Das Füllhorn wird ausgeschüttet: aktuelle Julinotizen

Das Füllhorn wird ausgeschüttet: aktuelle Julinotizen

Hitze, verschwimmende Linien, verschwommene Gedanken: sich durchdringende Spiegelungen am von Weiden umstandenen Egelsee

Jetzt beginnt die Noch-Zeit. Noch blühen Rosen in Garten und Feld. Noch brüten Vögel oder füttern ihre Brut. Noch singen die Zilpzalps ein paar ihrer Zipp-Zapp-Takte und die Mönchsgrasmücken ihre jubelnden Überschläge, noch orgeln hier und da Gartengrasmücken im Gebüsch. Doch der Frühling ist definitiv vorbei, schon läuft der Frühsommer aus, und wie jedes Jahr geht es mir viel zu schnell.
Hochsommer kommt. Hitze, verschwimmende Linien, verschwommene Gedanken. Das Füllhorn wird ausgeschüttet. Alles reift, strotzt, protzt. Nichts Strenges, Klares ist greifbar. Üppigkeit ist angesagt. Blühen, Auswachsen, Anschwellen von schnell vergänglichen Formen. Verschwenden.

10. Juli 2022

Seit über einer Woche ist auch die zweite Brut der Stare ausgeflogen. Jetzt streunt die Starenbande durch die Landschaft, hier bei uns sind sie kaum noch zu sehen. Keine langgezogenen Starenpfiffe mehr. Keine regelmäßige Amselflöte in aller Frühe. Auch wenn die Lerchen noch singend über mir hängen, wenn ich die Feldmark durchradle: mitten in der Fülle beginnt nun allmählich die stade Zeit der langsam verebbenden Vogelgesänge.
Weggewelkt ist das Lichtgelb des Klappertopfs, die Mohnkapseln haben ihre winzigen Samen verstreut. Aber noch blüht es üppig überall: Wegwarte, Malven, Disteln, Nacht- und Königskerzen, Kletten, Engelwurz, Lein.
In den Wildwiesen, und an Wegrändern, die nicht gemäht werden, steht das Mädesüß hoch und flaumflockig wie Wollgras, bildet seine bizarren Formen.

Auch die Lichtnelken werden gern von Zitronenfaltern angeflogen

Überm Gartenzaun hängen die Rosen, blüht die blaue Clematis. Die Taglilien öffnen sich nach und nach, die Himbeeren sind reif und die Kardenköpfe umkränzen sich mit kleinen lila Röhrenblüten, an denen zahlreiche Insekten saugen. Allen voran die leuchtend gelben Zitronenfaltermännchen, die ebenso gern Lichtnelken anfliegen. Ob Rosarot sie besonders anzieht?

Noch mit Flusen am Kopf: Junges Hausrotschwänzchen Anfang Juli

Amseln und Hausrotschwänze tun heimlich. Vorhin, als ich still saß, zeigte sich kurz hintereinander das Rotschwanzweibchen, knickste mit Futter im Schnabel, äugte, knickste, äugte – und verschwand am Nachbarhaus unterm Dachfirst, da, wo ein Balken vorspringt.

♫ Bettelrufe junger Hausrotschwanz-Nestlinge kurz vorm Flüggewerden ♫

Schon gerötet: Flügges Hausrotschwänzchen Anfang Juli

Die Häuser sind der Fels, auf dem sie jedes Jahr brüten, und überall im Dorf wird frühmorgens ihr raues Lied von den Dächern herunter geschmettert.

♫ … noch ist ihr raues Lied von den Dächern herunter zu hören ♫

Auch die Amseln versorgen jetzt ihre zweite Brut. Wieder schlüpfen Amselweibchen und -männchen mit dicken Würmern im Schnabel umher, aufmerksam nach allen Seiten äugend, verschwinden, wenn sie sich unbeobachtet glauben, ganz oben im dunklen Eck, wo unsere beiden Haushälften zusammenstoßen und die wuchernde Jungfernrebe ihrem Nest vollkommenen Sichtschutz bietet.

Die Greifvögel haben ebenfalls erfolgreich Junge großgezogen, allen voran und unüberhörbar die Mäusebussarde.

Vom Waldrand herüber schreien junge Mäusebussarde

Bis vor einigen Jahren brüteten hier im Forst, gleich um die Ecke, Habichte, die an und ab ein Huhn holten, und jedes Jahr mehrere Junge großzogen. Zu sehen waren die Ästlinge kaum, aber ihre Bettelrufe gellten aus verschiedenen Tiefen des Waldes und zitterten noch in den Blättern nach, wenn die nächste Bettelserie losbrach.

♫ … ihre Bettelrufe gellten aus verschiedenen Tiefen des Waldes ♫

Leider sind Habichtästlinge seit einigen Jahren nicht mehr zu hören. Wohl aber die Rufserien der Alten, sie müssen jetzt in einem anderen Teil des Waldes brüten.

11. Juli 2022

Die Staudenwicke hat sich hochgereckt, lehnt weit überm Zaun. Ihre rosaroten Blütenschlünde sind bei Insekten sehr beliebt, die Zitronenfalter besuchen sie scheinbar noch lieber als die Kardenköpfe.
Was da vorhin angeschwärmt kam ist aber dick, fast plump und dennoch zum Staunen schön.
Zuerst ist nur ein tiefes Brummen zu hören. Dann erscheint ein geflügeltes Wesen mit dickem schwarzschillerndem Leib und schimmernden blauen Flügeln. Glasflügler geht mir im ersten Moment durch den Kopf, denn die blauen Flügel sind durchsichtig. Aber Glasflügler, die zu den Schmetterlingen zählen, haben zarte Leiber. Und können Schmetterlinge brummen?

Die blauflügelige Holzbiene an einer Staudenwickenblüte …
… mit Blütenstaub hinterm Kopf …

Dann erinnere ich mich an den Weinberg im Kaserstuhl, wo wir, erfolgreich, nach dem Turteltaubenpaar fahndeten und wo ein ausladender Blasenstrauch von großen schwarzen Insekten umschwärmt wurde. Worauf uns die Winzerin extra hinwies, denn hierzulande sind sie selten: Holzbienen!
Ein besonderer Gast also. Oder ein Neubürger? Eine der südlichen Arten, die mit der Klimaerwärmung langsam nach Norden vordringen und, wie meine Recherche ergibt, unter den Lippen- und Schmetterlingsblütlern Wicken als Nahrungsgeber bevorzugen – vielleicht ist der Wickenschlund für ihren Saugrüssel besonders passgerecht!

… und mit durchsichtigen blauen Flügeln – hier links vom Wickenrosa durchschimmert

Holzbienen brauchen das, was in gewöhnlichen Gärten selten vorkommt: mürbes, morsches Totholz, in das sie mit kräftigen Mandibeln ihre Nestgänge nagen. Jede für sich allein, denn sie leben solitär.
Wie unerschöpflich das Füllhorn ist!
Allmählich begreife ich, dass wir die Natur nicht zerstören können. Wohl aber jene natürlichen Grundlagen, auf denen unsere Existenz auf diesem Planeten beruht.

Jetzt stehe ich am Zaun und staune. So viel blau-schwarze Exotik! Auch wenn man ihn im Gewirr der Blüten nicht immer sehen kann: es ist leicht den Flug des Blaugeflügelten zu verfolgen: Tiefes Brummen und das Wippen der Wickenblüten markieren seinen Zickzackkurs.

14. Juli 2022

Sommer ist. Es ist heiß und zunehmend trocken, die Luft zwischen den Feldern riecht hitzig nach Staub und Getreidebrodem, die Frühlingswürze hat sich verflüchtigt.

Die Hollerbeeren sind schwarz geworden, schwarz mit ein wenig Blauschimmer, die Vogelbeeren leuchten rot. Ganz im Gegensatz zum letzten Jahr gab es heuer auch bei den Ebereschen ein großes Fruchten. Ob die Wacholderdrosseln wiederkommen, um sie zu ernten?

Zeit der jungen Vögel.
Bei der Futterstelle im Hollerbusch, direkt vor unserem Schlafzimmerfenster, hocken erneut aufgeplusterte junge Spatzen, betteln mit bebenden Flügeln, lassen sich von den Eltern die Schnäbel stopfen, obwohl sie selber längst fressen können. Das dürfte jetzt die dritte Brut sein.
Junge Blaumeisen kommen an die Futterstelle gehuscht, klein und zart, noch recht blass auf dem Scheitel, die Wangen gelb. Junge Kohlmeisen sind vor kurzem wieder aufgetaucht, ihrem Bettelgeschrei nach gerade flügge geworden, auch sie noch im blassen Jugendkleid.

Junge Bachstelzen auf dem Dachfirst

Die Bachstelzen, die seit Jahren ihr Nest auf dem Nachbardach hinter den Solarmodulen bauen, spazieren auf dem Dachfirst entlang, singen aber selten. Man hört ihren leisen Gesang ohnehin nur, wenn man ein wenig Glück hat und sehr aufmerksam ist:
♫ Bachstelzengesang, eine Mischung aus Rufen und leisem Schwätzen, schnell dahin plätschernd wie ein kleiner Bach ♫
Jo hat eine der Amseln mit Würmern im Schnabel gesehen, heimlich wie stets. Sie füttern also ihre zweite Brut.

In der Kiesgrube sammeln sich die Graugänse, junge und alte, rund 250 habe ich vorgestern gezählt. Ein Zwergtaucher kurvt herum, noch ist auf erfolgreiche Brut zu hoffen – letztes Jahr zeigte sich hier Anfang September ein Zwergtaucher, der sein Küken auf dem Rücken trug.
Die Flussregenpfeifer sind weiter präsent, sie haben erfolgreich gebrütet und fliegen lebhaft rufend hin und her. Und nicht weit von der Kiesgrube, im Bibersumpf, schwer einzusehen, tauchte heute plötztlich eine Kolbenente auf, ein Weibchen, und zog zehn eilig paddelnde und piepsende Küken hinter sich her, darunter zwei fast ganz schwarze, die wie Reiherentenküken aussahen. Während im großen Gebüsch am Rande geradezu ekstatisch eine Gartengrasmücke sang, einer dieser Sänger, die außerordentlich lange Sequenzen orgeln.

Landsberg ist leider keine Stadt, über deren Zentrum im Sommer ständig viele Mauersegler präsent sind und hin- und her schießen, mit diesen hohen schrillen Schreien, die für mich d e n Stadtsommersound schlechthin bilden. Deshalb war es heute heute ein Glücksfall, im Westteil der Stadt wieder einmal einen Trupp von etwa zwanzig Vögeln zu sehen, die im üblich rasanten Tempo über die Straße stürzten. Eine bittersüße Beobachtung, denn in Kürze, Anfang August, wird es die Luftjäger schon wieder forttreiben aus ihrem Sommerrevier, das sie nur für diese kurze Brutperiode besuchen. In Landsberg brüten sie vor allem in der Breslauer Straße, weil hier für sie zahlreiche Brutkästen aufgehängt worden sind, durch deren Schlitze sie zielsicher und mit großer Geschwindigkeit einfahren, mitten aus dem Flug.
Wir haben das an einem warmen Juliabend von einem der Gärten hinter der Häuserfront bis in die Dämmerung hinein beobachtet.

♫ nur einen kurzen Sommer lang zu hören: die schönen schrillen Schreie der Mauersegler über der Stadt

Und gehört, wie ihre Schreie mit dem Späterwerden schriller wurden, wie sie gruppenweise heranjagten und über unsere Köpfe sausten, manchmal so tief, dass der scharfe Laut, mit dem ihre Flügel die Luft durchschnitten, in unseren Ohren gellte, während im Hintergrund eine Stadtamsel und ein Großes Grünes Heupferd ihre geruhsamen Abendlieder sangen.

Schwirlen und Schwirren: Seltsame Sommervögel

Schwirlen und Schwirren: Seltsame Sommervögel

Taubenschwänzchen im Anflug auf Indianernessel

18. Juni 2022

Sonne, Regen, Schwüle, Gewitter, dabei immer noch Morgenkühle. Tropisches Wuchern von Blauregen, Schnecken, Fliegen, hier im Voralpenraum gibt es heuer Wasser genug.
Nun treibt alles auf den Höhepunkt zu: Der längste Tag, die kürzeste Nacht. Klimax des Wachstums, des Blühens, Brütens und Fütterns. Jungvogelzeit.

Ein Insekt und kein Vogel: Taubenschwänzchen

Seit einer Woche sind sie wieder im Garten zu Gast, diese Sommervögel, die statt Schnäbeln so feine Gebilde tragen, dass das Wort Rüssel viel zu grob dafür ist. Zarte lange Röhren, die sie auf- und ausrollen, um Nektar zu saugen. Wie Kolibris können sie auf der Stelle schwirren – so schnell, dass auf dem Foto verschwimmende Farbreflexe entstehen. Wobei sie, ohne die Pflanzen zu berühren, ihre langen Saugrüssel in die Schlünde der Sommerblüten stecken, auch in die besonders tiefen der wilden Prachtnelke.

Sommervogel ist ein bei uns veraltetes Wort für Schmetterling, im Dänischen jedoch als Sommerfugle lebendig, und Taubenschwänzchen ein gebräuchlicher, aber irreführender Name für einen der merkwürdigsten Schmetterlinge, die ab Juni, Juli zu uns kommen. Wenn wir Gärten haben oder Balkone. Wenn wir ihnen die richtigen, das heißt für sie lebenswichtigen, Nektar trächtigen Blüten zu bieten haben. Sommerblütenvögel, ich liebe sie sehr.

Wilde Prachtnelke im Moor: so viel- und flatterzipflig wie möglich

Vor Jahren, als ich zum ersten Mal meine volle Aufmerksamkeit auf eine Kamera statt auf meine Ohren richtete, verfolgte ich fasziniert die Flugbahnen eines Taubenschwänzchens, das immer wieder die Blüten einer Gruppe hoher purpurfarbener Indianernesseln anflog: und da gelang mir, mit typischen Anfängerglück, mein ausdrucksstärkstes Sommervogelfoto. Es spiegelt wie keines sonst das wider, was Inger Christensen die dichte Purpurfarbe des Lebens1) nennt. Diese Blühfarbe, diese Gemütsfarbe des Sommers, grundiert von der Trauer um ihre Vergänglichkeit, die uns Schmetterlinge in aller Fantastik vor Augen führen, hat niemand besser als Inger Christensen in ihrem Großgedicht Sommerfugledalen (Das Schmetterlingstal), beschrieben, formal ein Sonettenkranz, ich zitiere hier die beiden ersten Strophen des IV. Sonetts2):

Wie das Berggebüsch mit seinem Duft verdeckt,
dass das Blühen in all dem Vermoderten wurzelt,
dem Schattigen, Filzigen, Pelzigen,
einer wilden und labyrinthischen Unvernunft,

so kann der Schmetterling mit seinem Flattern verdecken,
dass er an den Körper des Insekts gebunden ist,
man glaubt, eine Blume fliege auf
und nicht dieser aufgereihte Bildersturm …

Eine fliegende Blume, gebunden an den Körper eines tagaktiven Nachtschwärmers, der am Körperende wie ein Taubenschwanz gezeichnet ist und mit seinem Schwirrflug so sehr an einen Kolibri erinnert, dass er auch Kolibrischwärmer genannt wird: was für eine Fantastik! Zahlreiche vermeintliche Kolibri-Sichtungen in Europa gehen auf Beobachtungen an dieser Schmetterlingsart zurück.

Federn besitzt er natürlich keine – wohl aber ein weiche Behaarung, ein regelrechtes Pelzchen. Kann dennoch Frost nicht vertragen, und da die Würfel der Evolution so gefallen sind, dass er als ausgewachsener Schmetterling überwintern muss, hat er wie Distelfalter und großer Fuchs ein Wanderleben entwickelt: er weicht zum Überwintern in den Süden aus und kann im Hin und Zurück sogar die Alpen überqueren. Als Folge des Klimawandels überwintern einige Taubenschwänzchen in neuerer Zeit aber auch in milden Regionen Süddeutschlands und legen im März die Eier für die nächste Generation.

Taubenschwänzchen an Borretschblüte – schon ramponiert vom Sommer, aber Pelzchen und Rüssel sind deutlich zu sehen

Und woher kommen die schönen wuschelköpfigen Sommerfugle, die wir hier seit einer Woche beobachten? Sind sie frisch geschlüpfte Nachkommen der Überwinterer, also hier in Bayern aus dem Ei gekrochen, oder über die Alpen zu uns geflogen? Vieles scheint noch nicht klar zu sein, wahrscheinlich mischen sich die Populationen und Generationen.

Eine Blüte anfliegen, sehr schnell – und rasend schnell schwirren – und kurz vorm Blütenschlund in der Luft stehen bleiben – so kurz, dass ich bei meinen ersten ahnungslosen Beobachtungen glaubte, er hätte die falsche, nektarlose Blüte angeflogen, und jetzt müsse er weiter suchen, und weiter … In Wirklichkeit hat der Schöne in Sekundenbruchteilen ausgerollt, gesaugt wieder eingerollt – wie schafft er das bloß – für meine grobschlächtige Wahrnehmung ein unvorstellbares Kunststück. Ich sehe von der Terrasse aus seinem Zickzackkurs von Blüte zu Blüte zu: Bartblume, Beinwell, Katzenminze, Bartnelke – Blau, Blaulila, Purpur: das lockt ihn an. Den leuchtenden Goldfelberich lässt er dagegen aus: diese Farbe scheint ihn buchstäblich nicht anzumachen.

In fünf Minuten kann ein Taubenschwänzchen mehr als hundert Blüten besuchen. Aber warum diese unermüdliche Geschwindigkeit? Sicher ist: die Flugmuskalatur, die für ein so kleines Geschöpf Gewaltiges leistet, kann dabei nicht auskühlen, bleibt auf Hochtouren, und lauernden Krabbenspinnen bietet er keinerlei Angriffsfläche. Alles andere bleibt verborgen im rätselhaften Gang der Evolution.

1) 2) aus Inger Christensen, Das Schmetterlingstal / Sommerfugledalen. Suhrkamp 1998, S. 9 und 13

Ein Vogel und kein Insekt: Feldschwirl

Wer kennt schon das Geschöpf, dessen Name sich auf Quirl reimt und das alles andere als quirlig ist? Ehrlich gesagt, ich habe es noch nie fliegen sehen. Auch einer, der den Sommer bei uns verbringt auf seine heimliche Weise.
Feldschwirl ist sein Name. Er ist kein Gewinner des Klimawandels. In ausgeräumten Agrarlandschaften fehlt er ganz, weil hier Feuchtgebiete zerstückelt und Hochstaudenfluren und Ufervegetation zerstört worden sind: deshalb steht er bei uns als stark gefährdet auf der Roten Liste.
Wie froh bin ich, wenn ich ihn im späten Frühjahr – denn vorher kommt es nicht aus Afrika zurück – endlich wieder, wie in dieser Aufnahme, zu hören bekomme.
Zu hören, wohlgemerkt – irgenwo aus dem Verborgenen heraus, einer Krautschicht oder einem Busch, auf jeden Fall aus niedriger Höhe. Leicht und sirrend und schwirrend wie der Sommergesang des Großen Grünen Heupferds kommt sein seltsames Lied daher. Ein wenig monoton, ja, das schon, aber dennoch dynamisch, wie das dem Lebendigen grundsätzlich eigen ist.
Der Feldschwirl ist aber kein Insekt, sondern ein Vogel, der heuschreckenähnlich zirpen kann. Locustella heißt er auf lateinisch: Kleine Heuschrecke. Auf Englisch: Common Grashopper Warbler. Zu sehen ist er fast nie, obwohl er zum Singen gelegentlich kleine Warten bevorzugt.

Er liebt offene feuchte Landschaften mit Sträuchern und niedrigem Bewuchs. Bevorzugte Brutplätze sind Großseggensümpfe und Pfeifengraswiesen, schütteres, mit Gras durchwachsenes Landschilf, Waldränder, extensiv genutzte Felder, Weiden, Heiden – alles, was stark verkrautet ist und ihm genügend Unterschlupf bietet. Immer in Deckung und meistens am Boden durchschreitet er die Krautschicht langsam, um Nahrung zu finden oder huscht, bei Gefahr, schnell davon wie eine Maus: wie könnte man ihn da finden. Zumal er in seiner Gefiederzeichnung zur großenr kbu-Fraktion gehört: klein, braun, unauffällig …
In einer extensiven Landwirtschaft ist – oder muss ich sagen: wäre er exzellent in seine Nische eingepasst.
Wie auch sein Schwirrgesang sich in das Gesangsensemble im Frühjahrsmoos- und moor nicht nur einpasst, sondern es auf spannende Weise untermalt und bereichert.

Feldschwirlgesang kurz nach Sonnenaufgang Ende Mai, eingebettet in den Chor der Morgenstimmen am Rande eines kleinen Feuchtgebiets. Eine historische Aufnahme, denn seit Jahren ist der Feldschwirl hier ausgeblieben.

Aufschlüsselung Soundscape vom 27. Mai 2012, ab 5:22 Uhr, Egelsee bei Hofstetten.
Gleich am Anfang Sumpfrohrsänger, Buchfink, Kuckuck, etwas später Rabenkrähen, ab 00:58 Singdrossel, bei1:40 setzen Grünfinken ein, ab 3:20 wird ihr „Klingeln“ sehr intensiv. 3:58 Blässhuhn, ab 5:03 wieder der Kuckuck im Hintergrund, ab 6:53 Füchse. Ab 7:03 wird der Gesang des Sumpfrohrsängers wieder deutlicher. Der Feldschwirl setzt gleich zu Anfang ein und ist bis 8:07 immer wieder, mit Pausen, zu hören. Sh. auch in Xeno Canto XC738037.

Ein Vogel, kein Heuschreck! Auch eine der wundersamen Kapriolen der Evolution.