiffen: ein Januartag

18. Januar 2022

Noch ist nicht spürbar, dass die Tage länger, die Nächte kürzer werden. Noch haben Hochwinter und Corona das Land fest im Griff, und es ist jetzt besonders leicht, sich weggesperrt zu fühlen. Nicht so gern wie sonst gehe ich durch die Vogelstille in Wald und Feld, fürchte die Trübnis, die sie bei mir auslösen kann.

Vor knapp zweieinhalb Wochen, am letzten Tag des Jahres, sah ich Nachmittags am Lech hinter Pitzling einen Höckerschwan, der auf seltsam gekrümmte Weise, und lange, seinen Kopf unter Wasser hielt. Ich wartete auf sein Auftauchen, lenkte mehrmals das Fernglas zu ihm hin – bis ich realisierte, dass er tot sein musste. Das Foto zeigt ihn im Wasser liegen, in blendendem Weiß, die Wellen lösen seine Umrisse auf, er versinkt in der Spiegelung, die Spiegelung lässt ihn versinken. Um ihn herum das schimmernde Immergrün der Nadelbäume vom Hang, das sich im Wasser kräuselt. Als ich eine Stunde später von meiner Fahrt den Lech entlang zurückkomme, ist die Feuerwehr da, hat ihn herausgeholt. Der Schwan ist tot, das alte Jahr geht zu Ende, der tote Schwan wurde entsorgt …

Weiter präsent: Singschwäne – sie winken noch lange nicht zum Abschied

In Apfeldorf war schon am 2. Januar die Zahl der Singschwäne auf über hundert angestiegen. Ich horchte auf ihre immposanten Posaunenklänge und sah den schönen Spießenten beim Gründeln, den zwei Zwergsägerweibchen beim unentwegten Tauchen zu. Wunderte mich, dass schon so viele Beobachter am Ufer standen, offenbar wartend – bis mit schweren Flügeln ein Seeadler vorbeiflog, der sei, hieß es, schon seit ein paar Tagen da.

Inzwischen sind Ferien und Feste vorbei gerauscht und der Seeadler ist weiter geflogen. Die Spießenten sind geblieben, es dauert noch, bis die Zugunruhe sie packt. Ich hingegen bin unruhig. Ob es daran liegt, dass heute ein Vollmondtag ist? Das Wetter ist so milde, dass ich mit dem Fahhrad an den Lech fahren kann. Weg mit der Trübnis!

Eine Vollmond-Songline hinunter zum Lech

Verwundert und zunehmend vergnügt stelle ich unterwegs fest, dass die Vogelstille gebrochen ist. Für heute zumindest. Dem Mond sei Dank oder aus anderen Gründen. Alle Kohlmeisen längs meines Weges müssen heute ihre Frühlingsakkorde in die Luft setzen, fühlen sich offenbar gedrängt, in verschiedenen Tempi zu singen, zu wetzen, zu läuten. Jede hat ihren besonden sound, lustvoll und licht. Ich werde meinen Weg zum Lech buchstäblich hinunter geläutet. Spätestens jetzt glaube ich, dass die Tage nun doch länger werden.

Saatkrähe im Augustlaub mit hervorspießendem Schnabel

Vieles hält mich unterwegs auf. Gleich hinter Stoffen schwingt zwischen den Meisenlauten ein bunter Distelfink, ein ♫ Stieglitz ♫ erste Liedgirlanden in die Luft. Klingt heiter! Während ich ihm zuhöre, landet hinter mir ein Schwarm Saatkrähen. Wie jedes Winterhalbjahr ist hier ein kleiner Trupp von etwa dreißig Schwarzen zu Gast. Kräftige knochenweiße Schnäbel, nackt bis zum Grund. Die Stimmen rau und sonor, klingen tiefer als die der Rabenkrähen.

Sie lieben es, wie alle Vertreter der klugen geselligen Rabenvögel, gemeinsam umherzustreifen und dabei ausgiebig zu kommunizieren. Dazwischen die zierlichen Dohlen, grauköpfgig, blauäugig, die sich ihnen zugesellt haben.

Sonore Saatkrähenunterhaltung in der Feldmark, dazwischen Dohlen mit ihren hellen Kjaks und härter klingende Rufe von Rabenkrähen (00:15)

Glissandopfiffe, Grunzpfiffe und andere Auffälligkeiten

Über fünfzig Zwergtaucher in einer Fließstrecke am Lech

Dann bin ich unten am Lech, wo sich das Wintervolk tummelt.
Darunter, immer im Pulk, ein halbes Hundert Zwergtaucher, unverkennbar in ihrer rundlichen Hurtigkeit, die Hinterteile hell und hochgepuschelt.
Von ihnen, die im Frühjahr so spektakulär trillern können, ist heute nichts zu hören. Sie wimmeln tauchend umeinander, so schnell, dass es schwer fällt, sie genau zu zählen. Sind so winzig, wenn man sie von Weitem sieht, vom Wasser überglänzt!

Holt die Optik sie näher heran, sieht man deutlich ihre kleinen runden Bauschgestalten.
Rings um sie her das stimmfreudige Gewimmel der Größeren und Großen. Blässrallen, Enten, Gänse, Säger, Schwäne, Wintergäste auch sie hier im Eisvogelrevier.
Stets präsent sind die vielen Höckerschwäne, die sich über das Wasser verteilen, oft einzeln oder zu zweit. Stecken den Kopf unter Wasser, gründeln, gleiten gemächlich dahin.

Gemächlich wie ihr Dahingleiten ist auch ihre Kommunikation. Keine Posaunenklänge, sondern leisere Laute, schnarchelnd, fauchelnd, oft mit langen Pausen dazwischen. Ihre Fluggeräusche dagegen sind spektakulär, ganz im Gegensatz zu denen der Singschwäne, und werden als „singen“ bezeichnet.

Höckerschwankommunikation auf dem Lech bei Pitzling, Januar 2022

Ich finde es immer wieder spannend, dass die eine Schwanenart mit der Syrinx, die andere mit ihren Flügeln „singt“.

♫ Fünf Höckerschwäne mit „singendem“ Flugschall ♫

Pfeifenten im Pulk. Ganz links ein Weibchen

Faszinierend sind auch die Pfeifenten, kleine bunte Schwimmenten mit dem schönen lateinischen Namen Anas penelope, die fernab in Tundra und Taiga brüten und pünktlich jeden Herbst hier eintreffen. Sie werden wie die Spießenten und Singschwäne noch wochenlang bleiben. Oft tummeln sie sich im Pulk, der sich in Fließstrecken bildet, häufig um ein oder zwei Schwanenriesen herum.


Besonders bunt wirken die Männchen, denn sie sind auffällig gelbgestirnt. Zwischen Reiher- und Schnatterenten leuchten sie deutlich hervor. Was sie aber besonders auszeichnet, ist ihr Glissandopfiff.
Wer ihn zum ersten Mal hört, glaubt kaum, dass er von einer Ente herrührt!

Glissandopfiffe eines Pfeifentenmännchens

Ganz andere Pfiffe lassen die Erpel der Stock- und Schnatterenten in ihrer Balzzeit hören. Die beginnt schon Ende September mit der „Verlobungszeit“. Grunzpfiffe werden diese Laute genannt, weil auf den Pfiff ein tiefes Knurren folgt, das aber nur schwer zu hören ist.
Besonders laut und fiepend grunzpfeifen die Schnatterenten. Sie sind in Vielem den Stockenten ähnlich, doch ist ihr Aussehen unauffälliger als das der prachtvollen Stockentenmännchen. Ihr Pfiff dagegen ist umso schriller!

Schnatterenten mit Grunzpfiffen. Eine besonders lebhafte Tonaufnahme vom Balzbeginn Ende Herbst 2021 vom Zellsee. Im Hintergrund gleich nach Beginn (0:20) ein Grünschenkel. Nach 02:00 Graureiher-Flugrufe.

Hinter mir am Lechhang wird es laut, weil die Buntspechte sich wieder melden. Mit erregtem Trommeln und Keckern geben sie diesem Morgen den passenden Abschluss. Und der heißt, ins Hochdeutsche übersetzt: Auch wenn es demnächst wieder stürmt, friert und schneit: es wird doch Frühling werden.

♫ Buntspechte trommeln am Lech, 18. Januar 2022. Um 0:22 Kleiberrufe. Nach 01:00 singt eine Sumpfmeise ihre Klapperstrophen, ab 01:41 ein Gartenbaumläufer