Der Kiebitz, Vogel des Jahres 2024 – ob wir das Ding mit dem Gaukler noch schaukeln?

Der Kiebitz, Vogel des Jahres 2024
– ob wir das Ding mit dem Gaukler noch schaukeln?

Ein Kiebitzküken, das laut und dringlich ruft. Bettelt es um Futter? Sicherlich nicht. Kiebitzküken sind Nestflüchter und müssen sich von Anfang an selbständig mit Nahrung versorgen. Aber in den ersten zehn Tagen nach dem Schlupf müssen sie von den Alten gehudert werden und brauchen noch wochenlang den ständigen Begleitschutz ihrer wachsamen Eltern … Foto Gunther Zieger, Bildarchiv LBV

Ein Foto, das berührt, sicher nicht nur mich. Denn das Küken braucht auch unseren Schutz und steht für die Verletzlichkeit unserer Mitgeschöpfe, der wir in keiner Weise gerecht werden. Im Gegenteil: Zerstörung und Zerschneidung von Lebensräumen durch täglichen Flächenfraß, Klimakrise, intensive Landwirtschaft mit ihrem ungebremsten Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln, Stickstoffeintrag in und aus der Luft – all dies kulminiert in der gegenwärtig größten Katastrophe: dem Artensterben. Zu wenig beachtet, schon längst im Gange. Die Wissenschaftler nennen es inzwischen das sechste Massenaussterben in der Geschichte unseres Planeten – und das erste, das menschengemacht ist.
Dass sich die Natur in Millonen von Jahren erholen und neu beleben kann, hat sie nach dem fünften Massenausterben, mit dem die Welt der Dinosaurier für immer vernichtet wurde, bewiesen. Diesmal ist die Art, die mit Sicherheit vernichtet werden wird, wenn die Entwicklung so weitergeht, unsere eigene Art. Jedenfalls als eine, die auf Gesellschaft, Kultur und Zivilisation beruht.

♫ Feldlerchen und Kiebitze – Fluggesänge hinter dem Egelsee ♫

Dabei sind die Geschöpfe, denen wir mit unserer zerstörerischen und gierigen Ökonomie die Lebensgrundlagen entziehen, so schutz- und bewunderungswürdig. Darunter auch die, die es derzeit bei uns am meisten triftt: die Wiesenbrüter. Uferschnepfe, Rotschenkel, Großer Brachvogel, Bekassine, Wachtelkönig, Braunkehlchen, Wiesenpieper, Grauammer – und eben Kiebitz.
In Alwin Voigts altem Exkursionsbuch zum Studium der Vogelstimmen, überarbeitete 11. Auflage von 1950, heißt es: Der Kiebitz ist ein so häufiger und in jeder Beziehung so ausgezeichneter Sumpfvogel, dass er leichter zu finden und zu bestimmen ist als irgendein anderer

Lang, lang ist’s her. Aus gutem Grund wurde der Kiebitz, dieser „ausgezeichnete Sumpfvogel“, ursprünglich in Feuchtwiesen heimisch, wie es sie z. B. auf Borkum noch gibt, zum zweiten Mal von NABU und LBV zum Vogel des Jahres 2024 gewählt.
Und er ist schön.
Mit Schillerglanz im Gefieder und im Wind wehender Federholle – das Männchen trägt sie besonders lang.

Kiebitze balzen in der von Morgengesängen erfüllten Frühlingslandschaft am Egelsee

Viele Jahre lang haben uns die Rufe und Flugmanöver dieser charismatischen Regenpfeifer während des Krötensammelns am Amphibienzaun begleitet. Denn ihr Brutgebiet am Egelsee, einem von großen Weiden umstandenen Anglerteich am Rande eines Seggenrieds, liegt dem Krötenzaun genau gegenüber.

Gaukeln mit runden Flügeln – vom spektakulären Balzflug ein spektakuläres Foto von Andreas Hartl, Dorfen …

Ihr Gaukelflug im Frühjahr hat herrlich clowneske Züge: sich in der Luft hin und her werfen, zur Seite kippen und im Sturzflug nach unten trudeln, sich kurz vorm Aufprall auffangen, weiter gaukeln … Diese „Luftsprünge“ haben den Kiebitzen im Englischen den Namen Lapwings eingebracht. Worte und Fotos sind blass gegenüber der prallen Lebendigkeit, die sich dabei dicht über unsreren Köpfen abspielt, besonders, wenn das Wuchteln der breiten Flügelpaddel uns dabei in die Ohren wummert.


Erstaunlich – und für mich unwiderstehlich – sind die Balzrufe der Lapwings. Die können, obwohl Kiebitze keine Singvögel sind, gut und gern als Gesänge durchgehen. Sogar als Duettgesänge, denn wie oft konnte ich sie im Frühjahr zweisam gaukeln und „chiuwitten“ hören – und aufnehmen. In der folgenden Tonaufnahme ist das Wuchteln gleich zu Beginn zu hören, und in 00:22 ein nahezu synchrones Duett.

♫ Duettgesang im oft synchronen Balzflug am Egelsee ♫

Zunächst waren es zwei Paare, die wir seit unserem Herzug, das war 2003, beobachtet haben. Dann war es nur noch ein Paar, das Jahr für Jahr wiederkam. 2019 haben wir es sogar noch seine Küken führen und bewachen sehen. Das war kurz vor dem großen Hagelunwetter und das letzte Mal, dass auf dem Feld hier Mais angebaut wurde

♫ Kiebitze, die Junge führen, schlagen Alarm ♫

Im Frühjahr 2020 stand der Winterweizen schon in dichten Reihen – und andere Bruthabitate als das ehemalige Maisfeld gab es nicht. Die Kiebitze kamen nur noch kurz vorbei, flogen ein paar Runden, riefen – und verschwanden.
Seitdem, seit 2020, ist die Kiebitzbrut am Egelsee erloschen und 2023 sind in weiten Bereichen des Landkreises nur noch 6 Kiebitzküken flügge geworden, an der Grenze zum Schwäbischen 27.

Dabei sind Vögel so ortstreu! Sogar in ihrem Zugverhalten. In der Schwiftinger Feldmark, durch die ich oft kommeziehen jedes Jahr junge und alte Kiebitze durch ◄ und rasten auf den Feldern immer desselben kleinen Areals.

Ein so auffälliger und ehemals weit verbreiteter Vogel wie der Kiebitz hat, neben seinem lateinischen, viele volkstümliche Namen eingesammelt: Vanellus vanellus, Wiesenpfau, Muttergottestaube, Riedschnepfe, Geißvogel, Kiwitt. Und Kukkukskööster am Niederrhein, weil er – so wie der Küster in der Kirche immer vorm Pastor – bei uns immer vor dem Kuckuck erscheint,
In maximal sechs Wochen beginnt hier wieder die Krötenwanderung. Wider besseres Wissen werden wir, wenn wir suchend am Krötenzaun entlanggehen, unsere Ohren spitzen, hoffend, dass wir es nicht nur als Echo unserer Erinnerung hören, dieses unnachahmliche chiuwitt, sondern dass der Wiesenpfau wieder geflogen kommt, um über uns zu gaukeln, während wir die Kröten aus den Eimern klauben …
Denn wir wollen die Hoffnung noch keinesfalls aufgeben. Renaturierung unserer Landschaft, Wiedervernässung der Wiesen, Wiederkehr der vertriebenen Vögel – warum sollte das nicht möglich sein, allen Widerständen zum Trotz?

➡ Was es mit Fußtrillern und anderen Merkwürdigkeiten und mit Kiebitzschutz durch das Artenhilfsprogramm des LBV auf sich hat, siehe unter Kiebitz – Vogel des Jahres 2024