Apfeldorfer Wassermusiken – da sie sind wieder, die nordischen Posaunisten

Apfeldorfer Wassermusiken – da sie sind wieder, die nordischen Posaunisten

GroßeSingschwanansammlung vor Schilfgürtel Apfeldorf, Staustufe Ost

26. Dezember 2022

Am zweiten Weihnachtsfeiertag ist das Wetter milde. Der Schneeeinbruch am 10. Dezember, ausgerechnet zum Zeitpunkt unseres Weihnachtskonzerts mit Vogelstimmen im Rochlhaus, ist längst vergessen, die Gewässer sind frei – und wir auch.

Höchste Zeit, nach den Singschwänen zu schauen. Wir wissen, dass die Schönen seit November wieder auf dem Lech residieren, insbesondere bei Dornstetten, wollen aber heute wie letztes Jahr unser Glück bei Apeldorf versuchen.

Die Flüchtigkeit der Vögel, die Leichtigkeit, mit der sie ihre Aufenthaltsorte wechseln können, hängt offenbar eng mit ihrer besonderen Art der Zuverlässigkeit zusammen.

Zweiggenau kann eine Nachtigall, die in Südafrika überwintert hat, auf ihren Singeplatz in ihrem Revier im Treptower Park zurückkehren. Und zuverlässig in jedem Spätherbst kehren Singschwäne aus dem hohen Norden in ihre Überwinterungsgebiete auf dem Lech zurück. Sind es immer dieselben samt ihren Nachkommen, oder wie sonst spricht es sich unter Singschwans herum, dass der Lech im fernen Bayern ein guter Ort zum Überwintern ist??

Um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, braucht es, ja – Orts- und Biotopkenntnise und einige Quentchen Wissen um die Gewohnheiten der Vögel. Aber auch eine eine gute Portion Glück und Augenblicksgespür. Und Neugier natürlich.

Kaum sind wir kurz hinter Apfeldorf oben am Hang aus dem Auto gestiegen, wird unsere Aufmerksamkeit in zweierlei Richtung gezogen. Drüben auf der Wiese grasen etwa 300 Graugänse, und ich würde sie gern genauer mit dem Spektiv durchmustern. Gleichzeitig fangen meine Ohren außerordentlich lebhafte Klänge unten vom Lech her ein, denen ich nicht widerstehen kann. Sie ziehen mich magisch an. Und so folge ich dieser luftigen, aber mächtigen Spur. Schon auf dem ersten Absatz, da, wo das Feldgehölz steil zum Ufer hin abfällt und der Fluss zwischen den Bäumen hochschimmert, fließen die Stimmen zu einem Acapella-Chor zusammen, der an- und abschwillt und mich in Bann zieht.
Sie sind wieder da! Und wie es scheint viele!!
Ich befreie meine Füße von einigen Brombeerranken, lege mein Mikro auf den Rucksack, schalte das Aufnahmegerät ein. Lehne mich an einen Baumstamm und lausche dem Chor der Posaunenduette, der sich besonders steigert, als die Gänse über uns hinwegrauschen, schreiend, um auf dem Lech zu wässern.

Ab 01:40 schwillt der Posaunenchor mit den Schreien der Graugänseschar, die zum Lech hinunter rauscht, deutlich an, geht ganz offenbar in Resonanz damit

Singschwäne in der beliebten seichten Zone vorm Schilfgürtel

Endlich unten angekommen, sehe ich, dass sich das Gros der Singschwäne wieder am selben Ort wie im letzten Jahr aufhält: ziemlich weit draußen vor dem Schilfgürtel, kein einziger hier in Ufernähe, also gut zu spektieren bei diesem hellen Weihnachtstaglicht, aber schwierig zu fotografieren.
Und wie viele es sind! Ich bringe das Spektiv in Stellung und lege das Mikro auf ein umgestülptes Boot, das am Ufer liegt.

Ein temperamentvoller Singschwanchor,
der vom Ufer widerhallt und sich mit Windstößen mischt

Die da draußen, das sind knapp über 100 Individuen, zwölf graubraune Diesjährige dazwischen. Wo genau sie wohl aus dem Ei gekrochen sind? Und sie posaunen und duettieren, wollen an diesem Morgen gar nicht aufhören mit ihrem weihnachtlichen Schwanengesängen. So etwas habe ich noch nicht erlebt.

Eine abwechslungsreiche Wassermusik, die kein Ende nehmen will. Mal nahezu verebbend, mal ekstatisch sich steigernd. Die Weite und Einsamkeit nordischer Tundren und Waldseen schwingt darin und die unmittelbare Freude an Verständigung und Gemeinschaft

Mein Mikro nimmt es zuverlässig auf, dieses prachtvolle Oratorium, in das sich Graugänse, Blässhühner, Stockenten mischen, Schnatterenten mit ihrem seltsamen Geknarre, Flügelschläge und Wasserplatschen und das Echo, das die Lechhänge werfen.

Eine Weihnachtsmusik vom Feinsten …


Beim Duettsingen schwimmen die beiden Schwäne hintereinander und schwingen die Hälse gemessen vor und zurück, offenbar ein taktfestes, uraltes Ritual. Wer nicht singt, gleitet elegant dahin, gründelt, zieht die Federn durch den Schnabel, ruht.

Außer uns gibt es keine menschlichen Besucher. So können wir ungestört unsere Stative hier oder dort aufstellen, verschiedene Perspektiven ausprobieren, ungestört schauen, entdecken, lauschen.

Gegen Mittag. Die Graugänse werden unruhig und mischen sich stärker ein, Wind frischt auf, aber das Konzert wird unverdrossen fortgesetzt, steigert sich immer wieder

Bis zum Konzertende zu bleiben, gelingt uns nicht. Zwar hat mein Mikro jetzt sozusagen „Singschwanstimmen satt“ aufnehmen können. Aber die Schönen sind nach wie vor ungebrochen mitteilungsfreudig, ein Ende der Kommunikation auf Hochnordisch ist kaum so schnell zu erwarten, und das Wetter schlägt spürbar um.
So verstauen wir wieder all unsre Optik und Lauschtechnik und beginnen den Hangweg hinaufzusteigen. Ich etwas wehmütig, wohl wissend, dass wir dies nie wieder so erleben werden.
Auf halber Strecke steigern sich die Duette in meinem Rücken erneut auf so unwiderstehliche Weise, dass ich mich umdrehen muss, um ihnen mit Ohren und Mikro noch einmal die Ehre zu erweisen.

Posaunen und Trompeten á la nature! Sie werden zunehmend von starken Windböen übertönt, die durch die Hangbäume rauschen. Pech und Glück zugleich. Die weihnachtliche Wassermusik, sie ist nun ist definitiv vorbei. Jedenfalls für unsere Ohren.

►Singschwäne auf dem Lech◄