Der Kuckuck und alle „Kehlchen“ sind zurück gekehrt
20. April 2022
Im kleinen Feldgehölz, wo unter hohen Fichten, Eichen und Buchen schön blau gefärbte Eierschalen liegen, fast hühnereigroß, und wo unter der geschlossenen Decke der Baumwipfel eine eigenartig intime Atmosphäre herrscht, ist schon das seltsam klappernde Bettelgeschrei junger Graureiher zu hören. Es klingt ein wenig wie Storchengeklapper, besonders, wenn es an Lautstärke zunimmt, und wird doch nicht mechanisch, mit Schnäbeln, sondern vokal hervorgebracht.
♫ aus einem der Reiherhorste ertönt schon das klappernde Bettelgeschrei hungiger Graureiherküken ♫
Unter meinen Füßen welliges Gelände. Ich steige vorsichtig über Baumwurzeln und heruntergebrochene Äste, fahnde nach blauen Eierschalen, höre dem Sommergoldhähnchen zu, das verborgen da oben über mir singt. Ein leises Lied, ein hohes Lied, jedenfalls der Tonlage nach.
♫ leiser hochfrequenter Gesang eines Sommergoldhähnchens im „Graureiherwald“ ♫
Die kurzen Strophen beschleunigen sich zum Ende hin, steigen in der Tonhöhe leicht an und enden mit zwei, drei zarten Trillern. Im Hintergrund schackern am Anfang Wacholderdrosseln, sie haben hier eine kleine Brutkolonie. Ab 00:51 läutet eine Kohlmeise, ein Buntspecht klopft, ab 00:52 sind kurz die Flugrufe eines Graureihers zu hören
Ich nehme auf, versinke ins Hören – und fahre hoch. Da ist er, da ruft er zum ersten Mal, mischt seine Terz ins Frühlingsgeschehen: der Kuckuck ist wieder da!
Glücklich ist er über die Sahara gelangt, allein!, und jetzt, überpünktlich, zwei Tage vor dem traditionellen“Kuckuckstag“ – das ist nämlich der 15. April – in sein Sommerrevier zurück gekehrt. Aber er ruft nur einmal, ist offenbar weiter gestreunt.
Mit diesem Kuckucksruf, der den kommenden Hochfrühling ankündigt, geht die erste große Singestart- und Rückkehrwelle der Vögel zu Ende.
Denn auch alle „ … kehlchen“ haben sich singend zurück gemeldet. Ob blau, braun, rot oder schwarz, sie gehören sämtlich zur großen Familie der Fliegenschnäpper, diesen einfallsreichen Sängern und Insektenfängern, die den Drosseln nahe stehen.
Rotkehlchen
Als Erste hatten natürlich die Rotkehlchen ihren Auftritt. Vertraute Gestalten, die bei uns überwintern, meist verstärkt durch nordische Gäste, und als Herbst- und Wintersänger – und -sängerinnen! – bekannt sind.
Zur Zeit trällern sie aus voller Kehle.
Hier singt an einem frostigen Morgen vor Sonnenaufgang – ich habe minus 6°C notiert – ein Rotkehlchen seine besondere Liedversion. Diese Version gehört dem frühen Frühling an, mit langen Intervallen und ausgefallenen Motiven, bewegend und glasklar:
♫ ein Rotkehlchenlied in der Morgendämmerung, mit langen Intervallen und ausgefallenen Motiven ♫
Und hier singt – obwohl ebenfalls an einem frostigen Morgen – eines im Vollgefühl des Frühlings, mit langen Trillern und triumphalen Kaskaden:
♫ ein Rotkehlchenlied mit langen Trillern und triumphalen Kaskaden ♫.
Schwarzkehlchen
Als Nächste setzten die Schwarzkehlchen ein. Sie sind keine Langstreckenzieher, sondern überwintern im Mittelmeerraum und kommen oft schon Mitte März zurück, um in ihre Brutreviere einzurücken.
Zum Beispiel in den Raistinger Wiesen.
Auch dies eine gezähmte Landschaft mit Weidezäunen und Pferdekoppeln und einem breiten Weg mittendurch. Doch mittendrin liegt ein kleines Wiesenbrüterschutzgebiet, in dem Schwarz- und Braunkehlchen, Wiesenpieper und Feldlerchen ihre Jungen großziehen.
Kurz nach Frühlingsbeginn, Ende März. Es ist sehr kühl, die Luft ist diesig, der Himmel trübe, als ich auf den kleinen Bach und die blattkahle Hecke zugehe, die das Schutzgebiet hier begrenzen.
Nichts los, denke ich. Aber dann, ein paar Schritte weiter, höre ich sie schon, und meine skeptische Anfangsenttäuschung schlägt in aufgeregte Freude um. Tatsächlich, sie sind nicht nur da, sondern trotz der Kälte in großer Singelaune: zwei Männchen sitzen in Busch und Baum, wechseln hierhin und dahin und scheinen einander zu antworten.
♫ ein Schwarzkehlchen singt Ende März in den Raistinger Wiesen ♫
Es kostet Zeit und viel Geduld, bis eines so günstig nahe kommt, dass ich den Gesang gut aufnehmen kann. Günstig heißt vor allem, dass ich das Mikro nicht in Richtung Straße richten muss – das Geräusch rollender Reifen ist trotz der Entfernung schon zu groß und würde alles verderben.
Ja, wie soll man dieses Lied beschreiben? Hoch angesetzt, etwas klirrend, nicht so einfallsreich wie das der Braunkehlchen, auf rührende Weise innig. Wie gut es in die halmenstarre, doch erwartungsvolle Dürre dieser Märzlandschaft passt!
Blaukehlchen
Ende März rückt auch die „nordische Nachtigall“ wieder in unsere Schilfgebiete ein. Einige haben im Mittelmeergebiet überwintert, andere in Afrika und dafür zweimal die Sahara überflogen.
Für mich – und für viele andere, wie ich bei meinen Vogelführungen erfahren habe – ist und bleibt der Anblick des Männchens mit seiner blitzblauen Brust ein spektakuläres Ereignis. Noch dazu, wenn es beim Singen seinen weißen „Stern“ demonstriert und ihn im Takt der Strophe kleiner und größer werden lässt!
♫ ein langer Blaukehlchengesang von der Greunen Stee in Borkum ♫
Blaukehlchen gelten zur Zeit als nicht gefährdet, denn als Anpassungskünstler haben sie sich neue Lebens- und Überlebensräume inmitten intensiver Landnutzung erschlossen: Baggerseen zum Beispiel, Schilfgräben, Raps- und Getreidefelder.
Dennoch sind sie nicht häufig zu sehen. Am Ammersee oder Zellsee, die zu ihren Brutarealen gehören, verlieren sich Gestalt und Gesang leicht in den Weiten der Schilfbestände.
Optimal ist dagegen ein Gang durchs Grabenstätter Moos, das dem Chiemsee vorgelagert ist. Hier sind die Blaubrüstchen Anfang April diesen Jahres vom Schnee überrascht worden. Und hier habe ich sie in den letzten Jahren Ende März/Anfang April oft mitten auf dem Weg gesehen und konnte mit Augen, Ohren und Mikro ganz aus der Nähe ihrem Fluggesang folgen:
♫ ein Blaukehlchen-Fluggesang im Grabenstätter Moos am Chiemsee ♫
Typisch ist der schleppende Beginn der Strophen, die allmählich beschleunigt werden, um in lange variable Passagen mit Imitationen, melodischen Klängen und scharfen Tönen einzumünden. Nachtigallenähnlich? Wohl kaum. Aber schön, auf Blaukehlchenart!
Braunkehlchen
Als Letzte sind nun die Braunkehlchen erschienen. Noch überwintern unsere Whinchats alle in Afrika und müssen Jahr für Jahr wie der Kuckuck die Sahara überqueren. Um in ein Brutgebiet zurück zu kommen, das ihnen mehr und mehr die Lebensgrundlage entzieht. Denn sie sind auf extensiv genutztes, mäßig feuchtes Grünland angewiesen. Und wo findet sich das noch? Folglich stehen sie, die ehemals so weit verbreiteten, bei uns auf der Roten Liste und sind vom Aussterben bedroht.
Aber noch lassen sie sich finden, die Hübschen mit dem langen Überaugenstreif. Sitzen in den Raistinger Wiesen wieder auf Weidezäunen oder an dünnen Halmen, singen und singen.
Ihr Lied ist sehr abwechslungsreich.
Vor Jahren hat sich ein Männchen zwei Wochen lang hier bei uns am Egelsee niedergelassen und täglich lang, intensiv und kunstvoll gesungen, auf einem Teppich von Feldgrillenzirpen – schöner, dachte ich, kann man nicht werben. Dennoch hat sich kein Weibchen eingestellt. Kein Braunkehlchenweibchen jedenfalls. Nur ich habe ihm zugehört, die Krähen vielleicht, die Lerchen, die Wiesen, der Wind. So ist es am Ende weiter gezogen.
♫ klangvolle, imitationsreiche Strophen eines einsamen Braunkehlchenmännchens am Egelsee ♫
Sehr deutlich sind zum Beispiel Hausrotschwanzimitationen (0:40.1:00, 1:27, 1:36, 1:53) und Zilpzalpimitationen (0:42, 0:47, 2:30) integriert. In 3:30 eine besonders klare Imitation des Buchfinkenschlags
Jetzt ruft zu all diesen Frühlingsliedern auch wieder der Kuckuck. Was ihm – denn die Weibchen können’s auch! – sogar ♫ im Duett ♫ gelingt.